TNach Bandenterror in Harsefeld gerät die Polizei in die Kritik

Großes Medieninteresse in Harsefeld: Die Kommune um Samtgemeindebürgermeisterin Ute Kück und Behördenvertreter arbeiten am Montag die Gewalttaten der Jugendgang auf. Foto: Screenshot/Berlin
Die kriminelle Jugendbande in Harsefeld macht bundesweit Schlagzeilen. Erstmals äußern sich jetzt Kommune und Behörden konkret. Die Bürgermeisterin hat zwei Tätern ins Gewissen geredet.
Harsefeld. Eine Jugendbande terrorisiert Kinder und Jugendliche in Harsefeld und filmt ihre brutalen Taten. Die letzten bekannten Übergriffe stammen aus dem Mai. Ende Juni machen zwei Harsefelder Schulen auf die Taten aufmerksam. Eltern und Kinder sind verunsichert.
Am Montag lud die Samtgemeinde Harsefeld zu einer Pressekonferenz ein. Politik, Verwaltung, Landkreis, Polizei und Sozialarbeiter ordnen die aktuelle Lage ein und stellen sich den Fragen der Journalisten.
Das ist über die vermeintlichen Täter bekannt
Bei der sogenannten Consti-Gang soll es sich um Jugendliche im Alter von 15 und 16 Jahren ohne Migrationshintergrund handeln. Laut Sprecher Rainer Bohmbach habe die Polizei zwei Haupttäter ausgemacht, die als Intensivtäter eingestuft werden. Zudem gebe es eine „Handvoll Mitläufer“. 15 Straftaten sind demnach pro Haupttäter dokumentiert. „Wir gehen von einer Dunkelziffer aus“, sagt Bohmbach.

Rainer Bohmbach, Polizeisprecher. Foto: Berlin
Die Fälle sollen sich vornehmlich im Mai abgespielt haben. Die Polizei ermittelt in Sachen Raub, Diebstahl, Körperverletzung und Drogendelikten. Seit Juni ist der Polizei kein weiterer Fall mehr bekannt.
Das ist das Besondere am Fall Harsefeld
Die vermeintlichen Täter haben ihre Taten gefilmt. Die Filme gehen online viral. „Die Eigendynamik in den sozialen Medien ist besorgniserregend“, sagt der Sprecher des Landkreises Stade, Daniel Beneke. In zum Teil „heftigen Kommentaren“ sei zur Selbstjustiz und zur Gewalt aufgerufen worden.

Daniel Beneke, Sprecher des Landkreises Stade. Foto: Berlin
Zudem soll sich in Harsefeld eine Art Bürgerwehr gegründet haben. „Die Polizei findet das ganz gruselig“, sagt Bohmbach. In dieser Sache selbst tätig zu werden, sei auf keinen Fall angesagt.
So könnten die vermeintlichen Täter ticken
Susanne de Bruijn, Bürgermeisterin des Fleckens Harsefeld, hat zwei der Gangmitglieder auf dem Weg zur Schule abgefangen und mit ihnen gesprochen. Namentlich bekannt sind de Bruijn nach eigenen Aussagen sechs.
Die jungen Männer „waren nicht unfreundlich und nicht aggressiv. Ich hatte die Möglichkeit, ihnen aufzuzeigen, was sie eigentlich aus ihrem Leben gerade machen“, sagt de Bruijn. Ob das Gespräch nachhaltig war, vermag sie nicht zu beurteilen.

Susanne de Bruijn, Bürgermeisterin des Fleckens Harsefeld. Foto: Berlin
Doch wie ticken die beiden jugendlichen Haupttäter? „Es gibt sicherlich die, die einen Hang zur Gewalt haben“, sagt de Bruijn. Sie vermutet, dass „der ungebremste Zugang zum Internet, wo man alles sehen kann, was man eigentlich nicht sehen will“, Hintergrund der jüngsten Fälle sein könnte.
Sie selbst sei „nur Mutter“, sagt aber, dass die jungen Leute das Gesehene nicht verarbeiten könnten. Außerdem spricht de Bruijn über „vielleicht unglückliche Familiengefüge“ und „falsche Freunde“, meint das aber pauschal und nicht konkret auf die vermeintlichen Täter bezogen. Man müsse aber auch die Familien der Kinder schützen. Die wüssten mitunter gar nicht, was ihre Kinder machen.
De Bruijn erzählt bei der Pressekonferenz im Rathaus, dass sie zwei Männer getroffen habe, die in einer Gruppe in den 1980er Jahren auffällig geworden seien. Die Männer haben demnach angeboten, in die Schulen zu gehen und aus ihrem Leben zu erzählen. „Sie wollen erzählen, wie viel Geld sie ausgegeben haben für ausgeschlagene Zähne und gebrochene Knochen“, sagt die Flecken-Bürgermeisterin.
Kommune macht von ihrem Hausrecht Gebrauch
Die Kommune hat bei zwei vermeintlichen Tätern von ihrem Hausrecht Gebrauch gemacht und ihnen ein Hausverbot für das Harsefelder Freibad ausgesprochen. Auf Nachfrage bestätigt Bernd Meinke, Erster Harsefelder Samtgemeinderat, dass die beiden Jungen im Freibad erkannt wurden. Sie seien nicht auffällig geworden. Aber die Verantwortlichen wollten offenbar eine Eskalation verhindern.

Bernd Meinke, Erster Samtgemeinderat der Samtgemeinde Harsefeld. Foto: Berlin
Kritik an der Polizei und an fehlender Präsenz
Folgende Aussage von Polizeisprecher Bohmbach sorgte in der vergangenen Woche für Irritationen: „Wir hätten uns gewünscht, dass die Öffentlichkeit erst später informiert wird.“ Diese Aussage verteidigt er heute. Die Polizei wollte „in Ruhe ermitteln, bevor der Druck in der Bevölkerung entsteht“. Am Ende sei es eine Entscheidung der Kommune und der Schulen gewesen. Dann müsse die Polizei auch damit umgehen.
Kriminalität
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Die Taten fasst die Polizei zusammen und legt sie dann der Staatsanwaltschaft vor. Bislang landete noch keine Tat vor Gericht. „Das geht nicht so schnell, wie man sich das gerne wünscht. Aber das ist im Jugendstrafrecht so vorgesehen“, sagt Bohmbach.
Die Zeugenvernehmung benötige Zeit. Zumal oft auch die Eltern vernommen werden. Eine sogenannte Gefährderansprache habe die Polizei unternommen, also quasi vor den vermeintlichen Tätern den Zeigefinger gehoben. Mehr Details nennt Bohmbach nicht.
Trotz der verstörenden Videos, die online über die Taten kursieren, sieht die Polizei es nicht als erforderlich an, mehr Personal nach Harsefeld zu schicken. „Wir haben keinen Brennpunkt hier, in dem wir Menschen ausmachen können, die mit diesen Taten zu tun haben“, sagt Bohmbach. Für eine rund um die Uhr besetzte Dienststelle fehlt der Polizei schlicht das Personal.
Was raten die Experten den Opfern?
Denise Kempa arbeitet an der Basis als Sozialarbeiterin im Jugendzentrum Harsefeld. Sie rät Opfern, in das offene Jugendzentrum zu kommen. Sie hört zu.

Denise Kempa, Sozialarbeiterin im Jugendzentrum Harsefeld. Foto: Berlin
„Jugendliche brauchen den Raum und den Schutz“, sagt Kempa. Ihr öffnen sich Opfer von Gewalttaten und Kinder, die etwas angestellt haben. Sie sensibilisiert Eltern, dass sie ihren Kindern zuhören oder empfiehlt den Besuch bei der Polizei oder dem Jugendamt. Dort geht die Betreuung auf höherer Ebene weiter.
Was leitet die Kommune aus den Geschehnissen ab?
Harsefeld wird in sozialpädagogisches Personal investieren, sagt Samtgemeindebürgermeisterin Ute Kück. Der Ort biete zudem viele Freizeiteinrichtungen, in denen direkt und indirekt Präventionsarbeit geleistet wird. Außerdem könnten Jugendliche Ideen einbringen, die auch umgesetzt werden. Kück spricht sich dafür aus, dass sich Behörden nach solchen Fällen noch besser vernetzen.

Frauke Schulte, stellvertretende Leiterin des Amtes für Jugend und Familie beim Landkreis Stade. Foto: Berlin
„Reine Jugendhilfe stößt da schnell an ihre Grenzen“, sagt die stellvertretende Leiterin des Kreisjugendamtes, Frauke Schulte. Jugendschutz-Teams gehen nach den Ferien gezielt in die Schulen, um Schüler zu beraten.
Das sind die Forderungen der Kommune
Susanne de Bruijn fordert stellvertretend für die Politik eine stärkere Polizeipräsenz in Harsefeld. „Es ist gut, dass die Polizei hier ist und sie macht eine gute Arbeit. Aber es ist tatsächlich zu wenig“, sagt sie. Für die Einwohner einer so großen Gemeinde sei es nicht verständlich, warum die Polizeistation nicht rund um die Uhr besetzt sei.
Ute Kück nimmt zudem das Land in die Pflicht. Sie fordert mehr Schulsozialarbeiter. Zuletzt sei die Kommune selbst vorgeprescht und habe auf eigene Rechnung eine Sozialpädagogin eingestellt. Solch eine Stelle war an den Grundschulen in Harsefeld bislang nicht besetzt. Aber schon in dem Alter sollen Sozialarbeit und Prävention beginnen.

Ute Kück, Bürgermeisterin der Samtgemeinde Harsefeld. Foto: Berlin
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