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Proteste

TNach Wirbel um AfD-Kandidatin Kaiser – So lief der Tag in Tarmstedt

Die Teilnehmer der Podiumsdiskussion in der KGS Tarmstedt (von links): Marie-Thérèse Kaiser (AfD), Jan Bauer (CDU), Jan Koepke (FDP), Frauke Langen (SPD), Joachim Fuchs (Grüne), Christoph Podstawa (Die Linke).

Die Teilnehmer der Podiumsdiskussion in der KGS Tarmstedt (von links): Marie-Thérèse Kaiser (AfD), Jan Bauer (CDU), Jan Koepke (FDP), Frauke Langen (SPD), Joachim Fuchs (Grüne), Christoph Podstawa (Die Linke). Foto: Harscher

Draußen wurde demonstriert, drinnen in der Europaschule standen die Spitzenkandidaten des Wahlkreises Stade I-Rotenburg II Rede und Antwort. Im Publikum: der Staatsschutz.

Von Saskia Harscher und Pia Willing Dienstag, 28.01.2025, 05:00 Uhr

Tarmstedt. Im Zuge der bevorstehenden Bundestagswahl am 23. Februar hatte der Politik-Leistungskurs des zwölften Jahrgangs der KGS Tarmstedt, eine Europaschule im Landkreis Rotenburg, die Direktkandidaten des Wahlkreises 30 und andere Vertreter der Parteien zu einer Podiumsdiskussion eingeladen. Auf der Bühne Platz nahmen am Montagmorgen: Frauke Langen (SPD), Joachim Fuchs (Grüne), Jan Bauer (CDU), Jan Koepke (FDP), Christoph Podstawa (Die Linke) und Marie-Thérèse Kaiser (AfD).

Um Letztgenannte hatte es im Vorfeld viel Wirbel gegeben. Das Rotenburger Bündnis „Aufstehen gegen Rassismus“ kritisierte die Einladung der „in zweiter Instanz verurteilten Volksverhetzerin“ Kaiser ausgerechnet am Holocaust-Gedenktag. Auch die Lehrer-Gewerkschaft GEW und die ortsansässige SPD übten Kritik. Proteste am Montag waren erwartet worden.

Vor der KGS Tarmstedt fanden friedliche Proteste gegen die Einladung der AfD-Vertreterin Marie-Thérèse Kaiser statt.

Vor der KGS Tarmstedt fanden friedliche Proteste gegen die Einladung der AfD-Vertreterin Marie-Thérèse Kaiser statt. Foto: Willing

Der Direktkandidat der Partei Volt, Malte Hermsteiner, sagte seine Teilnahme wegen des Kommens von Kaiser noch kurzfristig ab.

Kundgebung: Keine Bühne für Volksverhetzung

Die Demonstranten versammelten sich in der Tat in aller Frühe gegen 7.50 Uhr vor der Schule. Jürgen Marherr (70), Mitglied im SPD-Ortsvorstand Tarmstedt, bezeichnete die Veranstaltung als „Verunglimpfung der Opfer des Holocaust“. Er warf den Verantwortlichen der Podiumsdiskussion mangelndes Fingerspitzengefühl vor.

Auch Peter Vollhardt (74) aus Wilstedt, Mitglied des Freundeskreises „Asyl der Samtgemeinde Tarmstedt“, kritisierte die Einladung deutlich. Der Verein betreut geflüchtete Kinder und Jugendliche, die die KGS besuchen. „Die Konfrontation dieser Schüler und Schülerinnen mit einer Partei, die offen über ‚Remigration‘, also die zwangsweise Rückführung von Migranten, spricht, ist aus unserer Sicht unverantwortlich“, sagte der 74-Jährige.

Die Kundgebung am frühen Morgen blieb friedlich.

Die Kundgebung am frühen Morgen blieb friedlich. Foto: Harscher

Johann-Georg Eule (88) aus Vorwerk nahm ebenfalls teil. Sein Protest richtete sich nicht direkt gegen die Veranstaltung der Schule. Er würdigte den Mut der KGS, sich politischen Diskussionen zu stellen, auch mit einer AfD-Vertreterin, sah die Einladung jedoch kritisch.

Die Teilnehmenden draußen waren sich einig: Es darf keine Bühne für Volksverhetzung geben. Stattdessen schlagen sie Gedenktage oder Workshops vor, um demokratische Werte und Toleranz zu fördern. Junge Menschen müssten lernen, die Strategien der Rechten zu durchschauen, da diese oft Hass und Hetze verbreiten.

Wie stehen die Parteien zur Migration?

In der Schule baten Schüler die Direktkandidaten um Antworten. Zu den zentralen Themen gehören Migration, Wehrpflicht, Abtreibung, Genderverbot und Klimapolitik.

Ob sie die Einwanderung nach Deutschland unterstützen und welche Konzepte für die Migration vorgesehen sind, wollten Ria Köster und Jana Gerdes, die die Moderation führen, wissen.

Für Christoph Podstawa (Die Linke) stand fest: „Migration ist ein selbstverständlicher Teil unserer Gesellschaft und wird es auch immer bleiben.“ Mit ihm und seiner Partei gebe es keine Verschärfung des Asylrechts. „Sicherheit geht mit sozialer Sicherheit einher“, sagte Podstawa. Wichtig sei, die Menschen schnell in Arbeit zu bekommen, schnell und ausreichend Sprachkurse anzubieten und ebenso psychosoziale Unterstützung für die Menschen, die nach Deutschland kommen und zum Teil schwer traumatisiert sind.

Joachim Fuchs (Grüne), Lehrer an der IGS Buxtehude, betonte, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist und schon jetzt mehr als 30 Prozent der Menschen einen Migrationshintergrund haben. Auch er will, dass die Menschen schnell arbeiten dürfen und fordert, Berufsabschlüsse anzuerkennen. So könne man auch dem bestehenden Fach- und Arbeitskräftemangel in Deutschland begegnen.

Dem schloss sich die Harsefelderin Frauke Langen (SPD) an und schob nach: „Integration geht über Sprache.“ Dies funktioniere gut in Kitas, Schulen, aber auch am Arbeitsplatz. Kritisch merkte sie an, „wir sind in Deutschland in einem Vollzugsdefizit“. Heißt, dass Menschen, die schon ausreisen müssten, noch nicht ausgereist sind. Es gelte in diesen Fällen, bereits bestehendes Recht auch umzusetzen.

Collien Meyer und Antonia Müller von der Schülervertretung (SV) der KGS Tarmstedt stehen vor einem Transparent: Die Schülerinnen und Schüler stellten klar, dass die Schule für Vielfalt und Demokratie steht.

Collien Meyer und Antonia Müller von der Schülervertretung (SV) der KGS Tarmstedt stehen vor einem Transparent: Die Schülerinnen und Schüler stellten klar, dass die Schule für Vielfalt und Demokratie steht. Foto: Harscher

Für Jan Koepke (FDP) stand ebenfalls fest, dass es Migration brauche, um dem Fachkräftemangel zu begegnen. Seine Partei fordere schnellere Asylverfahren einerseits, aber auch konsequente Rückführungen bei fehlender Bleibeperspektive, sagt er.

Jan Bauer von der CDU sagte: Es braucht Integration und Migration in den Arbeitsmarkt, allerdings keine Migration in Sozialsysteme. Er spricht sich dafür aus, dass die Lasten, die mit der Migration verbunden sind, europaweit gleichmäßiger verteilt werden müssen. Besonders die Kommunen seien übermäßig belastet. Zudem gelte es, die Fluchtursachen zu bekämpfen und „Entwicklungshilfe vor Ort“ zu fördern.

AfD-Frau Kaiser, Mitarbeiterin im Berliner Bundestagsbüro der AfD-Parteivorsitzenden Alice Weidel, regte an, zu überprüfen, ob Fluchtursachen überhaupt noch gegeben seien und ob man den Menschen nicht besser heimatnah eine Zuflucht schaffen könnte („Wir müssen ja nicht gleich alle herholen“).

In Bezug auf das Remigrations-Konzept der AfD sagte Kaiser, dass dies nicht heiße, „dass alle Ausländer und Menschen mit Migrationshintergrund raus sollen“. Vielmehr gehe es darum, zurück zur Rechtsstaatlichkeit zu kommen. Derzeit, so die AfD-Vertreterin, würden Gesetze gebrochen.

Der Grüne Fuchs hakte sofort ein und kritisiert ihren Versuch, dem Begriff Remigration einen positiven Anstrich zu verpassen und damit Massenabschiebungen zu verharmlosen.

AfD-Frau reagiert auf „Volksverhetzerin“-Nachfrage

Mehrfach wurden an diesem Vormittag Faktencheck-Zettel in die Höhe gehalten. Wann immer die Schüler das Gefühl hatten, die Politiker erzählten Quatsch, wurden Notizen gemacht. Im Nachgang soll die Veranstaltung weiter bearbeitet und auch Falschaussagen entlarvt werden.

Interessant: Im Publikum hatten am Montag auch Beamte des Staatsschutzes aus Rotenburg Platz genommen. Hellhörig dürften sie geworden sein, als sich Kaiser auf Nachfrage einer Schülerin zu ihrer Verurteilung wegen Volksverhetzung äußerte.

Auf offener Bühne wiederholte Kaiser am Montag jene Aussage, wegen der sie bereits verurteilt worden ist: Für ihre Social-Media-Profile erstellte Kaiser eine sogenannte Kachel mit dem Text: „Afghanistan-Flüchtlinge; Hamburger SPD-Bürgermeister für ,unbürokratische‘ Aufnahme; Willkommenskultur für Gruppenvergewaltigungen?“

Wehrpflicht: Ja oder Nein?

Die zweite Frage der Schüler behandelte die Wehrpflicht. Dies, so die Moderatorinnen, betreffe sie sehr direkt und deshalb wollen sie wissen, wie die Parteien zu einer möglichen Wiedereinführung der Wehrpflicht stehen.

Gegen die Wiedereinführung der Wehrpflicht sprachen sich Vertreter von Linke, Grünen, FDP und SPD aus. Frauke Langen betonte, dass die SPD weiterhin auf freiwilliges Engagement setze, „im zivilen wie im militärischen Bereich“. Für die Wiedereinführung der Wehrpflicht sprachen sich Marie-Thérèse Kaiser von der AfD und Jan Bauer von der CDU aus. Bauer betonte, dass die CDU die Wahlfreiheit zwischen Wehrpflicht und sozialem Engagement lasse.

Sollte der Paragraf 218 reformiert werden?

Wie die Parteien zum Thema Schwangerschaftsabbruch stehen, interessierte die jungen Menschen im Forum. Die Frage an die Kandidaten: Sollte es eine Reformation des Paragrafen 218 geben?

Ja, lautete die Antwort von den Vertretern von SPD, Linke, FDP und Grünen. Joachim Fuchs (Grüne) sagte: „Eine Legalisierung ist wichtig. Es ist absurd, dass so ein Thema im Strafrecht geregelt wird. Das muss da raus.“ Gegen eine Reformation des Paragrafen 218 sprachen sich die Vertreter von CDU und AfD aus. Auf die Frage, ob das auch im Fall einer Vergewaltigung gelte, sagte Kaiser, dass das bestehende Abtreibungsrecht einen Abbruch innerhalb der ersten zwölf Wochen erlaube und es somit keine Änderung brauche.

Podstawa: „Redet wie ihr wollt“

Wie stehen die Politiker zur geschlechtersensiblen Sprache? Wird es mit ihnen ein Genderverbot an Schulen wie in Bayern und Thüringen auch in Niedersachsen geben? Dass sie für Vielfalt auch in der Sprache stehen, betonten Langen (SPD), Fuchs (Grüne) und der Liberale Koepke („Jeder darf sich entfalten, wie er möchte“). Der Linken-Vertreter Podstawa hielt die Debatte für ein Ablenkungsmanöver und rief den Schüler zu: „Redet wie ihr wollt.“ Kaiser lehnte Gendersprache ab, hielt aber auch von einem Verbot nichts. Jan Bauer (CDU) umging die Frage und sagte, dass er einen Genderzwang ablehne.

Für welche Klimapolitik stehen SPD, CDU, Grüne. FDP, Linke und AfD?

Der Grüne Fuchs sagte, dass in der vergangenen Legislatur schon einiges an den Start gebracht wurde („Wir sind auf einem guten Weg“). Der Ausstieg aus dem Atomstrom sei richtig. Alle bisherigen Anstrengungen gelte es weiterzuverfolgen: „Der Klimawandel ist ein Fakt, das kann man nicht wegleugnen.“

Von dem FDP-Vertreter hörten die Schüler: „Die FDP setzt auf marktwirtschaftliche Lösungen und technologische Innovationen.“ Außerdem setze die Partei auf Emissionshandel.

Bauer von der CDU betonte, „der Klimawandel ist ohne Frage eine der größten Herausforderungen“. Aber, sagte Bauer: „Wir brauchen Grundlastkraftwerke und für Grundlast braucht man konventionelle Kraftwerke.“ Diese habe Deutschland vielfach nicht, mit der Folge, dass Energie aus dem Ausland gekauft werden müsse. Die CDU will in Forschung und Technik investieren und sieht insbesondere beim Thema Wasserstoff Chancen.

AfD-Vertreterin Kaiser sagte: „Die AfD ist für den Austritt aus dem Pariser Klimaabkommen und wir sind auch gegen den subventionierten Ausbau von erneuerbaren Energien.“ Es brauche einen innovativen Energie-Mix. Stichwort: Kernforschung. „Der Ausstieg aus der Kernkraft war viel zu früh“, so Kaiser.

Die SPD setzt auf den weiteren Ausbau mit erneuerbaren Energien, den Wasserstoffausbau und auf nachhaltige Mobilität. Das Ziel: „Deutschland klimaneutral zu machen, ohne Arbeitsplätze zu gefährden.“

Podstawa von den Linken betonte: „Wenn wir die Klimapolitik gut gestalten wollen, müssen wir die Kommunen stärken.“ Von der Klimapolitik der Linken sollen vor allem Menschen mit kleinen Einkommen profitieren. Der Nahverkehr soll stark ausgebaut und langfristig kostenfrei werden. Die Linke wolle weg vom individuellen fossilen Verkehr hin zum kollektiven und nachhaltigen.

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