TNotaufnahmen am Limit: Landärzte im Kreis Stade kritisieren Notfallreform

Im Fall der Fälle sollte nicht sofort die Notaufnahme aufgesucht werden. Foto: Jan Woitas/dpa
Wer gesundheitliche Probleme hat, geht immer häufiger in die Notaufnahmen der Kliniken, die überlastet sind. Die Folgen: Stress und Warterei. Gesundheitsminister Lauterbach will das System reformieren - doch es gibt Kritik aus dem Kreis Stade.
Landkreis. Beschwerden? Da führt der Weg vieler Menschen in die Notaufnahme nach Stade, Buxtehude oder Bremervörde, wenn kein niedergelassener Arzt zur Verfügung steht. Die Elbe Kliniken behandeln allein in Stade und Buxtehude fast 80.000 Patienten jährlich, die in die Notaufnahme kommen - Tendenz steigend.
Aber: Nicht jeder Patient, der denkt, ein Notfall zu sein, ist auch einer. Lange Wartezeiten und Frust sind die Folge, sowohl bei den Ärzten und Pflegern als auch bei den Patienten. Die vom Bundeskabinett im Juli 2024 beschlossene Reform soll dieser Problematik entgegensteuern.
Aus Sicht der Region: Dieser Reform-Teil ist sinnvoll
Akute Fälle sollen in Zukunft unter der Rufnummer 116117 von neuen Akutleitstellen beurteilt werden. Die Nummer gibt es schon. Hier geht es aber bisher weitgehend um Terminvergaben. Das soll sich in Zukunft ändern.
Ein standardisiertes Ersteinschätzungsverfahren soll klären, an wen sich der Anrufer wenden soll. Während der Sprechstundenzeiten werden Hilfesuchende vorrangig in die Praxen niedergelassener Ärzte gesteuert, so das Ziel von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD).

Die Rettungsleitstelle steuert die Notfalleinsätze über die Nummer 112 und koordiniert die Feuerwehren nach dem Ausrücken. Foto: Beneke
Wichtig für die Region: Die Notfall-Rufnummern 112 - sie läuft in der Rettungsstelle in Stade-Wiepenkathen auf - und 116117 arbeiten künftig verbindlich zusammen und müssen sich digital vernetzen. Diese Zusammenführung bei den Experten in der Leitstelle ist eine erklärte Forderung aus der Region.
Leitstelle in Wiepenkathen bereit für neue Aufgaben
Vor der Umstellung 2020 liefen beide Nummern bereits in Wiepenkathen auf, und aus Sicht der Beteiligten war es aufgrund der regionalen Nähe das bessere Modell. Derzeit läuft die 116117 in einem bundesweiten Callcenter auf.
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Eine Rückkehr zum zentralen System für beide Nummern wäre im Kreis Stade kein Problem. „Wir sind technisch und personell in der Lage, in Wiepenkathen diese Aufgabe zu erfüllen“, sagt Kreissprecher Daniel Beneke gegenüber dem TAGEBLATT.
Telemedizin aus Regionen mit vielen Ärzten sicherstellen
Laut Reform sollen für Notfälle flächendeckend rund um die Uhr telemedizinische und mobile Notdienste zur medizinischen Erstversorgung zur Verfügung stehen. Anrufer in den Akutleitstellen können durch Ärzte telefonisch, per Videosprechstunde oder einen Hausbesuch behandelt werden.

Der niedergelassene Kardiologe und Sportmediziner Dr. Stephan Brune ist Bezirksausschuss-Vorsitzender der Bezirksstelle Stade der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen (KVN). Foto: Wisser
Im Punkt der medizinischen Beratung per Video oder Telefon ist die Reform in den ländlichen Regionen nicht umstritten. „Der Aufbau von Telemedizinzentren ist absolut sinnvoll“, sagt Dr. Stephan Brune. Der in Stade niedergelassene Kardiologe und Sportmediziner ist Bezirksausschuss-Vorsitzender der Bezirksstelle Stade der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen (KVN) und damit höchster Repräsentant von 1000 Praxisärzten zwischen Hamburg und Bremen.
Hier beschleunigt die Reform das Praxissterben
Gerade in größeren Städten gebe es für solche Aufgaben genügend Ärzte. Regionen mit zu wenigen Medizinern würden davon profitieren, so Brune. Umstritten ist aber die Ausweitung der Notdienste durch niedergelassene Ärzte. „Wenn diese Pläne umgesetzt werden, beschleunigt sich das Praxissterben bei uns im ländlichen Raum“, sagt Brune.
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Die KVN organisiert ambulante Notfallangebote. Am Wochenende gibt es ärztliche Notdienste als Fahrdienst rund um die Uhr. Diese gibt es wochentags ab 19 Uhr. Dazu kommen niedergelassene Ärzte, die sich bereits jetzt mittwochs bis freitags an den Kliniken in Stade und Buxtehude um Patienten kümmern. Die Reform sieht vor, dass diese Dienste massiv ausgeweitet werden.
Integrierte Notfallzentren flächendeckend etablieren
Die neue Struktur für Notfälle sieht vor, dass Integrierte Notfallzentren (INZ) flächendeckend etabliert werden. Sie sollen rund um die Uhr eine zentrale Anlaufstelle für die medizinische Erstversorgung sein. Wie jetzt etwa an den Wochenenden würden niedergelassene Ärzte zeitlich deutlich ausgeweitet in den Räumen des Krankenhauses die Versorgung sicherstellen.
Übertragen auf den Elbe-Weser-Raum könnte das Konzept dazu führen, dass in ländlichen Regionen tageweise keine offene Arztpraxis zu finden ist. Denn Integrierte Notfallzentren mit ausgeweiteten Öffnungszeiten würden dazu führen, dass niedergelassene Ärzte zunehmend dort arbeiteten und nicht mehr als Haus- oder Fachärzte in der Fläche zur Verfügung stünden, so Brune. Das könnte das Praxissterben beschleunigen. Aufgrund der Ruhestandswelle der Baby-Boomer-Generation ist dies ohnehin ein Problem.
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„Ich fürchte, dass die Kollegen, die die Altersgrenze erreicht haben, aufhören, wenn zusätzliche Notdienste nachts und am Wochenende dazukommen“, sagt Brune. Das ist aus seiner Sicht, aber auch aus Sicht der Patienten, der falsche Weg.
Brune geht davon aus, dass die Ärzte in ihren Praxen mehr Kranke behandeln als im Notdienst. Viele Menschen haben schon jetzt Probleme, einen Hausarzt zu finden oder einen Facharzttermin zu bekommen. Brune befürchtet, dass es durch die Reform der Bundesregierung schlimmer wird.

Im Fall der Fälle sollte nicht sofort die Notaufnahme aufgesucht werden. Foto: Jan Woitas/dpa