Okertalsperre voll – Stadt Braunschweig erwartet Wassermassen

Blick auf die Staumauer der vollen Okertalsperre. Foto: Thomas Schulz/dpa
Im Landkreis Stade haben Feuerwehr und Deichverband die Hochwasser-Lage im Griff. In Braunschweig droht nun Ungemach. Auch andernorts brachen bereits Deiche. Entwarnung ist nicht in Sicht.
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Braunschweig/Hannover. Die Okertalsperre im Harz hat ihre maximale Kapazität erreicht. Über den Überlauf der Staumauer werde nun mehr Wasser in die Oker abgegeben, teilte die Stadtverwaltung Braunschweig am Dienstag mit. Statt 16 Kubikmeter pro Sekunden fließen nun 30 Kubikmeter pro Sekunde in den Fluss. Diese Notmaßnahme habe es zuletzt 1994 gegeben, hieß es.
Das Wasser ergießt sich nun in einer großen Fontäne in die Oker und lässt die Pegelstände weiter ansteigen. An der Talsperre beobachteten am Dienstag Hunderte Schaulustige das Geschehen.
Die Hochwasserlage in Braunschweig werde diese Maßnahme weiter verschärfen, so die Stadt. Es werde erwartet, dass die Welle in den späten Abendstunden in der Stadt ankomme.
Der Pegel am Eisenbütteler Wehr, der aktuell bei 132 Zentimetern stehe, könnte sich nach derzeitiger Prognose um etwa zehn Prozent erhöhen, so die Stadt. Es sei möglich, dass der Überlauf an der Talsperre im Laufe des Tages weiter geöffnet werden und sich die Wassermenge dadurch weiter erhöhe. Man gehe aber weiter davon aus, dass sich die durch die Oker und deren Nebenflüsse verursachten Überschwemmungen auf die ausgewiesenen Überschwemmungsgebiete beschränken.
Feuerwehr
T Hochwasser-Alarm: So ist die Lage im Kreis Stade
Wegen der drohenden Okerflut hat die Stadt mehrere Straßen in Flußnähe gesperrt. Autofahrer wurden aufgefordert, dort parkenden Fahrzeuge umzuparken. Straßen, die zur Oker führten, dürften überflutete werden, hieß es.

Passanten gehen in Braunschweig an einem Mobildeich entlang. Foto: Stefan Rampfel/dpa
Hochwasserlage bleibt in Niedersachsen angespannt
Der Niedersächsische Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN) rechnet in den kommenden Tagen weiter mit einer angespannten Hochwassersituation. „Tatsächlich ist die Lage in ganz Niedersachsen sehr angespannt“, sagte NLWKN-Direktorin Anne Rickmeyer am Dienstag an der Okertalsperre im Harz. In vielen Teilen des Landes sei auch in den kommenden Tagen mit steigenden Pegelständen zu rechnen, betonte Rickmeyer. „Wir haben ja einmal Hochwassersituationen in den großen Flüssen, aber wir haben natürlich auch überall im ganzen Land viele kleine Bäche, die anschwellen.“
Zahlreiche Flüsse traten über die Ufer und verwandelten die Umgebung in Seenlandschaften. In Northeim in Südniedersachsen und Uplengen im Kreis Leer brachen Dämme, in Rinteln (Kreis Schaumburg) und Sandkrug (Landkreis Oldenburg) gab es erste Evakuierungen.

Ministerpräsident Stephan Weil (rechts, SPD), und Dieter Rohrberg, Landesbranddirektor Niedersachsen, stehen vor einem gebrochenen Damm an der Ruhme bei Northeim. Foto: Julian Stratenschulte/dpa
Zwar stimme die jüngste Regenprognose des Deutschen Wetterdienstes optimistisch. „Ich bin jetzt erst mal froh, dass es zwei bis drei Tage nicht regnen soll“, sagte Rickmeyer. „Das heißt aber nicht, dass wir jetzt überall schon fallende Wasserstände haben, weil wir einfach sehr viel Wasservolumen im System haben.“ Große Sorgen macht ihr dabei auch die Mittelweser. „Da erwarten wir in den nächsten Tagen auch noch Höchstwasserstände.“ Zwar sei in Hannoversch Münden, wo sich Fulda und Werra zur Weser vereinen, offenbar der Höchststand erreicht. Aber im weiteren Flussverlauf werde es noch dauern, bis dieser Scheitel ankomme.
Niedersachsen: Hunderte kämpfen gegen das Hochwasser
Im Landkreis Leer kämpften in der Nacht zum Dienstag hunderte Menschen gegen die Wassermassen. In der Gemeinde Uplengen war der Deich der Hollener Ehe an zwei Stellen gebrochen, zudem sei er auf einer Länge von fast 500 Metern aufgeweicht, sagte Kreisfeuerwehrsprecher Dominik Janßen. 450 Einsatzkräfte und hunderte freiwillige Helfer waren vor Ort, um den Deich im Ortsteil Hollen mit Sandsäcken zu stabilisieren. Dies sei gut gelungen. „Im Großen und Ganzen ist die größte Gefahr erst einmal abgewendet“, sagte Janßen am frühen Dienstagmorgen. Die Situation werde aber weiter von Helfern beobachtet.
Ein zweiter Einsatzort im Landkreis Leer befinde sich im Bereich Langholt, sagte Feuerwehrsprecher Janßen. Dort sei ein Deich auf einer Länge von 150 Metern aufgeweicht. Auch hier habe man ihn erfolgreich sichern können. An beiden Orten sei mittlerweile der Höchstwasserstand erreicht worden, das Wasser steige also nicht mehr.

Mit einer Menschenkette werden gefüllte Sandsäcke zu den Bruchstellen im Landkreis Leer gebracht. Foto: Lars Penning/dpa
In der Gemeinde Hatten im Landkreis Oldenburg wurde ein Deich im Ortsteil Sandkrug instabil. Die Bewohner zweier Straßen müssten evakuiert werden, teilte die Feuerwehr in der Nacht zu Dienstag mit. Es handele sich nicht um einen Deich der Hunte, sondern einen Deich des Fleths. „Wir appellieren an die Anwohner, den Anweisungen der Rettungskräfte und Behörden Folge zu leisten“, hieß es in der Mitteilung. Wie viele Menschen betroffen waren, war zunächst nicht bekannt. Am Dienstagmorgen sollte die Stabilität des Deichs erneut beurteilt werden. Bis dahin solle der Deich durch Sandsäcke stabilisiert werden. Ein Deichbruch wurde als unwahrscheinlich eingeschätzt.
Für die Flussgebiete der Oker und der Innerste warnte der Niedersächsische Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN) vor einer weiteren Verschärfung der Hochwasserlage. Da im Harz bis zum Dienstagvormittag weiterer Regen vorausgesagt sei, werde eine dritte Hochwasserwelle in den Zuflüssen zu den Talsperren erwartet. Dadurch würden sich die Harztalsperren so stark füllen, dass voraussichtlich mehr Wasser abgelassen werden müsse, was dann zu einer deutlichen Verschärfung der Hochwasserlage führe, hieß es in der Mitteilung des NLWKN.

Ein Schlauchdamm liegt neben dem Bach Abzucht, um die Goslarer Altstadt vor Hochwasser zu schützen. Foto: Stefan Rampfel/dpa
Der Talsperrenbetreiber Harzwasserwerke bat Schaulustige in einer Mitteilung, nicht an die Talsperren zu fahren. Für den Harz hatte der Deutsche Wetterdienst (DWD) eine Unwetterwarnung bis Dienstagmittag herausgegeben. Demnach werden Niederschlagsmengen zwischen 50 und 80 Liter pro Quadratmeter erwartet, in sogenannten Staulagen - also am Rand des Gebirges - sogar von 90 Litern pro Quadratmeter.
Weil besucht Hochwassergebiet - „Sind noch nicht über den Berg“
Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) hat sich am Dienstag ein Bild von der Hochwasserlage im Land gemacht. Bei einem Besuch in Northeim in Südniedersachsen, wo ein Damm gebrochen war, dankte er den Zehntausenden Helfern für ihren Einsatz über die Weihnachtsfeiertage.
Ausdrücklich ging sein Dank an die Drohnengruppe der Feuerwehr Fredesloh (Landkreis Northeim), die seit drei Tagen ununterbrochen damit beschäftigt gewesen sei, die Lage aus der Luft zu beurteilen. „Es zeigt sich, dass dieses Engagement wirklich dringend notwendig ist“, sagte Weil.
In Northeim war ein kleiner Damm gebrochen. Zum Glück sei das Wasser nur in eine angrenzende Kiesgrube geflossen, sagte Landesbranddirektor Dieter Rohrberg. Man könne daran aber exemplarisch sehen, welche Auswirkungen das Hochwasser habe. Insgesamt seien im Land allein 100.000 Feuerwehrleute im Dauereinsatz, um Dämme zu sichern. Hinzu kämen Kräfte des Technischen Hilfswerks und anderer Hilfsorganisationen. „Insofern wirklich Respekt vor den Einsatzkräften.“
Wie lange der Einsatz noch gehen werde, sei noch nicht abzuschätzen, sagte Rohrberg. „Das können wir noch nicht sagen. Aber wir sind noch nicht über den Berg.“ Auch Weil sagte: „Es ist völlig klar, wir sind noch nicht über den Berg.“ Die Wetterprognosen seien eher ungünstig. Die Situation, die jetzt schon angespannt sei, werde sich dadurch noch weiter verschärfen. „Deswegen werden wir in den nächsten Tagen mit Sicherheit überall höchst aufmerksam sein müssen.“
Weil besuchte neben der Okertalsperre und Northeim am Dienstag auch das Lagezentrum des Landkreises Hildesheim und die Freiwillige Feuerwehr in Sarstedt (Landkreis Hildesheim), wo die Innerste in die Leine mündet. Zahlreiche Schaulustige würden den Weg in den Ort finden, berichtete der Ortsbürgermeister des Sarstedter Ortsteils Ruthe, Christoph Haferland: „Ich bin sprachlos über diesen Katastrophentourismus.“