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Schockanruf

T„Oma, Oma hilf mir“: Horneburger Seniorin trickst Betrüger aus

„Das hätte wirklich ihre Stimme sein können“, sagt die Horneburger Seniorin über die Psychotricks der Betrüger.

„Das hätte wirklich ihre Stimme sein können“, sagt die Horneburger Seniorin über die Psychotricks der Betrüger. Foto: Sebastian Gollnow/dpa

Die Stimme am anderen Ende der Leitung klingt täuschend echt, lässt zweifeln. 45.000 Euro soll die 85-Jährige zahlen. Doch sie hat eine clevere Idee.

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Von Björn Vasel
Dienstag, 03.12.2024, 11:45 Uhr

Horneburg. Telefonbetrüger haben im vergangenen Jahr bundesweit mehr als 117 Millionen Euro erbeutet. Vor allem eine Masche nimmt zu: der Schockanruf. Dabei behauptet der Betrüger zum Beispiel, ein naher Angehöriger sei in einen schweren Unfall verwickelt worden und benötige Geld, um nicht in Haft zu landen. Die sprachgewandten, psychologisch versierten Betrüger sitzen häufig in Callcentern in Polen oder in der Türkei, sagt Polizeisprecher Rainer Bohmbach. Die Aufklärungsquote sei gering.

In den vergangenen Jahren seien bis zu 62 Schockanrufe aktenkundig geworden. „Das Dunkelfeld ist hoch“, sagt Bohmbach. Die Kriminalstatistik der Polizeiinspektion Stade verzeichnet für die Jahre 2021 bis 2023 bis zu drei „vollendete“ Schockanrufe. Die tatsächliche Zahl beim Callcenter-Betrug dürfte „deutlich höher liegen“. Viele Opfer melden sich aus Scham nicht bei der Polizei, auch die eigene Familie erfährt oft nicht, dass Schmuck und Geld weg sind.

„Der Anrufer klang sehr überzeugend“

Mehrere 10.000 Euro - in Form von Bargeld, Schmuck und Goldmünzen - erbeuten Kriminelle mit der Betrugsmasche jedes Jahr im Kreis Stade. Doch bei einer Horneburgerin (85) bissen die Betrüger auf Granit. Elisabeth Müller (Name von der Redaktion geändert) und ihr Mann gingen den Betrügern nicht auf den Leim. Sie will nicht, dass Verbrecher weitere Opfer finden. Deshalb erzählte sie dem TAGEBLATT ihre Geschichte.

Eines Abends habe ihr Telefon geklingelt. Der Mann am anderen Ende der Leitung gab sich als Polizist aus. Er rufe aus dem Präsidium in Hamburg an. Auf der Wache sitze die Enkelin. Diese sei in einen schweren Autounfall verwickelt worden.

„Der Anrufer klang sehr überzeugend“, sagt die 85-Jährige. Er habe sofort Druck aufgebaut. Auch ihre Enkeltochter sei verletzt und habe nicht nur Prellungen, sondern auch einen Schock erlitten. Ihre Eltern seien aktuell nicht erreichbar, ausnahmsweise rufe er deshalb die Großeltern an. Und lediglich ein Anruf sei der Enkelin erlaubt.

Für die Rentnerin brach eine Welt zusammen

Auf die Frage, was passiert sei, behauptete der vermeintliche Polizist: „Ihre Enkelin hat bei Rot eine Ampel überfahren und dabei einen Radfahrer übersehen.“ Des Weiteren werde ihr Fahrerflucht vorgeworfen. Der Alkohol- und Drogentest habe nichts ergeben, sagte der Anrufer. Er erhöhte den Druck: Die Enkelin sei deshalb voll schuldfähig. Als sich die Großmutter um das Unfallfahrzeug kümmern wollte, legte der falsche Verkehrspolizist nach. Der Radfahrer sei mittlerweile verstorben.

„Das ist eine große Straftat“, sagte der Mann. Fünf bis sechs Jahre müsse ihre Enkelin jetzt ins Gefängnis. Sie habe noch entgegnet, dass das ohne Gerichtsverfahren nicht gehe. „Für mich brach eine Welt zusammen“, sagt die Horneburgerin. Sie fragte, ob sie ihre Enkelin sprechen könne. Dann griff der Anrufer tief in die Psycho-Trickkiste: „Oma, Oma hilf mir“, sagte eine Frau mit weinerlicher Stimme.

„Ich konnte nicht erkennen, ob es wirklich ihre Stimme war und bat den vermeintlichen Beamten, mir die Enkelin zu beschreiben“, berichtet die 85-Jährige weiter. Da habe der Beamte gefragt: „Wie alt ist ihre Enkelin denn?“ Sie antwortete, dass diese 28 Jahre alt sei. Er habe daraufhin gesagt: „Ja, das kommt hin.“ Natürlich habe sie ihn gefragt, wie die Enkelin aussehe. Er wich aus, sie nannte ihren Namen. Er legte nach: „Ja, das ist Ihre Enkelin.“

Horneburgerin geht falschem Polizisten nicht auf den Leim

„Das hätte doch wirklich alles stimmen können“, sagt die Horneburgerin, „dennoch wurde ich misstrauischer.“ Der Betrüger erhöhte den Druck. Die Enkelin müsse jetzt in die Zelle. Sie habe nur noch eine Option: eine Kaution per Überweisung, in bar oder in Goldbarren, Goldmünzen oder Schmuck. 45.000 Euro sollte sie hinterlegen - umgehend.

„Der erste Schock hatte sich bei mir gelegt. Ich hatte zu dem Zeitpunkt schon im Hinterkopf, dass das ein Enkeltrick ist“, sagt die taffe Horneburgerin. Er gab ihr eine Adresse eines Gerichts in Hamburg: Caffamacherreihe. Die wollte der Anrufer allerdings mit K schreiben.

„Das alles machte mich total skeptisch“, erzählt die Rentnerin. Sie holte ihren Mann aus dem Werkraum im Keller. Erneut rief die Frau mit tränenerstickter Stimme: „Opa, Opa, was ist denn los mit dir?“ Auch ihr Mann habe nicht erkennen können, ob es tatsächlich ihre Enkelin ist. Er fragte nach dem Zweitnamen. Der spiele keine Rolle, sagte der falsche Polizist unwirsch.

Auf dem Display war keine Telefonnummer zu sehen. Doch auch echte Nummern der Polizei werden mit Tricks im Display angezeigt.

Auf dem Display war keine Telefonnummer zu sehen. Doch auch echte Nummern der Polizei werden mit Tricks im Display angezeigt. Foto: Roland Weihrauch/dpa

Polizei lobt Ehepaar aus Horneburg

Während ihr Mann telefonierte, rief die 85-Jährige mit dem Handy ihre Enkelin an. Diese meldete sich sofort. „Ich rief meinem Mann zu: Das ist ein Enkeltrick.“ Der Betrüger legte auf. Im Display war die Nummer mit „geschützt“ markiert. Sie sagt: „Das war schon ein geschulter Verbrecher.“

Polizeisprecher Bohmbach lobt die Horneburgerin und ihren Mann. Gezielt suchen sich die Betrüger ihre Opfer häufig in älteren Wohngebieten mit Hilfe von Telefonbüchern aus, sie schauen nach älteren Vornamen. Sein Tipp: Telefonbucheintrag löschen. Er sagt: „In keinem Fall werden Polizeibeamte und Staatsanwälte ein Gespräch nach einem Unfall per Telefon führen. Die Polizei fordert weder Geld oder Wertgegenstände für Strafen noch für Kautionen.“ Die Polizei sollte umgehend über 110 informiert werden. Mehr Tipps unter: www.polizei-beratung.de.

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