TProbleme: Alter Handwerksberuf findet keinen Nachwuchs

Einer der wenigen seiner Zunft: Reetdachdeckermeister Helmut Müller in Rutenbeck - oben über der Gaube arbeitet sein Sohn Christoph. Foto: Laudien
Viebrocks Gasthaus in Rutenbeck wird aktuell neu mit Reet gedeckt. Nur noch wenige beherrschen diese spezielle Handarbeit. So wie Helmut Müller.
Rutenbeck. Viebrocks Gasthaus ist derzeit aufgrund von Dachdeckerarbeiten von einem Baugerüst abgesichert. Das Restaurant hat dennoch geöffnet. Lediglich Dienstag und Mittwoch ist Ruhetag. Momentan arbeiten Helmut Müller und sein Team aus Heinbockel an dem reetgedeckten Dach. Ein Bild mit Seltenheitswert. Denn nur noch wenige beherrschen das Handwerk des Reetdachdeckens. Fachkräfte sind rar - wie in vielen anderen Handwerksberufen fehlt es auch hier an Nachwuchs.
Helmut Müller ist einer der wenigen seiner Zunft. Der Reetdachdeckermeister hat sich auf die traditionelle Art des Dachdeckens spezialisiert, hat das Reetdachdeckerhandwerk von der Pike auf gelernt. Nach Abschluss der Lehrausbildung 1984 hat er als Geselle alle Aspekte dieses Berufes kennengelernt und praktische Erfahrung gesammelt, bevor er sich als Reetdachdeckermeister 1995 selbstständig machte.
Auch Quereinsteiger werden genommen
In Rutenbeck arbeitet Müller zusammen mit einem Gesellen und Sohn Christoph, der Dachdeckermeister ist. Ein Glücksfall für den Handwerksbetrieb. Dennoch werden händeringend weitere Mitarbeiter gesucht - so wie in vielen anderen Branchen auch. Eine Spezialisierung wie das Reetdachdecken macht die Suche nach Fachkräften noch schwieriger. „Wir brauchen dringend Hilfe und nehmen daher auch gerne Quereinsteiger. Schwindelfrei müssen sie allerdings sein“, sagt Müller.
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In Rutenbeck arbeitet das Team derzeit hoch oben. „Der Heidefirst muss erneuert werden“, sagt Müller. Das getrocknete Heidekraut stammt aus der Lüneburger Heide und Mecklenburg-Vorpommern. Zuvor wurden bereits an der Vorderseite der Erker und das Reetdach entmoost und ausgebessert. Insgesamt werden die Arbeiten in Rutenbeck rund drei Wochen dauern, schätzt Müller.
Arbeiten wie im Mittelalter
„Das Reetdach hat in unserer Region eine alte Tradition und wir arbeiten noch heute ähnlich wie im Mittelalter“, so Müller. Nach wie vor sind handwerkliche Präzision, Materialkenntnisse und gestalterische Fähigkeiten ausschlaggebend für ein qualitativ hochwertiges Reetdach - Eigenschaften, die nur durch langjährige Erfahrung als Reetdachdecker erworben werden können und nicht durch Maschinen ersetzbar sind. „Im Alten Land bis nach Kehdingen gibt es noch etliche reetgedeckte Häuser. Aber auch neue Reetdächer werden von Bauherren wieder verstärkt gewünscht“, sagt Müller.
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Müller übernimmt sämtliche Arbeiten rund ums Reetdach, von den ersten Planungsschritten bis zu einer termingerechten Fertigstellung. Dazu gehören auch die Gestaltung von Dachgauben, Pflege, Wartung und Sanierung von Reetdächern, Entmoosung, Verlegung von Heidefirsten und Dachreinigung sowie schnelle Hilfe bei Sturmschäden. „Auf Wunsch verarbeiten wir auch zertifiziertes Reet, das nach den Empfehlungen der Denkmalpflege sowie auf Pilz- und Insektenbefall geprüft wurde.“
Reet ist getrocknetes Schilfrohr und somit ein nachwachsender Rohstoff, der ohne Zerstörung natürlicher Ressourcen klimaneutral gewonnen und verarbeitet werden kann. Zudem schafft Reet ein angenehmes Raumklima durch gute Isolierung gegen Hitze im Sommer und Kälte im Winter. Das von Müller verwendete Reet stammt aus Schleswig-Holstein sowie auch aus der Türkei, aus China, Ungarn und bis vor kurzem aus der Ukraine.