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Mordfälle

TProfiler Axel Petermann: „Die Leute lieben Verbrechen“

Axel Petermann hat mehrere Verbrechen als Profiler bearbeitet.

Axel Petermann hat mehrere Verbrechen als Profiler bearbeitet. Foto: Stefan Kuntner

Wie tickt ein Mörder? Axel Petermann hat als Polizist und Profiler mehrere Verbrechen bearbeitet. Der wichtigste Fall bleibt bis heute ungelöst.

Von Jan Iven Samstag, 08.06.2024, 13:50 Uhr

Landkreis Cuxhaven. Axel Petermann sieht ein bisschen so aus, wie man sich einen Fernseh-Kommissar vorstellen würde: Markante Gesichtszüge, längere weiße Haare und buschiger Schnurbart, dazu die Denkerfalten des angestrengten Ermittlers.

Der ehemalige Bremer Polizist und Profiler ist inzwischen Bestseller-Autor im beliebten Genre „True Crime“ und genauso sieht der 71-Jährige auch aus. Beim Anblick des Fotos kann man fast schon eine laute rauchige Stimme hören. Doch tatsächlich spricht Petermann im Interview sehr ruhig und klar, fast schon zurückhaltend. Und er ist ein aufmerksamer Zuhörer.

Herr Petermann, angeblich sind Sie als junger Polizist bei Ihrem ersten Fall in Ohnmacht gefallen, weil Sie kein Blut sehen konnten.

Ja, das stimmt, doch diese Anfälligkeit hat sich zum Glück gelegt. Es war während meiner einjährigen Zeit bei der Schutzpolizei. Wir wurden zu einem Betriebsunfall in einer Tischlerei gerufen; ein Mann war schwer verletzt. Bei dem Anblick ist mir ein bisschen blümerant geworden. Ich wurde dann mit dem Verletzten in die Klinik gebracht.

Stellen wir uns mal ganz dumm: Was macht denn ein Profiler oder Fallermittler?

Der Ermittler arbeitet auf der Spur: Er untersucht die Spuren am Tatort mit den Mitteln der Kriminaltechnik, etwa Blut, Fingerabdrücke oder Sperma, um diese dann einer bestimmten Person zuzuordnen, die Täter sein könnte. Ein Profiler hingegen versucht die Spur hinter der Spur zu lesen und die Entscheidung des Täters nachzuvollziehen. Warum begeht jemand auf eine ganz bestimmte Weise das Verbrechen? Was sind seine dahinterliegenden Bedürfnisse oder Fantasien? Was macht er mit der Leiche? All das trägt zur Rekonstruktion des Tatgeschehens bei, hilft das Motiv zu verstehen und den Täter zu finden - auch Jahre später noch.

Die Krankenschwester Bärbel Barnkow wurde am 4. September 1991 in Bremerhaven erschossen. Profiler Axel Petermann ermittelt damals im Fall der sogenannten Kopfschuss-Morde. Ein Täter wurde bis heute nicht gefunden.

Die Krankenschwester Bärbel Barnkow wurde am 4. September 1991 in Bremerhaven erschossen. Profiler Axel Petermann ermittelt damals im Fall der sogenannten Kopfschuss-Morde. Ein Täter wurde bis heute nicht gefunden. Foto: Heske

Axel Petermann hat als Polizist und später als Profiler einige Verbrechen in Bremerhaven bearbeitet. Einer seiner berühmtesten Fälle waren die sogenannten Kopfschuss-Morde, bei denen im September 1991 Bärbel Barnkow (45) und Ingrid Remmers (42) innerhalb kurzer Zeit in Bremerhaven und Bremen mit derselben Waffe erschossen wurden. Der Täter lauerte den beiden Frauen offenbar in ihren Autos auf.

Sie haben damals den zweiten „Kopfschuss-Mord“ in Bremen untersucht.

Ich wurde leider erst nach der Tatortarbeit informiert. Die Frau lag auf dem Rücksitz, und es sah nach einer Hinrichtung aus. In der Nähe lag die Scheckkarte von Bärbel Barnkow, dadurch ließ sich der Bezug nach Bremerhaven schnell herstellen. Doch was hatten die beiden Frauen miteinander zu tun? Hatten sie überhaupt etwas miteinander zu tun? Welches Motiv steckte dahinter? Dann meldete uns die Bremerhavener Polizei, dass ein bekannter Autodieb ein Geständnis abgelegt hat. Kurz vor der Pressekonferenz am nächsten Tag widerruft er in seiner Vernehmung mit mir und sagt, dass er den Stress in der Vernehmung nicht ertragen und nur deswegen gestanden habe.

Und war das glaubwürdig?

Ja, er hatte ein Alibi. Während des ersten Mordes hatte er Bekannten ein Autoradio verkauft und den gestohlenen Wagen vor einer Garage geparkt. Die Polizei war deswegen gerufen worden. Er konnte es demzufolge nicht gewesen sein. Der Fall hat mich auch am meisten beschäftigt, weil er nie aufgeklärt werden konnte.

Wie sehr nagt es an einem, wenn man Fälle nicht lösen kann?

Sehr. Man zweifelt immer wieder an sich selbst: Lag ich mit meinen Ermittlungen und meiner Analyse richtig? Warum mordet ein Täter nicht weiter? Lebt er überhaupt noch?

Sie haben später ihre eigenen Ermittlungen in dem Fall noch einmal als Profiler untersucht. Gibt es da keinen Interessenkonflikt?

Das ist schon ein bisschen verrückt. Bremerhaven und Bremen hatten inzwischen eigene Mordkommissionen und die Ermittlungen gingen über Jahre hinweg. Ich würde es auch unglücklich finden, wenn man sich nicht mehr mit Fällen beschäftigen sollte, weil man vorher in der Mordkommission war. Profiler arbeiten nicht allein. Da kann ich die Diskussion befruchten, ohne eine Richtung vorzugeben. Die ehemaligen Ermittler eines Falls werden bei Fallanalysen je auch immer wieder in die Rekonstruktion der Tatabläufe eingebunden oder können Angaben zur Persönlichkeit des Opfers machen.

An welche Fälle aus Bremerhaven erinnern Sie sich noch?

Es gab Anfang der 2000-er Jahre einen Serienvergewaltiger, der mit einem Massen-DNA-Test gefunden wurde. Der ist durch offene Fenster in Häuser eingedrungen, etwa in einem Hotel im Bürgerpark. Wir haben damals eine Analyse gemacht, um herauszufinden, welches Profil der Täter haben dürfte und wo er wohnen könnte. Daraufhin sind von den Bremerhavener Kollegen über 2000 DNA-Proben im Bereich der Hafenstraße genommen worden. Es hat etwas länger gedauert, weil der die Stadt verlassen hatte, aber am Ende hat er aufgrund eines Gerichtsbeschlusses seinen Speichel abgeben müssen und konnte überführt werden. Es gab auch noch weitere Fälle, wie eine ermordete transsexuelle Prostituierte, den Taxifahrer-Mord und einen Hausmeister vom Fischereihafen, der seine Nachbarin auf abscheuliche Weise ermordet hat.

Als Profiler schauen Sie sich auch ältere Fälle an und stoßen eventuell auf Ermittlungspannen von Kollegen. Macht man sich damit auch mal unbeliebt?

Ich sag‘ mal so: Ich renne nicht immer offene Türen ein. Das war zu meiner aktiven Zeit schon so, obwohl ich „Stallgeruch“ hatte, selbst eine Mordkommission geleitet hatte und die Arbeit in Bremen lange selbst mitgeprägt habe. Manche ehemaligen Kollegen waren misstrauisch. Beim Parkhausmord in München habe ich mir sogar den Zorn eines Kollegen vor Ort zugezogen; es ist schon ein Zeichen von Stärke, zu seinen Fehlern zu stehen. In Bremerhaven war das allerdings nie so. Da gab es eine hohe Akzeptanz. Deswegen habe ich immer sehr gern in Bremerhaven gearbeitet.

Großes Interesse am prominenten Gast 2023 in Debstedt: Astro-Inhaber Thomas Graudenz (links) und Mitorganisator Lars Behrje, Geschäftsführer von Mahrenholz Bremerhaven (stehend), freuen sich auf die Lesung von Profiler Axel Petermann, der mit Ehefrau Anna viel über seine Arbeit erzählt.

Was ist denn ein True-Crime-Thriller? True-Crime oder Fiktion?

In meinem Buch beides. Es geht um einen echten Fall aus Kanada, der mich beruflich geprägt hat und den wir nach Deutschland verlegt haben. Das kanadische Pärchen Paul Bernardo und Karla Homolka hatte gemeinsam gemordet und vergewaltigt. Er hatte ihr immer wieder vorgeworfen, dass sie bei ihrem Kennenlernen keine Jungfrau mehr war. Um sich davon reinzuwaschen, hat sie ihm mehrere Mädchen zugeführt, die er vergewaltigt und getötet hat. Auch ihre jungfräuliche Schwester hat sie ihm präsentiert. Parallel war er noch als Alleintäter aktiv.

Woher kennen Sie denn ihre Co-Autorin Petra Mattfeldt und wie kann man sich die Zusammenarbeit vorstellen?

Wir kennen uns seit ein paar Jahren. Sie war in der Kanzlei ihres Mannes beschäftigt, die ein Opfer vertreten hat, das in einem meiner Fälle betroffen war. Wir hatten immer wieder die Idee, gemeinsam zu arbeiten und haben das vor zwei Jahren schließlich umgesetzt. Petra schreibt den Plot, ich schaue ihn mir an und tauche dann in die Gedankenwelt der Täter und unserer Protagonistin Sophie Kaiser ein, die natürlich Profilerin ist. Von mir kommen die Arbeitsweisen der Ermittler und das kriminalistische Know-How.

Die True-Crime-Welle ist ungebrochen. Wie erklären Sie sich die Faszination für echte Fälle?

Ich denke, dass die Menschen das Verbrechen in gewisser Weise lieben, auch wenn wir es natürlich nicht selbst erleben wollen. Es fasziniert uns, wozu Menschen fähig sind. Und die Leser können aus sicherer Entfernung völlig fremde Milieus und bizarre Gedankenwelten kennenlernen. Wenn ich für Lesungen in den Orten bin, in denen sich die Taten zugetragen haben, herrscht eine ganz andere Betroffenheit im Publikum. Ich hatte mal eine Veranstaltung in einem Ort in der Schweiz über zwei ermordete Mädchen (Der Kristallhöhlenmord. Anm. d. Redaktion). Einer der Zuhörer glaubte, sich in meinen Beschreibungen des Täters wiedererkannt zu haben und beschwerte sich lauthals über mich. Er war sehr schwer zu beruhigen und ging dann zum Glück.

Bei True-Crime geht es um echte Opfer, deren Leid wir mehr oder weniger zu Unterhaltungszwecken konsumieren. Gibt es da auch moralische Grenzen?

Die Würde des Opfers muss natürlich gewahrt bleiben. Opfer dürfen nicht vorgeführt werden. Und es gibt Details der Verbrechen, die nicht veröffentlicht werden sollten. Es wird sehr viel über die Täter gesprochen und sehr wenig über die Opfer. Meine Frau und ich engagieren uns daher bei ANUAS, einer Hilfsorganisation, die sich um Angehörige von Verbrechen kümmert. Im Herbst organisieren wir eine Veranstaltung für Betroffene. Viele Angehörige leiden auch nach langer Zeit noch darunter, wenn die Taten nicht aufgeklärt werden. Ziel ist es, dass irgendwann auch Verlage, die mit True-Crime Geld verdienen, sich an solchen Projekten beteiligen.

Was haben Sie als Nächstes vor?

Jetzt fahre ich erst mal mit der „Mein Schiff“ ab Bremerhaven auf Lesereise nach England. Außerdem schreibe ich an meinem nächsten Sachbuch, das im Februar erscheinen soll. Abgabetermin ist im Oktober. Und mit Petra Mattfeldt präsentiere ich zum Monatsende „Ken und Barbie“, um uns dann an den dritten Roman zu setzen, bei dem wir Fälle aus Bremen zu einem Plot verquicken werden. Dann gibt es wieder Lesungen.

Denken Sie eigentlich ans Aufhören?

Immer wieder mal, aber es kommen auch immer wieder neue Anfragen. Mit der Zeit werde ich vielleicht etwas wählerischer bei den Themen, die ich annehme. Ich lasse das auf mich zukommen.

Großes Interesse am prominenten Gast 2023 in Debstedt: Astro-Inhaber Thomas Graudenz (links) und Mitorganisator Lars Behrje, Geschäftsführer von Mahrenholz Bremerhaven (stehend), freuen sich auf die Lesung von Profiler Axel Petermann, der mit Ehefrau Anna viel über seine Arbeit erzählt.

Großes Interesse am prominenten Gast 2023 in Debstedt: Astro-Inhaber Thomas Graudenz (links) und Mitorganisator Lars Behrje, Geschäftsführer von Mahrenholz Bremerhaven (stehend), freuen sich auf die Lesung von Profiler Axel Petermann, der mit Ehefrau Anna viel über seine Arbeit erzählt. Foto: Schoener

Zur Person

Axel Petermann hat ein Dutzend Bücher über Verbrechen und Profiler geschrieben, teilweise gemeinsam mit anderen Autoren. Im Internet läuft sein Podcast „Das entscheidende Indiz“, den er mit der Journalistin Teresa Sickert aufgenommen hat. Mit der Autorin Petra Mattfeldt wird er Ende Juni seinen zweiten Roman veröffentlichen, den True-Crime-Thriller „Im Kopf des Bösen: Ken und Barbie“.

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