TRätsel um Havarie: Darum ist die „Bremerhaven“ vor 60 Jahren gekentert

Nachdem das Schiff Schlagseite bekommen hatte, dauerte es nur wenige Minuten, dann kippte die "Bremerhaven" auf die Seite. Dabei knickte der Schornstein beim Aufschlag auf die Kaje ab. Foto: Archiv
Vor 60 Jahren kenterte die ‚Bremerhaven‘ im Hafen und sorgte für Schlagzeilen. Was die Sonderkommission dabei entdeckte, wirft ein neues Licht auf die dramatischen Ereignisse jener Nacht.
Bremerhaven. Ein Ruck, dann brechen die Leinen. Wasser strömt durch offene Bullaugen. Im letzten Moment rettet sich die Besatzung. Dann kippt die „Bremerhaven“ auf die Seite und sinkt.
Wie ein Lauffeuer verbreitete sich am 13. April vor 60 Jahren die Nachricht vom Untergang des gerade einmal fünf Jahre alten Schiffs im Bremerhavener Kaiserhafen, gleich hinter dem Binnenhaupt der Kaiserschleuse. Genauso schnell verbreiteten sich die unterschiedlichen Gerüchte für die Ursache des Unglücks. Sie reichten von falsch gebunkert bis hin zu Sabotage. Aber was war wirklich passiert?

Am Morgen nach dem Unglück gluckerte es noch im Rumpf des Schiffs. Rettungsflöße schwammen im Wasser, und der abgeknickte Schornstein lehnte an der Kajenmauer Unter den nun waagerechten Fenstern des Hauptdecks leuchtete das Rot der Schwimmwesten, die unter den Fenstern im Inneren der "Bremerhaven" im Wasser dümpelten. Foto: Archiv
Nur eine zehnköpfige Wachmannschaft an Bord
Nachdem die „Bremerhaven“ in den Wintermonaten zu Kreuzreisen in Skandinavien eingesetzt worden war, war das 88 Meter lange und 13,4 Meter breite Schiff gerade bei der Seebeckwerft fit für die neue Helgoland-Saison gemacht worden. Anschließend verholte die „Bremerhaven“ an die Kaje neben der Kaiserschleuse (häufig als Kaiser- oder Barbarossaplatz bezeichnet) und bunkerte am Liegeplatz 50 Tonnen Öl. Unter Deck wurden außerdem noch einige Malerarbeiten ausgeführt. Ein Teil der Besatzung ging nach der Arbeit an Land, nur eine zehnköpfige Wachmannschaft blieb an Bord.

Bevor das Schiff gehoben werden konnte, musste es aufgerichtet werden. Dafür brachten die Berger vier V-förmige Stützen an, die aus dem Wasser ragten. Die Stützen sollten beim Aufrichten als Hebel wirken. Foto: Archiv
Dramatische Minuten: Schornstein bricht ab
„Um 4.45 Uhr ging plötzlich ein Ruck durch das Schiff“, berichtete der Gangway-Wachmann später. „Die ,Bremerhaven‘, die mit vier Leinen vertäut war, krängte (seitlich neigen) nach Backbord, die Leinen brachen. Das Schiff legte sich gleich darauf merklich nach Steuerbord“, hieß es im Bericht der „Nordsee-Zeitung“ vom 14. April. Dann ging alles ganz schnell. „Raus, raus, das Schiff kentert“, brüllte der Matrose unter Deck, um die restliche Wachmannschaft zu wecken und zu warnen. „So wie sie waren, retteten sich die Männer, teils bereits in Kabinen und Gängen durch Wasser watend, an Land. Das Schiff lag bereits so schräg, dass sie über die Gangway kriechen mussten“, hieß es in dem Artikel. Kaum waren die Männer von Bord, neigte sich das schneeweiße Schiff, der Schornstein legte sich auf die Kajenkante und brach krachend ab. 15 Minuten später lag der Havarist auf der Seite auf dem Grund. Nur ein Teil der Bordseite des Mittelschiffs ragte aus dem Hafenwasser heraus.

Nachdem die "Bremerhaven" gehoben worden war, wurde das Schiff mit Hilfe von "Ausdauer" und "Energie" sowie mit Schlepperkraft 800 Meter weiter in den Kaiserhafen bugsiert. Foto: Archiv
Sonderkommission beginnt mit der Ursachenermittlung
Noch am Unglückstag begann eine Sonderkommission mit der Ursachenermittlung. Ebenso schnell wurde der Havarieort zum Besuchermagneten. „Das gekenterte Schiff war natürlich eine Sensation. Wie viele andere Bremerhavener pilgerte auch unsere Familie zum Hafen“, erinnert sich Dr. Wolfgang Rabbel. „Ich war damals acht Jahre alt. Ich erinnere mich, dass mir der Anblick des Schiffes, wie es so unter Wasser auf der Seite lag und durch die Wasseroberfläche schimmerte, etwas unheimlich war. Fast wie ein Blick auf eine riesige Wasserleiche“, schildert der heute 68-Jährige seine Erinnerung.

Die Bergung des Havaristen erwies sich als schwierig. Die beiden Hebeschiffe "Energie" und "Ausdauer" mussten ihren Namen alle Ehre machen - Energie und Ausdauer waren gefordert. Foto: Archiv
Havarie lockt Hunderte Schaulustige an
Spektakulär war auch die Bergung des Havaristen. Bereits wenige Tage nach dem Untergang wurde der Auftrag an die Hamburger Bugsier-Reederei- und Bergungsgesellschaft (gehört heute zur Fairplay-Gruppe) vergeben. Nach Bremerhaven beordert wurden dafür die Hebeschiffe „Energie“ und „Ausdauer“, damals zwei der stärksten Hebefahrzeuge der Welt.
Nach tagelangen Vorbereitungen kam es dann am Sonntag, 2. Mai 1965, zum Showdown. Mithilfe von sechs Trossen und einer am Havaristen angebrachten Stützkonstruktion wurde die „Bremerhaven“ in stundenlanger Arbeit langsam aufgerichtet und wieder auf den eigenen Kiel gedreht. Nachdem in den Folgetagen das Wasser im Hafenbecken um 30 Zentimeter angehoben worden war, wurde die „Bremerhaven“ mit Hilfe von „Ausdauer“ und „Energie“ sowie mit Schlepperkraft 800 Meter weiter in den Kaiserhafen bugsiert, und später in das Schwimmdock der Schichau-Werft verholt.

Die defekten Ventile wurden während der Seeamtsverhandlung Anfang Dezember 1965 auf einem Tisch präsentiert. Foto: Archiv
Griechische Reederei Sun Line kauft die „Bremerhaven“
Mitte Juni 1965 wurde das entschlammte Schiff wieder ausgedockt, und machte am ursprünglichen Liegeplatz im Kaiserhafen fest. Zu dem Zeitpunkt hieß es noch, dass die „Bremerhaven“ repariert werden soll. Einige Tage später war von Verkauf die Rede, und am 13. Juli 1965 hieß es in der „Nordsee-Zeitung“, dass die griechische Reederei Sun Line die „Bremerhaven“ (82.683 BRT) für 1,9 Millionen Mark (rund 971.455 Euro) gekauft habe. Knapp zwei Monate später wurde das Schiff zur Reparatur und Überholung nach Genua geschleppt, um anschließend als „Stella Maris II“ im Mittelmeer zu verkehren.
Rätselraten um die Gründe für den Untergang
Das Rätselraten um die Gründe für den Untergang wurde am Ende von der Sonderkommission gelöst. Ein durch einen abgebrochenen Flaschenhals blockiertes Ventil soll demnach dafür verantwortlich gewesen sein. Dadurch konnte das Wasser ungehindert von außenbords über eine Pumpe ins Schiffsinnere gelangen. Das Schiff bekam dadurch Schlagseite. Da die weniger als einen Meter über der Wasserlinie liegenden unteren Bullaugen wegen der Malarbeiten an Bord offen standen, könnte die Krängung für ein Volllaufen des Schiffes genügt haben, hieß es im Abschlussbericht, und später auch bei der Seeamtsverhandlung.
Auf einen Blick
- Das Seebäderschiff „Bremerhaven“ wurde 1960 für knapp 8 Millionen Mark (rund 4,1 Millionen Euro) auf der Adler-Werft in Bremen gebaut.
- Ab Juni 1960 verkehrte das Schiff in den Sommermonaten auf der Strecke Bremerhaven-Helgoland. In den Wintermonaten wurde es für Kreuzfahrten im Mittelmeer und Skandinavien eingesetzt. Verchartert wurde es auch als schwimmendes Skihotel und als Messeschiff in Skandinavien.
- Nach der Havarie 1965 wurde die „Bremerhaven“ mehrfach verkauft und umbenannt. 2008 ersteigerte eine indische Abwrack-Werft das Schiff.
- Der Untergang der „Bremerhaven“ am 13. April 1965 im Hafenbecken machte bundesweit Schlagzeilen. Knapp 39 Jahre später, am 14. Januar 2004, kenterte der Kreuzfahrtschiff-Neubau „Pride of America“ im Sturm an der Bremerhavener Lloyd-Werft und sorgte ebenso für Negativ-Schlagzeilen wie die im Alten Hafen gesunkene Dreimastbark „Seute Deern“ am 31. August 2019.
Von Jürgen Rabbel