TRazzia in Drochtersen und auf Mallorca: Haftbefehl vollstreckt – Polizei zieht Bilanz

In der Zentrale von Co.Net wird Beweismaterial gesichert. Gegen 9 Uhr hatten bewaffnete Beamte das Gebäude gestürmt. Foto: Vasel
Es war wie ein Krimi, der sich am Freitagmorgen bei Co.net in Drochtersen abspielte. Zeitgleich schlugen Ermittler auf Mallorca und andernorts zu. Was beschlagnahmt wurde, was über die Clanstruktur bekannt ist.
Drochtersen. Gegen 7 Uhr überquert am Freitagmorgen ein Großaufgebot der Bereitschaftspolizei Lüneburg die Kreisgrenze. Das Ziel der Kolonnen: Stade-Wiepenkathen, dort sammeln sich die Einsatzkräfte. Kurz vor 9 Uhr bricht hektisches Treiben auf und vor dem Gelände der Feuerwehr- und Rettungsleitstelle aus. Die Beamten der Bereitschaftspolizei ziehen sich ihre Schutzwesten an und setzen ihre Helme auf. Aufbruch unter Blaulicht.
In hohem Tempo geht es los - in das Altländer Viertel in Stade und in das Gewerbegebiet Nindorfer Deichfeld in Drochtersen. Gegen 9 Uhr erfolgt der Zugriff. Schwer bewaffnete und maskierte Polizisten stürmen Wohnungen und Büros. Ihr Hauptziel: die Zentrale der Verbrauchergenossenschaft Co.Net in Drochtersen. Die Genossenschaft mit knapp 4000 Anlegern und Ferienimmobilien auf Mallorca steht seit dieser Woche erneut unter vorläufiger Insolvenzverwaltung.
Geldwäsche-Verdacht: Durchsuchungen auch auf Mallorca
Ortswechsel: Zeitgleich stürmt die Guardia Civil am Freitagmorgen im Nordosten von Mallorca mehrere Gebäude. In Cala Ratjada und Capdepera starten die Spanier - gemeinsam mit extra eingeflogenen Kollegen aus Deutschland - eine Razzia in Unternehmen und in Immobilien der Co.Net.

Die spanische Polizei vor dem „TheSkyHotel“ in Cala Ratjada. Foto: privat
Ein Sprecher der Guardia Civil bestätigt die Operation gegenüber der „Mallorca Zeitung“. Unter anderem filzen die Beamten das „TheSkyHotel“ im Carrer Bustamante in Cala Ratjada. Es sollte Mitte März für die neue Saison öffnen. Auch das Wohnhaus des langjährigen Co.Net-Vorstandsvorsitzenden und Mitbegründers Thomas Limberg in Cala Ratjada wird laut Polizei durchsucht.
Zurück nach Kehdingen: In Drochtersen sperren die Beamten das Gewerbegebiet ab. Zeitgleich schlagen Polizisten in Polen und an weiteren Orten in Deutschland zu. Untreue, Betrug, Geldwäsche und Clankriminalität - mehr Wörter kommen Beamten gegenüber dem TAGEBLATT nicht über die Lippen. Polizeisprecher Rainer Bohmbach bestätigt, dass es sich um eine groß angelegte Polizeiaktion handelt: „Mehr darf ich nicht sagen.“ Er verweist auf die Zentrale Kriminalinspektion Lüneburg.

Beamte stoppen einen Mitarbeiter aus der Co.Net-Genossenschaft. Foto: Vasel
Festnahme in Drochtersen nach Razzia
Plötzlich öffnet sich die Tür eines Nebengebäudes. Polizisten bilden eine Kette vor einem VW Bus. Ein Beamter in Zivil führt eine Person ab, die zum Kreis der Hauptbeschuldigten gehören soll. Die Polizei will keine Details nennen. Die Schiebetür schlägt zu.
Es nähert sich ein Kleinwagen dem Firmengebäude. Sofort dreht die Fahrerin um. Die Polizei gibt Gas, eilt hinterher, der Pkw wird gestoppt. Der Beifahrer wird in Gewahrsam genommen. Hinter den Scheiben des Bürogebäudes herrscht hektisches Treiben, es wird auf den Kopf gestellt. Ein Lkw fährt vor. Kisten mit Beweismaterial werden gepackt. Sogar der Altpapiercontainer wird sichergestellt.

Die Bereitschaftspolizei packt wieder ein. Foto: Vasel
Polizeipräsident lobt EU-weite Polizeikooperation
Gegen Mittag geht Polizeipräsident Thomas Ring an die Öffentlichkeit. „Der Zentralen Kriminalinspektion Lüneburg ist hier in beispielhafter internationaler Zusammenarbeit mit der Justiz und anderen Strafverfolgungsbehörden ein beeindruckender Ermittlungserfolg gelungen.“ Durch die Veruntreuung von mehreren Millionen Euro seien, so Ring, viele Mitglieder der Co.Net-Genossenschaft finanziell stark geschädigt worden. Mit der konzertierten Aktion gegen die Bande konnte verhindert werden, dass sich der Schaden der 4000 Genossenschaftsmitglieder vergrößert und Clanangehörige weiterhin von dem Geldwäschenetzwerk profitieren.
Ring spricht von einer „professionellen Zusammenarbeit“ mit der Guardia Civil in Spanien, der Stadtpolizei der polnischen Stadt Lodz, der Landespolizei Hamburg und Rheinland-Pfalz, Verbindungsbeamten in Spanien und Polen sowie den Kollegen von Europol und Bundeskriminalamt.

Polizisten nehmen eine Person in einem Nebengebäude im Gewerbegebiet Nindorfer Deichfeld in Drochtersen fest. Foto: Björn Vasel
Insgesamt 29 Objekte werden durchsucht
250 Einsatzkräfte sind europaweit beteiligt. Während in Drochtersen Kiste um Kiste im Lkw landet, sichern Polizisten unter anderem auch in Stade, in Neu Wulmstorf, in Lodz, in Barcelona und auf Mallorca weitere Beweise. Insgesamt 29 Objekte werden durchsucht, ein Haftbefehl wird vollstreckt - in Drochtersen. Es gibt zwölf Beschuldigte.
Durch das Gericht wurden Vermögensarreste in Höhe von mehr als neun Millionen Euro angeordnet. Es sei laut Polizei-Mitteilung mehrere Immobilien beschlagnahmt und zahlreiche Konten im In- und Ausland eingefroren worden. Datenträger wurden beschlagnahmt, aber auch Autos und Luxusgüter wie Handtaschen, Uhren sowie Gemälde.

Ein Teil der beschlagnahmten Wertgegenstände. Foto: Polizei
Staatsanwaltschaft Stade: Haftbefehl gegen Hauptangeklagten vollstreckt
Gegen einen der Hauptbeschuldigten konnte ein vorliegender Haftbefehl vollstreckt werden. Nach richterlicher Bestätigung des Haftbefehls ist die Person in eine Justizvollzugsanstalt überführt worden.
„Dem Hauptbeschuldigten wird Untreue im besonders schweren Fall in Höhe von mindestens sechs Millionen Euro und dadurch eine Schädigung der Genossenschaft aus Drochtersen sowie deren spanischer Tochterfirma mit rund 4000 Genossenschaftsmitgliedern zugeschrieben“, sagt die Sprecherin der Polizeidirektion Lüneburg, Julia Graefe. Sie will weder bestätigen noch dementieren, dass es sich bei dem Festgenommenen um Thomas Limberg handeln soll.
Was über die Täter im Clanmilieu bekannt ist
Die Ermittlungen laufen, die Polizei will keine weiteren Details bekanntgeben. Auch die federführende Staatsanwaltschaft Stade will sich am Freitag nicht äußern. Bekannt wird: Weiteren Beschuldigten wird Geldwäsche des veruntreuten Geldes im Clanmilieu vorgeworfen.
Die Beamten wollen - unter anderem über das Nachverfolgen der Geldströme - tiefer in die Machenschaften krimineller Clans eintauchen. Weiteres Ziel: widerrechtlich erlangtes Vermögen bei den Kriminellen abzuschöpfen.
Die professionell und organisiert agierende, international vernetzte Tätergruppierung habe „gewerbliche Strukturen zur Veruntreuung von Mitgliedsgeldern der geschädigten Genossenschaft“, teilt die Zentrale Kriminalinspektion mit. Das heißt: Genossenschaftsgelder seien an extra dafür gegründete Firmen und Privatpersonen von einer spanischen Firma nach Deutschland überwiesen worden.
Jeder der Hauptbeschuldigten hatte seine Aufgabe: Der eine war für die großen Finanztransaktionen zuständig, der andere - Angehöriger einer örtlichen Clanfamilie - gründete Firmen in Deutschland und erwarb Immobilien, Luxusfahrzeuge und andere Luxusgüter. Wie ein seriöser Geschäftsmann hob er das Geld bei der Bank ab. Auch das soll irgendwann aufgefallen sein, heißt es. Während es sich bei den Stader Clans früher um Großfamilien, unter anderem aus dem Libanon, handelte, bestünden die neuen Clans heute aus Kriminellen aus aller Herren Länder.
Ministerin lobt erfolgreichen Schlag gegen Clankriminalität
Mittags gratuliert auch die Niedersächsische Ministerin für Inneres und Sport, Daniela Behrens (SPD), zum Ermittlungserfolg. Es habe sich gezeigt, dass „die Verbrechensbekämpfung funktioniert und dass sich Kriminalität nicht lohnt“. Die Ministerin spricht von einem „großartigen Ermittlungserfolg gegen die Clankriminalität“.