T„Reichsbürger“-Razzia: Was der Cuxhavenerin (69) vorgeworfen wird

Im Zuge der bundesweiten Razzia hat es auch eine Durchsuchung bei einer Frau in Cuxhaven gegeben. Foto: Patrick Seeger/dpa
Wieder gehen Ermittler bundesweit gegen sogenannte Reichsbürger vor. Die Polizei suchte in mehreren Orten - darunter auch in Cuxhaven. Das ist über die Gruppierung bekannt.
Cuxhaven/München. Rund 280 Einsatzkräfte haben am Donnerstagmorgen 20 Wohnungen in acht Bundesländern im Zusammenhang mit Ermittlungen gegen mutmaßliche „Reichsbürger“ durchsucht - darunter eine Durchsuchung bei einer Frau in Cuxhaven. Eine Festnahme gab es demnach nicht.
Niedersachsens Innenministerin Daniela Behrens sagte, der Frau werde die Bildung einer kriminellen Vereinigung vorgeworfen. „Unser Rechtsstaat muss wehrhaft sein und entschlossen vorgehen, um die Bürgerinnen und Bürger vor den mannigfaltigen Bedrohungen unserer Demokratie angemessen zu schützen“, sagte die SPD-Politikerin, auch mit Blick auf die Razzia bei Unterstützern der islamistischen Hamas und des palästinensischen Netzwerks Samidoun am selben Tag. Die Maßnahmen zeigten, dass der Staat dazu willens und in der Lage sei.
Cuxhavenerin ist strafrechtlich noch nicht in Erscheinung getreten
Die Beschuldigte aus dem Cuxhavener Stadtgebiet sei 69 Jahre alt, wie Oberstaatsanwalt Florian Weinzierl, Sprecher der Generalstaatsanwaltschaft München, auf Nachfrage der „Cuxhavener Nachrichten“ mitteilte. Strafrechtlich sei die Cuxhavenerin noch nicht in Erscheinung getreten. Ob bei der Frau auch Gegenstände beschlagnahmt wurden, konnte der Sprecher nicht bestätigen. Der Beschuldigten werde zur Last gelegt, sich mit zwei E-Mails an das Polizeipräsidium Hessen gewandt zu haben „und hierbei in einem Fall Polizeibeamte beleidigt zu haben“.
Den insgesamt 20 Beschuldigten im Alter zwischen 25 und 74 Jahren wird die Bildung einer kriminellen Vereinigung vorgeworfen, wie Bayerns Innenminister Joachim Herrmann und Bayerns Justizminister Georg Eisenreich (beide CSU) mitteilten.
„Die Reichsbürgergruppierung hat im großen Stil bundesweit staatliche Einrichtungen beleidigt und teilweise massiv bedroht, hauptsächlich über Social Media“, sagte Herrmann. Zu konkreten Übergriffen sei es nach Erkenntnissen der Ermittler aber bislang nicht gekommen.
Reichsbürger-Szene: Verbindungen in den Kreis Cuxhaven
Zuletzt hatte es immer wieder Verbindungen der offenbar gewaltbereiten Reichsbürger-Szene in den Stader Nachbarkreis gegeben. Mutmaßliche Führungsmitglieder, die bei einer Großrazzia im Dezember 2022 aufgeflogen waren, sollen Pläne für einen gewaltsamen Sturm auf den Bundestag gehabt haben. Dafür seien sie „bereits in konkrete Vorbereitungshandlungen eingetreten“, hieß es in einem Abschlussbericht des Bundesgerichtshofs (BGH).
Ein Kommando von bis zu 16 Personen habe Regierungsmitglieder und Abgeordnete in Handschellen abführen sollen. Einer der in Untersuchungshaft sitzenden Beschuldigten hatte laut BGH nach dem Stand der Ermittlungen in Berlin schon die Örtlichkeiten ausgekundschaftet, Fotos gemacht und eine Namensliste von Politikern, Journalisten und anderen Personen des öffentlichen Lebens erstellt.
Einer der Köpfe trat im August 2022 im Kreis Cuxhaven auf. Damals hatten rund 80 Anhänger einen Vortrag des bekannten Reichsbürgers Dr. Matthes H. in einer Gaststätte im südlichen Cuxland verfolgt. Nach einem Hinweis der Politologin und freien Journalistin Andrea Röpke hatte die „Nordsee-Zeitung“ den Fall öffentlich gemacht. Die Polizei konnte das Treffen damals nicht verhindern.
H., ein Tübinger Physiker, sollte laut ARD in dem von der Reichsbürger-Gruppe vorgesehenen „Schattenkabinett“ für Fragen des Völkerrechts zuständig sein. In seinem Vortrag „Das Deutsche Reich 1871 bis heute“, den er auch im Cuxland hielt, spricht H. der Bundesrepublik ab, ein souveräner Staat zu sein.
Stattdessen sei Deutschland weiterhin durch die Siegermächte des Zweiten Weltkriegs besetzt und die vorherrschende Rechtsordnung ungültig.
Schreckschusswaffe gefunden
Bei den Razzien am Donnerstag waren Beamte in Bayern, Baden-Württemberg, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein, Brandenburg, Niedersachsen und Hamburg im Einsatz. Ein Schwerpunkt war Baden-Württemberg mit zehn Durchsuchungen. Laut Herrmann wurden eine Schreckschusswaffe, Reizstoffgeräte, Smartphones und Datenträger sichergestellt. „Waffen waren nicht darunter“, hieß es in der Mitteilung der Ministerien.

Bundesländer, in denen Durchsuchungen stattfanden. Foto: dpa
Mit Thesen konfrontiert
Die federführende Generalstaatsanwaltschaft München teilte mit, die Gruppe habe durch die gezielte, massenhafte Kontaktaufnahme mit Behörden deren Kommunikationswege blockieren und damit Einfluss auf deren Entscheidungen nehmen wollen.
Übergeordnetes Ziel sei es gewesen, die Bundesrepublik Deutschland und ihre Einrichtungen zu destabilisieren und rechtmäßiges staatliches Handeln zu verhindern oder zumindest zu erschweren.
„Die Gesprächspartner wurden beispielsweise mit Reichsbürgerthesen konfrontiert, der Begehung von Menschenrechts- und Kriegsverbrechen bezichtigt, beleidigt und teilweise mit dem Tode bedroht.“ Die Ermittler sprachen von einem „Telegram-Netzwerk von Reichsbürgern und Verschwörungstheoretikern“.
Blaulicht
Razzia gegen Hamas in Niedersachsen
Kommt Anführer aus Bayern?
Der mutmaßliche Rädelsführer der „Reichsbürger“-Gruppe kommt aus Oberbayern, aus Olching im Landkreis Fürstenfeldbruck. Der 58-Jährige wurde laut Generalstaatsanwaltschaft München bereits im November 2021 festgenommen. Im April 2022 wurde der Mann unter anderem wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung, Volksverhetzung und Nötigung vor dem Landgericht München I angeklagt. Das Verfahren ist nach Angaben der Ermittler noch nicht abgeschlossen. Der Mann soll den maßgeblichen Telegram-Kanal der Gruppierung betrieben haben.

Im Zuge der bundesweiten Razzia hat es auch eine Durchsuchung bei einer Frau in Cuxhaven gegeben. Foto: Patrick Seeger/dpa
Akribische Auswertung
Bei den weiteren Ermittlungen stieß die Generalstaatsanwaltschaft dann auf zahlreiche weitere mutmaßliche Mitglieder der kriminellen Vereinigung, „welche teilweise ebenfalls dem Personenkreis der Reichsbürger und Selbstverwalter zugerechnet werden“. Bei 20 davon wurde am Donnerstag nun durchsucht, um Beweismittel sicherzustellen und weitere mögliche rechtswidrige Strukturen aufzudecken. „Alle Beweismittel werden akribisch ausgewertet“, sagte Innenminister Herrmann. Ziel sei „eine weitere Aufhellung des Reichsbürgerumfelds“.
„Reichsbürger“ sind Menschen, die die Bundesrepublik und ihre demokratischen Strukturen nicht anerkennen. Der Verfassungsschutz rechnete der Szene der „Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“ 2022 deutschlandweit etwa 23 000 Menschen zu, 2000 mehr als im Vorjahr.
Ziel: Deutschland mit Waffengewalt zu stürzen
Erst im Oktober hatten Einsatzkräfte in mehreren Ländern zahlreiche Wohnungen sogenannter Reichsbürger durchsucht, die dem Umfeld der mutmaßlichen Terrorgruppe „Vereinte Patrioten“ zugerechnet wurden. Dabei waren insgesamt fünf Verdächtige festgenommen worden.
Die Ermittlungen zu den „Vereinten Patrioten“ waren auch Ausgangspunkt für die Ermittlungen zu der Vereinigung um Heinrich XIII. Prinz Reuß gewesen, deren mutmaßliche Rädelsführer im Dezember 2022 verhaftet worden waren.