Grippewelle ist da – Wenn der Chef einem nicht glaubt

Der Krankenstand in Niedersachsen und Bremen lag 2023 nach einer DAK-Analyse auf Rekordniveau. Foto: Jens Büttner/dpa
Die Nachweise von Grippeviren sind in Niedersachsen gestiegen. Der Krankenstand lag bereits 2023 auf Rekordniveau. Kann der Arbeitgeber eine Krankschreibung prüfen lassen?
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Landkreis/Hannover. Die Grippewelle hat in Niedersachsen begonnen. Dies zeigen Zahlen aus dem Labor des Niedersächsischen Landesgesundheitsamtes (NLGA), wo Rachenabstrichproben von Patientinnen und Patienten mit akuten Atemwegsinfekten auf verschiedene Viren getestet werden.
In der vergangenen Woche konnten niedersachsenweit in 30 Prozent der eingesandten Proben Influenzaviren nachgewiesen werden, wie das Gesundheitsministerium in Hannover jetzt mitteilte. Wenn der Anteil erstmals 20 Prozent überschreite, markiere dies den Beginn der Grippewelle.
„Die Grippewelle findet jetzt wieder zu einem Zeitpunkt statt, wie wir es aus der Zeit vor der Corona-Pandemie kennen, insofern sind wir wieder im alten Rhythmus angekommen“, sagte Fabian Feil, Präsident des Landesgesundheitsamtes (NLGA). Bislang wurde laut Ministerium ein durch Laboruntersuchung bestätigter Influenza-Todesfall im Bundesland registriert.
Gesundheitsminister Andreas Philippi (SPD) warb erneut für die Grippeschutzimpfung. „Für Personen, die ein Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf haben und für medizinisches Personal ist eine Impfung gegen Influenza auch jetzt noch sinnvoll“, sagte der Minister. Allerdings sollte man sich möglichst in den kommenden Tagen impfen lassen, da die volle Schutzwirkung erst etwa zwei Wochen nach der Impfung einsetze, betonte Philippi.
Dabei muss man bedenken: Bei Grippe ist von einer hohen Zahl nicht erfasster Fälle auszugehen. Unter den gemeldeten Patientinnen und Patienten befindet sich laut Robert-Koch-Institut (RKI) ein recht hoher Anteil im Krankenhaus.
Auch dort wird die Grippewelle spürbarer: Unter allen Menschen, die zu Monatsbeginn wegen einer schweren Atemwegserkrankung ins Krankenhaus kamen, habe der Anteil der Influenza-Diagnosen deutlich höher gelegen als in den Vorwochen, heißt es vom RKI.
Mund-Nasen-Schutz
Maskenpflicht in den Elbe Kliniken wird aufgehoben
Die Dynamik bei der Grippe wird auch an den offiziell gemeldeten Fällen deutlich: Von den fast 44.000 Infektionen, die seit Oktober bundesweit laut RKI im Labor nachgewiesen wurden, entfallen mehr als 13.000 auf die Vorwoche. „Von einer Krankenhauseinweisung sind insbesondere Kinder mit RSV-Infektion unter zwei Jahren und Schulkinder mit einer Influenzavirusinfektion betroffen“, berichtet das RKI. Bei älteren Menschen führe neben Grippe weiterhin auch Covid-19 häufig zu schweren Krankheitsverläufen.
Rekord: So viel Krankschreibungen in Niedersachsen wie noch nie
Die krankheitsbedingten Fehlzeiten am Arbeitsplatz haben in Niedersachsen 2023 im zweiten Jahr in Folge einen Rekordstand erreicht. Der landesweite Krankenstand habe im vergangenen Jahr bei 5,7 Prozent gelegen - das sei der höchste Wert seit Beginn der Auswertungen vor 25 Jahren, teilte die Krankenkasse DAK-Gesundheit mit. Ein Jahr zuvor lag der Krankenstand bei 5,6 Prozent. Damit wurde auch der bundesweite Durchschnitt von 5,5 Prozent übertroffen.
Der Analyse zufolge bedeutet ein Krankenstand von 5,7 Prozent, dass in Niedersachsen im Durchschnitt an jedem Tag von Januar bis Dezember des vergangenen Jahres 57 von 1000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern krankgeschrieben waren. Insgesamt gab es rund 13 Prozent mehr Fälle als ein Jahr zuvor: 2022 hatte die Kasse rund 188 Fälle von Krankschreibungen bezogen auf 100 eigene versicherte Beschäftigte gezählt - im vergangenen Jahr waren es knapp 212 Fälle.
Der Rekord beim Krankenstand in Niedersachsen komme nach den Erkältungswellen im Frühjahr und Herbst zwar nicht überraschend, sagte der niedersächsische DAK-Landeschef Dirk Vennekold. Er sei aber für die Wirtschaft im Land eine Belastung: „Die hohen krankheitsbedingten Fehlzeiten beeinträchtigen die Arbeitsabläufe vieler Betriebe und Behörden – besonders dann, wenn die Personaldecke durch den Fachkräftemangel immer dünner wird.“ Besonders problematisch seien nicht Kurzzeit-Fälle wie etwa bei einer Bronchitis, sondern Langzeit-Fälle.
Prüfung bei häufiger Krankheit möglich
Im Krankheitsfall müssen Beschäftigte in der Regel spätesten am vierten Kalendertag eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung beim Arbeitgeber vorlegen. Nur so behalten sie ihren Anspruch auf Entgeltfortzahlung. Aber kann der Arbeitgeber die AU-Bescheinigung eigentlich überprüfen lassen, wenn Zweifel am tatsächlichen Gesundheitszustand bestehen?
Ja, das ist möglich. Bei gesetzlich versicherten Arbeitnehmern kann der Arbeitgeber von der Krankenkasse verlangen, dass diese eine gutachterliche Stellungnahme des Medizinischen Dienstes zur Überprüfung der Arbeitsunfähigkeit einholt. Das ist gesetzlich geregelt.
Einfach so geht das aber nicht. Der Arbeitgeber muss dafür begründete Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit haben, erklärt Alexander Bredereck, Fachanwalt für Arbeitsrecht.
Eine Überprüfung sei etwa regelmäßig dann möglich, wenn ein Arbeitnehmer auffallend häufig oder immer wieder für kurze Zeit arbeitsunfähig ist - und die Arbeitsunfähigkeit häufig auf einen Montag oder Freitag fällt oder an solchen Tagen beginnt.
Und auch aus der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung selbst könnten sich Zweifel ergeben. „Zum Beispiel wenn diese rückwirkend oder für einen sehr langen Zeitraum ausgestellt ist“, so Bredereck.
Diese Verhaltensweisen begründen Zweifel
Verhalten sich Beschäftigte im Zusammenhang mit ihrer Krankschreibung auffällig, kann das ebenfalls eine Überprüfung begründen. Etwa, wenn Arbeitnehmerinnen oder Arbeitnehmer die Bescheinigung direkt nach Ausspruch einer Kündigung vorlegen und eine Erkrankung exakt bis zum Ende der Kündigungsfrist dauert.
„Gleiches gilt, wenn der Arbeitnehmer die spätere Erkrankung vorher angekündigt hat“, so der Fachanwalt. „Auch Arbeitnehmer, die als Reaktion auf einen nicht genehmigten Urlaub krank werden, begründen durch dieses Verhalten entsprechende Zweifel.“ Gehäufte Bescheinigungen der Arbeitsunfähigkeit direkt im Anschluss an einen Urlaub oder vor dessen Beginn sind auch so ein Fall.
Betriebsarzt kann Arbeitsunfähigkeit nicht überprüfen
Es sei aber nicht Aufgabe von Betriebsärzten die Arbeitsunfähigkeit der Arbeitnehmer zu überprüfen: „Anders als in der Praxis immer wieder anzutreffen.“
Stattdessen übernimmt die Prüfung der Medizinische Dienst, der das Ergebnis der Krankenkasse des Versicherten und dem behandelnden Arzt mitteilt. „Dem Arbeitgeber wird lediglich das Ergebnis mitgeteilt, soweit die Einschätzung des Medizinischen Dienstes von der des Arztes abweicht“, sagt Bredereck. „Mitteilungen über die Krankheit selbst erfolgen auch auf diesem Weg nicht.“
Streit ums Entgelt vor Gericht
Der Fachanwalt weist zudem darauf hin, dass eine Überprüfung der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers auch indirekt stattfinden kann. Nämlich etwa, wenn der Arbeitgeber „sich schlichtweg weigert Entgeltfortzahlung zu leisten“.
Klagt ein Arbeitnehmer das Arbeitsentgelt dann vor Gericht ein, prüfe dieses „bei begründeten Zweifeln an der Arbeitsunfähigkeit“, ob sie tatsächlich vorliegt. Dabei kann es notwendig werden, dass der Arbeitnehmer den behandelnden Arzt von der Schweigepflicht entbindet „und dieser dann als sachverständiger Zeuge zum Gesundheitszustand des Arbeitnehmers befragt wird“, so Bredereck.
Hoher Krankenstand in Altenpflege
Fast zwei Drittel der Beschäftigten hatten bundesweit im vergangenen Jahr mindestens eine Krankschreibung. Überhaupt nicht arbeitsunfähig gemeldet waren bei der DAK 35,5 Prozent. Betrachtet nach Berufen war der Krankenstand in der Altenpflege (7,4 Prozent) und bei Kita-Beschäftigten (7 Prozent) besonders hoch - und am niedrigsten in der Informatik und Kommunikationstechnologie mit 3,7 Prozent.
Ähnliche Entwicklungen gab es bei den Versicherten der Kaufmännischen Krankenkasse. Hier stieg der Krankenstand um 0,2 Punkte auf 6,6 Prozent. Die durchschnittliche Fehlzeit je Fall fiel von 13,1 auf 11,7 Tage - es wurden also mehr kürzere Krankschreibungen eingereicht. Die Fehlzeiten bewegten sich auf „auf höchstem Niveau“: Sie betrugen 2392 Tage pro 100 Mitglieder. Im Vorjahr waren es 2346.
Viele Krankschreibungen wegen Rückenschmerzen
Die meisten Fehltage wurden 2023 der DAK-Auswertung zufolge von Muskel-Skelett-Erkrankungen (19 Prozent) verursacht. Rückenschmerzen oder Bandscheibenvorfälle verursachten demnach 400 Fehltage pro 100 Versicherte, das waren knapp 9 Prozent mehr als im Vorjahr. Einen deutlichen Anstieg gab es bei psychischen Erkrankungen, zu denen auch Depressionen und Angststörungen zählen - hier stiegen die Fehlzeiten um 11 Prozent auf 342 Fehltage je 100 Beschäftigte. Atemwegserkrankungen wiederum verursachten 393 Fehltage je 100 Versicherte.
Vennekold betonte, die Betriebe hätten zwar in den vergangenen Jahren mehr im betrieblichen Gesundheitsmanagement getan: „Aber unsere Zahlen zeigen, dass das nicht ausreicht.“ Der DAK-Landeschef in Bremen, Michael-Niklas Rühe, mahnte „eine hohe Priorität“ für Gesundheit am Arbeitsplatz an. (dpa/tmn)