TRentner fast tot getreten: Mildes Urteil der Stader Richter

Am Landgericht Stade wurde das Urteil im Prozess um versuchten Mord gesprochen. Foto: Algermissen
Zwölf Jahre Haft hatte die Staatsanwaltschaft für einen 29-Jährigen gefordert, der bei einem Überfall zum brutalen Schläger wurde. Das Gericht verhängte nun eine deutlich niedrigere Strafe. Das Opfer (71) leidet bis heute.
Stade. So viel Blut habe er noch nie an einem Tatort gesehen, hatte der ermittelnde Polizist im Laufe des Prozesses am Landgericht Stade um einen versuchten Mord ausgesagt. An diesem Mittwoch wurde in dem Verfahren gegen einen 29-Jährigen aus Bremerhaven das Urteil gesprochen, der im Februar 2022 einen Rentner in Schiffdorf, in dessen eigenem Haus überfallen und brutal zusammengetreten hatte.
Angeklagter muss einen hohen Schadensersatz zahlen
In seinem Urteil blieb das Gericht deutlich unter den Vorstellungen der Staatsanwaltschaft. Die hatte in ihrem Plädoyer eine Haftstrafe von zwölf Jahren gefordert. Doch das Gericht verurteilte den Angeklagten zu einer Haft von sieben Jahren. Zudem muss er dem Geschädigten einen Schadenersatz in Höhe von 15.000 Euro zahlen und das gestohlene Geld in Höhe von rund 1800 Euro zurückgeben.
Der Richter ging noch einmal intensiv auf die Argumentation der Verteidigung und der Staatsanwaltschaft ein. Demnach war der Angeklagte zumindest teilgeständig und hatte den Überfall auf den 71-Jährigen in dessen Haus grundsätzlich zugegeben.
Darüber hinaus glaubte der Richter dem Angeklagten aber nicht. Der Mann hatte angeben, in Notwehr gehandelt zu haben, da der Rentner auf ihn geschossen habe. Doch zum einen hatten die Ermittlungen keinen Hinweis auf einen Schuss gefunden. Zum anderen würde eine Notwehr nicht die massiven Verletzungen des Geschädigten erklären, so der Richter.
Die Nase zertrümmert, das linke Ohr fast abgerissen, zahlreiche Brüche und Prellungen am ganzen Körper – allein die Beschreibung der Folgen des Überfalls bei dem Rentner schmerzt fast schon körperlich.
Der Richter fasste zusammen, wie der Angeklagte mit seinen schweren Arbeitsstiefeln immer wieder auf das bereits blutige Gesicht des am Boden liegenden Opfers „stampfend“ eingetreten hatte. Mehrfach verlor der Rentner das Bewusstsein.
Der Angreifer habe dabei zumindest billigend in Kauf genommen, dass der ältere Mann sterben könnte, so der Richter. Dass die Verletzungen am Ende doch nicht tödlich waren, sei vor allem „Glück“ gewesen. Er musste nach dem Angriff operiert werden und verbrachte eine Woche im Krankenhaus.
Landgericht Stade
T Rentner halb tot getreten: Dealte der Angreifer mit Drogen?
Wie sehr das Opfer leidet
Der Richter betonte die psychischen Folgen für den Geschädigten, der sich mittlerweile in seinem Haus nicht mehr sicher fühlt. Zudem befindet er sich noch in psychologischer Betreuung und hat sein Haus durch Alarmanlagen und weitere Maßnahmen massiv gesichert.
Kritisch bewertete der Richter das Teilgeständnis und die wiederholten Entschuldigungen des Angeklagten. Da sich der Mann auf Notwehr beruft, gebe er dem Geschädigten eine Mitschuld an den Verletzungen und erkenne seine Verantwortung nicht voll an. Die Entschuldigung sei daher nur ein „Lippenbekenntnis“. Auch habe der Rentner glaubwürdig geschildert, dass der Angreifer ihm 1800 Euro gestohlen hatte.
Eine mögliche Drogensucht des Angeklagten bewertete das Gericht allerdings anders als die Staatsanwaltschaft. So hatte die Staatsanwältin in ihrem Schlussvortrag darin keinen Grund für eine Strafmilderung gesehen und ein entsprechendes Gutachten eines Sachverständigen zurückgewiesen. Grund: In den Aussagen des Angeklagten zu seiner möglichen Drogensucht habe es zu viele Widersprüche gegeben, um glaubhaft zu sein.
Wie die Stader Richter ihr Urteil begründen
Das Gericht konnte die Argumentation der Staatsanwaltschaft zwar nachvollziehen. Doch der Richter wollte zumindest nicht ausschließen, dass die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten durch die Sucht und den Konsum von Amphetaminen vor der Tat teilweise eingeschränkt gewesen sein könnte. Auch das Gutachten bewertete er als überzeugend.
Schon die außerordentliche Brutalität spreche dafür, dass der Angeklagte möglicherweise nicht ganz Herr seiner Sinne gewesen ist. Denn bisher hatte er sich kaum etwas zuschulden kommen lassen, abgesehen von Fahren unter Drogeneinfluss.
Insgesamt gestand der Richter dem Angeklagten in Teilen eine Einschränkung von Steuerungs- und Schuldfähigkeit zu, so dass das Gericht zu einem niedrigeren Strafmaß kam als die Staatsanwaltschaft.
Einer Unterbringung in einer Entziehungsanstalt, wie von der Verteidigung beantragt, wollte der Richter aber nicht zustimmen. Denn nach einer Gesetzesänderung seien die Voraussetzungen dafür erhöht worden. So müssen Drogensüchtige in ihrem Leben massiv eingeschränkt sein, um für den Maßregelvollzug infrage zu kommen. Das sei beim Angeklagten aber nicht der Fall, da er nach der Tat immer noch arbeiten und seinen Hobbys nachgehen konnte, so der Richter.
Das waren die letzten Worte des Angeklagten
Der Angeklagte hatte vor der Verkündung in seinen letzten Worten die Tat bedauert und sich bei dem Geschädigten entschuldigt. Er möchte nach eigenen Angaben nach seiner Entlassung aus der Haft ein neues Leben beginnen, einer geregelten Arbeit nachgehen und eine Familie gründen. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.