TSeniorenheim droht wegen Massenabschiebung von Pflegern das Aus

Diego Arenas arbeitet gern mit seinen Alten, wie er die Bewohner im Haus Wilstedt liebevoll nennt. Denn in Kolumbien hat man Respekt vor älteren Menschen. Foto: Ernst Matthiesen
Entsetzen in Wilstedt im Kreis Rotenburg: Gleich zehn Kolumbianer arbeiten in dem Heim für Demenzkranke. Ihnen droht die Abschiebung. Der Widerstand erreicht höchste Ebenen.
Wilstedt. Ein ist ein ganz normaler Arbeitstag im Altenheim „Haus Wilstedt“ - und doch hängt ein Schleier der Ungewissheit über allem. „Ich habe jetzt sieben Abschiebungsbescheide für meine zehn kolumbianischen Mitarbeiter auf dem Tisch. Drei Abschiebungen sollen bereits ab dem 14. November sein. Dagegen haben wir sofort geklagt“, sagt Tino Wohlmacher. Zusammen mit seiner Frau Andrea betreibt er das Heim für Gerontopsychiatrie, das in der Region einzigartig ist.
In dem Heim leben 48 Demenzkranke.
Pflegekräfte werden vielerorts verzweifelt gesucht
„Wir haben auf allen Wegen versucht, an Arbeitskräfte zu kommen, aber Fehlanzeige. Deshalb waren wir auch so glücklich, als sich bei uns die kolumbianischen Flüchtlinge als Arbeitskräfte beworben haben. Wir haben sofort zugegriffen, weil alle eine Arbeitserlaubnis hatten“, erzählt Tino Wohlmacher.
So wie Diego Arenas: Der 20-Jährige arbeitet als Pflegehelfer im „Haus Wilstedt“. Als Vollzeitkraft verdiene er rund 2.700 Euro brutto, das sei über dem Tariflohn, betont Tino Wohlmacher.
Helfer aus Kolumbien stehen finanziell auf eigenen Füßen
Alle zehn kolumbianischen Pflegehelfer stehen finanziell auf eigenen Füßen, bezahlen die Miete ihrer Wohnung selbst sowie Steuern und alle üblichen Sozialabgaben. „Die machen hier tolle Arbeit, kommen sehr gut mit den Heimbewohnern klar, und sind so gut wie nie krank“, so die Pflegeleitung, die die Welt auch nicht mehr verstehen kann.
Fassungslos und wütend über drohende Abschiebung
Alle Mitarbeiter des Heims sind fassungslos und wütend über die drohende Abschiebung ihrer Kollegen. „Das ist unmöglich“, empört sich eine Mitarbeiterin. „Unsere kolumbianischen Kollegen liegen dem Staat nicht auf der Tasche, sollen aber trotzdem abgeschoben werden. Das ist einfach nicht zu begreifen“, bekräftigt eine andere. „Es werden gerade die Leute abgeschoben, die eine feste Arbeit und einen festen Wohnsitz haben“, vermutet Tino Wohlmacher, „denn die sind leicht zu greifen und tauchen nicht unter.“
„Brauchen diese Menschen bei uns als Arbeitskräfte“
Wie eine ganze kolumbianische Familie, deren Fall der Heimbetreiber jetzt bei der Härtefallkommission in Hannover eingereicht hat. „Vater, Mutter und eine Tochter arbeiten bei uns, zwei Söhne gehen in Tarmstedt zur Schule und sind in Vereinen aktiv. Wir brauchen diese Menschen bei uns als Arbeitskräfte, sie haben systemrelevante Jobs, und deshalb kämpfen wir um sie“, so der Betriebswirt.
Aber nicht nur der Heimbetreiber und das Personal, auch Angehörige der Bewohner sind über die Vorgänge schockiert: „Wir waren entsetzt zu erfahren, dass die Menschen, die sich so liebevoll um unsere Angehörigen kümmern, abgeschoben werden sollen“, so Juliane Müller, deren Mutter im Haus Wilstedt lebt.
Angehörige verfassen offenen Brief an Ministerin Faeser
Deshalb haben Angehörige, das Personal und die Heimleitung einen offenen Brief an die Bundesinnenministerin Nancy Faeser geschrieben. Darin fordern sie: „Es muss ein unbefristetes Bleiberecht geben, gerade wenn Menschen sich integrieren, dem Staat nicht zur Last fallen und wichtige soziale Arbeit übernehmen“.
Doch so einfach ist es nicht. „Wenn Sie (die Kolumbianer) einen Asylantrag stellen und dieser abgelehnt wird, haben Sie nicht die Möglichkeit, in die Fachkräftezuwanderung zu wechseln. Dieser Spurwechsel ist gesetzlich nicht möglich, er ist nicht erlaubt, er ist ausgeschlossen“, entgegnet das niedersächsische Innenministerium. Immerhin: In dieser Woche seien keine Abschiebungen kolumbianischer Staatsbürger aus Niedersachsen geplant, so der Sprecher Innenministeriums, Oliver Grimm, am Mittwoch.
Nach einer im vergangenen Jahr vom Bundestag beschlossenen Reform des Einwanderungsrechts können sich Asylbewerber, die zum Stichtag 29. März 2023 im Asylverfahren waren und bereits hier arbeiten, um einen Daueraufenthalt als Fachkräfte bewerben. Dies gelte jedoch nur für Personen, die ihren Asylantrag rechtzeitig zurückgezogen hätten, sagte Grimm. Die kolumbianischen Pflegekräfte hätten „schlicht das falsche Tor nach Deutschland“ gewählt.
Ein „Informationsproblem“ auf kolumbianischer Seite
Das niedersächsische Sozialministerium sieht ein „Informationsproblem“ auf kolumbianischer Seite. Menschen, die in Deutschland arbeiten wollen, würden nicht ausreichend über mögliche Wege informiert, sagte Sprecher Sebastian Schumacher: „Vor diesem Hintergrund ist es wichtig, für die Fachkräfte-Einwanderung als Alternative zu einer nahezu aussichtslosen Asyl-Migration aus Kolumbien zu bewerben und darüber aufzuklären.“
Der niedersächsische Flüchtlingsrat forderte am Mittwoch eine humane Lösung in diesem Fall. „Die Abschiebungen können weder im Interesse der Öffentlichkeit sein noch sind sie aus humanitärer Sicht zu akzeptieren“, sagte Sigmar Walbrecht vom Flüchtlingsrat dem Evangelischen Pressedienst (epd): „Der Fall aus Wilstedt macht sehr deutlich, wohin eine auf populistische Effekte zielende harte Asyl- und Migrationspolitik führen kann.“
Verkleinern oder schließen: Heimbetrieb steht auf der Kippe
„Falls ich keine Hilfe von den deutschen Behörden bekomme und fast ein Drittel meiner Pflegekräfte verlieren sollte, muss ich mir überlegen, ob ich das Heim verkleinern kann oder ganz schließen muss. Das wäre eine Katastrophe für alle Beteiligten: Die Bewohner müssten dann in die Psychiatrie und die Mitarbeiter wären arbeitslos“, stellt Tino Wohlmacher mit ernster Miene fest.
Auch die Möglichkeit, dass die Kolumbianer zunächst ausreisen, um danach mit Erlaubnis wieder nach Deutschland einzureisen, ist für ihn keine Alternative: „Zum einen weiß ich nicht, was mit ihnen in Kolumbien passiert, ob sie nicht gleich bei der Einreise getötet werden, und zum anderen dauert es Monate, bevor sie dann wieder zurück in Wilstedt sind. Solange kann ich nicht warten. Wir arbeiten hier schließlich mit Menschen und nicht mit Akten“, empört er sich.
Doch aufgeben will Wohlmacher nicht, und so macht er sich weiterhin stark für seine kolumbianischen Mitarbeiter - und hofft auf ein Einsehen der Behörden. (mit epd/lit)