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Recycling-Reportage

TSommer-Serie: Wo der Abfall nicht einfach nur Müll ist

Ein hochwertiges Schweizer Fabrikat, jetzt Elektro-Abfall: Sebastian Hoff hat gerade eine Bernina-Nähmaschine angenommen.

Ein hochwertiges Schweizer Fabrikat, jetzt Elektro-Abfall: Sebastian Hoff hat gerade eine Bernina-Nähmaschine angenommen. Foto: Richter

Die Praktikumswoche der TAGEBLATT-Reporterin beim AWZ hat am Samstag begonnen. Die erste Lektion: Ein Abfallwirtschaftszentrum ist keine Müllhalde. Eher das Gegenteil davon.

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Von Anping Richter
Sonntag, 03.08.2025, 19:10 Uhr

Buxtehude-Adestorf. „Das ist hier keine Müllhalde und es soll auch nicht so aussehen“, sagt Roland Bruns, der stellvertretende Betriebsleiter des Abfallwirtschaftszentrums (AWZ). Morgens vor der Öffnung um 8 Uhr wird deshalb erstmal gefegt. Das könnte eine Praktikantin doch problemlos übernehmen?

Groß Reinemachen bevor der erste Kunde kommt

Nein. Der Kollege Rainer Schuran hat schon damit begonnen, und zwar mit der Kehrmaschine. Kein Keramiksplitter, kein verstreuter Kompost soll herumliegen, wenn die ersten Kunden auf den Hof fahren.

Auf ihren ersten echten Arbeitseinsatz muss die hoffnungsvolle Praktikantin noch warten. Erst wird aufgepasst und zugehört.

Die Unterweisung ist umfangreich: Kreislaufwirtschaftsgesetz, Gebührenordnung, Sicherheitsbestimmungen beim innerbetrieblichen Transport und, und, und. Schon brummt der Schädel.

Eine Regel, die keine Vorschrift ist, lockert aber alles wieder auf: „Wir duzen uns hier alle. Ich bin Roland“, sagt Bruns mit breitem Grinsen.

Ein Spind in der Umkleide der Frauen ist noch frei

Eine Vorschrift wurde immerhin schon korrekt erfüllt: Das Anlegen der PSA, der persönlichen Schutzausrüstung in Orange samt Kappenschuhen, die übrigens sehr bequem ist. Sie wird im Umkleidebereich der Frauen samt eigener Toilette und Dusche angelegt, den Kerstin Harms zeigt. Ein Spind ist auch noch frei.

Kerstin Harms ist Fachkraft für Kreislauf- und Abfallwirtschaft. Als sie ihre Ausbildung absolvierte, hieß das noch Ver- und Entsorgerin.

Sie war eine der ersten, die diesen in den 80er Jahren noch ganz neuen Ausbildungsberuf abschlossen. Kurz nach ihr tat das auch Roland Bruns. Sie sind seit Jahrzehnten Kollegen.

Vom Müllwerker zum Umwelttechnologen

Bruns, der aus Bützfleth-Götzdorf kommt, hat einmal Maurer gelernt. Doch im Winter war er oft ohne Arbeit, und als ein Freund ihm von seinem sicheren Arbeitsplatz mit ordentlichem Lohn bei der Müllabfuhr des Landkreises Stade berichtete, beschloss er: „Ich geh zur Mülle.“

Es war eine gute Entscheidung, sagt Roland Bruns heute. Daran, dass er im April nächsten Jahres in Rente gehen soll, mag er noch gar nicht denken. Mit dem großen Mülllaster durch die Stader Altstadt zu manövrieren, war für ihn ein wahr gewordener Kindheitstraum.

Als dann die Ausbildung zum Ver- und Entsorger aufkam, fragte er beim Landkreis nach einer Weiterbildung. Der hatte Führungspersonalbedarf und finanzierte ihm diese.

Auch dann wieder, als Bruns noch den Meister draufsetzte. Er wurde Deponieleiter in Wischhafen, übernahm eine Führungsposition im AWZ und ist heute stellvertretender Betriebsleiter auf allen Außenstellen.

Die bunteste Ecke im AWZ ist die Hartplastik-Abteilung.

Die bunteste Ecke im AWZ ist die Hartplastik-Abteilung. Foto: Richter

Seit 1999 sitzt Roland Bruns in der Prüfungskommission und hat auch seinem Nachfolger und heutigen Vorgesetzten, dem AWZ-Leiter Tobias Güldenpfennig, die Prüfung abgenommen. Als Roland bei der Müllabfuhr anfing, dachte er, das Müllaufkommen werde allmählich abnehmen: „Aber gefühlt wird es immer mehr.

Es hört nicht auf.“ Doch dass die Azubis heute nicht mehr Fachkräfte für Kreislauf- und Abfallwirtschaft werden, sondern Umwelttechnologen, zeigt, wie sehr sich das Berufsbild gewandelt hat.

Die Warteschlange vor dem Tor reißt nicht ab

Draußen ist der erste Kunde schon vor der offiziellen Öffnung auf den Hof gefahren. „Heute ist für einen Samstag wenig los“, sagen die Kollegen. Doch ab 10 Uhr reißt es nicht mehr ab: Autos mit Kofferräumen und Anhängern voller Abfall stehen in einer Warteschlange. Gegen Mittag schlängelt sie sich jenseits des Tores bis zur Kurve. Das Ende ist nicht zu sehen.

Rasenschnitt, Heckenschnitt, Laub. Alte Regale, Fahrräder, Elektrogeräte, ausgediente Kindertöpfchen, Spielsachen, Sportgeräte: Wie die Menschen im Kreis Stade leben und was sie gerne tun, ist am Abfall ganz gut abzulesen.

Wer aus dem nahen Nachbarlandkreis Harburg kommt - das zeigt eine Ausweiskontrolle - muss übrigens wieder umkehren. Zum Glück ist dessen Wertstoffannahmestelle direkt nebenan.

Carsten Rothan hat zwei nicht mehr funktionstüchtige Flachbildfernseher dabei. Roland Bruns weist ihm den Weg zum Elektro-Annahmetisch.

Carsten Rothan hat zwei nicht mehr funktionstüchtige Flachbildfernseher dabei. Roland Bruns weist ihm den Weg zum Elektro-Annahmetisch. Foto: Anping Richter

Carsten Rothan darf passieren. „Coma-Club“ steht gleich unter dem STD-Kennzeichen seines schwarzen Mercedes. Rothan ist stolzes Mitglied des Neuklosteraner Kult-Clubs und heute hier, um zwei schwarz glänzende Flachbildschirm-Fernseher zu entsorgen. „Sehen gut aus, funktionieren aber nicht mehr“, sagt er achselzuckend.

Thomas Stelzmüller gibt Grünabfall ab, wie auf dem Zettel steht. Deshalb muss Nickels Schulze bei ihm nichts kassieren.

Thomas Stelzmüller gibt Grünabfall ab, wie auf dem Zettel steht. Deshalb muss Nickels Schulze bei ihm nichts kassieren. Foto: Richter

Kerstin Harms geht von Auto zu Auto, prüft Menge und Art des Abfalls und gibt den Zettel aus, mit denen die Kunden zeitsparend direkt zur Kasse gehen können. Dort sitzt Nickels Schulze.

Er erklärt, wie es funktioniert: mit Augenmaß. Grünabfälle sind gebührenfrei, Sperrmüll ist es bei bis zu 2 Kubikmetern pro Woche auch, Restmüll kostet 60 Euro pro Kubikmeter. Ab 400 Kilogramm ist die Waage maßgeblich.

Von wegen Elektromüll: Es geht um Wertstoffe

Für die Entsorgung der Fernseher muss Carsten Rothan nichts bezahlen. Rainer Schuran zeigt ihm den richtigen Container dafür an der Elektromüllannahme. Entschuldigung - Müll sollte das nicht genannt werden. Es sind Wertstoffe und sie werden nach Möglichkeit recycled.

So steht es im Kreislaufwirtschaftsgesetz, wie Roland erklärt hat. Es soll die natürlichen Ressourcen schonen und Mensch und Umwelt schützen. Ob Bohrmaschine, Lichterkette, Handy oder elektronische Dartscheibe: Was hier gesammelt wird, geht weiter an Verwertungsbetriebe, die alles sortieren und in wiederverwertbare Komponenten zerlegen.

Rainer Schuran hat gerade eine ausgediente elektrische Dartscheibe entgegengenommen und legt sie oben auf den Container.

Rainer Schuran hat gerade eine ausgediente elektrische Dartscheibe entgegengenommen und legt sie oben auf den Container. Foto: Richter

Aber was, wenn etwas noch funktioniert oder nur eine kleine Reparatur benötigt? Roland schüttelt bedauernd den Kopf. Das zu prüfen, würde die Möglichkeiten übersteigen. Außerdem gehen alle Dinge mit Abgabe im AWZ in den Besitz des Landkreises über. Mitnehmen und zu Hause reparieren scheidet also aus. Schade.

Das findet Sebastian Hoff auch. „Oft kommen hier Möbel noch in Originalverpackung an“, berichtet er und schüttelt den Kopf. Er tickt anders: Hoff wohnt mit seiner Familie in einem alten, denkmalgeschützten Haus. Das ist schön, kostet aber auch. Seit vier Jahren sichert er sich als Aushilfe beim AWZ einen Zuverdienst, hauptberuflich ist er woanders tätig.

Ressourcenschonender Umgang: die Hierarchie des Abfalls

Im Sinne der Kreislaufwirtschaft wäre es, dem Wiederverwenden den Vorrang einzuräumen. Der Leitfaden für ressourcenschonende Abfallwirtschaft kennt ein Ranking:

  • Abfall vermeiden
  • Die Wiederverwendung ermöglichen
  • Recycling
  • Sonstige energetische Verwertung und Verfüllung
  • Beseitigung

Im Hinblick darauf könnte es bald eine Verbesserung geben, verrät Roland Bruns: Demnächst soll ermöglicht werden, Dinge aus dem AWZ zum Beispiel an gemeinnützige Werkstätten und Kaufhäuser weiterzugeben. Die Reporterin ist gespannt auf Montag. Dann erfährt sie sicherlich mehr - und darf hoffentlich richtig anpacken.

Serie: Richter im AWZ

Auch in diesem Sommer absolviert TAGEBLATT-Reporterin Anping Richter wieder eine Praktikumswoche an einem spannenden Ort.

Die erste absolvierte sie 2022 im Kiosk Am Sande in Stade, heuerte danach auf der Elbfähre an und im vergangenen Jahr am Lühe-Anleger.

Diesmal ist es eine Woche in Orange: Im Abfallwirtschaftszentrum in Buxtehude-Adestorf bekommt sie spannende Einblicke und berichtet täglich von ihren Erlebnissen.

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