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„Wird knallen“

TStader Clan-Prozess: Tumult nach Provokationen im Gerichtssaal

Der 34-jährige Angeklagte sitzt zwischen seinen Anwälten Dinah Busse und Dirk Meinicke im Schwurgerichtssaal.

Der 34-jährige Angeklagte sitzt zwischen seinen Anwälten Dinah Busse und Dirk Meinicke im Schwurgerichtssaal. Foto: Pool/dpa

Auftragskiller, Drogen, vulgäre Beleidigungen: Am Stader Landgericht geht es erneut hoch her. Der Bruder des wegen Mordes Angeklagten sagt aus - und die Emotionen kochen über.

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Von Björn Vasel
Donnerstag, 30.01.2025, 19:45 Uhr

Stade. Die Bereitschaftspolizei hatte das Landgericht Stade am 15. Prozesstag um Clan-Kriminalität erstmals wieder mit einem Großaufgebot sichern müssen. Es ging um die Auseinandersetzungen zwischen dem Miri- und dem Al-Zein-Clan in Stade, die am 22. März 2024 in einer blutigen Fehde und einer tödlichen Messerattacke auf einen der Al-Zeins gegipfelt waren.

Mehr als zehn Angehörige des Al-Zein-Clans hatten zuvor das Sportgeschäft KC Sportswear in der Hökerstraße überfallen. Es gehörte dem ältesten Bruder des Angeklagten Mustafa M., einem 46-jährigen Miri. Dieser hat jetzt ausgesagt.

Miri-Brüder angeblich von Al-Zeins mit dem Tod bedroht

Der 46-Jährige tauchte nach der Tat mit weiteren Mitgliedern der Miri-Großfamilie in Kiel ab. Er lebe jetzt „aus Sicherheitsgründen“ an einem unbekannten Ort. Im Schwurgerichtssaal erhob der Geschäftsmann schwere Vorwürfe: Die Al-Zeins hätten einen „Auftragskiller bezahlt“, ein Tschetschene solle sie alle töten.

Die Polizei sicherte das Landgericht Stade mit einem Großaufgebot.

Die Polizei sicherte das Landgericht Stade mit einem Großaufgebot. Foto: Vasel

Zu Beginn der Verhandlung vor der 1. Großen Strafkammer ging der Zeuge auf die Vorgeschichte ein. Bereits im November 2023 habe er „einen Clan-Krieg“ befürchtet. Im Zuge der Neueröffnung eines Shisha-Ladens in Buchholz durch die Al-Zeins war es zu einer Schlägerei gekommen.

Mitglieder des Miri-Clans, der bereits einen Shisha-Laden in Buchholz betrieb, überfielen die Al-Zeins. Diese forderten daraufhin rund 30.000 Euro „als Schmerzensgeld“, so der Zeuge. Letztlich sei es eine verklausulierte Schutzgeld-Forderung gewesen.

Der 46-Jährige sah die Schuld für den blutigen Streit bei den Al-Zeins. Ein Wort des Bedauerns über den Tod von Khaled R., der bei der Messerattacke in Stade gestorben war, ging ihm nicht über die Lippen.

„Es ist kein Geheimnis, dass sie mit Drogen handeln“, sagte der 46-Jährige. Khaled R. habe in seinem Laden in der Großen Schmiedestraße nicht nur Shisha-Produkte verkauft, sondern auch Kokain. Im Zuge des Shisha-Kriegs hätten die Al-Zeins „einen Afrikaner geschickt“. Der habe die Ergotherapie- und Logopädie-Praxis des Angeklagten Mustafa M. und dessen Bruder in der Nordheide aufgesucht und darauf geschossen, während ein Kind in der Buchholzer Praxis saß.

Friedensgipfel mit dem Who‘s who der Clans

Die Eskalation habe für Unruhe unter den aus dem Libanon und der Türkei stammenden islamischen Gemeinschaften gesorgt. Der Zeuge berichtete von einem Friedensgespräch in Buchholz. Bislang war lediglich bekannt, dass die Miris, die Al-Zeins und die angeheirateten Rachid-Al-Zeins an dem Treffen mit einem Friedensrichter teilgenommen hatten.

Der Zeuge nannte erstmals Namen weiterer Clans. In der Halle seien auch Vertreter der Remmo-, Fakhro-, Saroukhan- und Topcu-Familie gewesen. Die Nachnamen stehen für das Who‘s who der deutschen Clan-Kriminalität.

Doch der Friede währte nicht lange. Der Zeuge selbst sei schließlich in das Shisha- und American-Sweets-Geschäft eingestiegen. Das habe die Al-Zeins „gewurmt“, so der 46-Jährige. Sie wollten das Monopol und keinen Wettbewerb. Letztlich habe er die Al-Zeins bei E-Zigaretten mit einem Lockangebot um einen Euro unterboten. Kahled R. habe ihm deshalb respektlose Voicemails geschickt - Sätze wie „Ich ficke deine Mutter“.

Nach Überfall eskaliert die Shisha-Fehde

Das habe ihn verärgert: „Ich bin schließlich nicht irgend so eine Junkie-Person aus dem Altländer Viertel“, die von den Al-Zeins beliefert werde. Ohnehin habe Khaled R. nur „auf Whatsapp dicke Eier gehabt“. Die Familie habe trotz alledem keine Eskalation gewünscht. Doch dann hätten die Al-Zeins am 22. März sein Geschäft am helllichten Tage überfallen. Ohne die Anwesenheit seiner Brüder wären seine drei Kinder im Laden „zu Krüppeln geschlagen worden“.

Daraufhin sei er „durchgedreht“. Er sei zum Wohnhaus der Al-Zeins im Altländer Viertel gefahren und habe die Wohnungstür beschädigt und die Familie beleidigt - so wie die Al-Zeins zuvor. „Ich wollte ihre Frauen nicht vergewaltigen. Ich haben ihnen angetan, was sie mir angetan haben“, sagte er. Er habe die Ehre der Familie verteidigen müssen. Auf dem Rückweg in die Altstadt sei sein Auto gerammt worden.

Die Al-Zeins hätten ihn „töten“ wollen. Er sei mit „erhobenen Händen und unbewaffnet“ auf die Polizisten zugelaufen. Auf der Brücke am Salztor hätten Al-Zeins mit Teleskopschlagstöcken auf ihn eingeschlagen. Einer der Nebenkläger und Brüder des getöteten Khaled R. habe ihn zu Boden gerungen und mit Faustschlägen traktiert: „Ohne Gnade. Er wollte mich erwürgen. Das war sein Plan.“ Die Polizei habe tatenlos zugesehen: „Sie standen da und haben nur Angst gehabt.“ Die andere Familie habe sie umbringen wollen. Dann steckte plötzlich das zehn Zentimeter lange Messer im Kopf von Khaled R.

Rückblick: Tatortaufnahme durch die Polizei in der Nacht nach der tödlichen Messerattacke am Salztor in Stade.

Rückblick: Tatortaufnahme durch die Polizei in der Nacht nach der tödlichen Messerattacke am Salztor in Stade. Foto: Polizei Stade

Der Hamburger Rechtsmediziner Prof. Dr. Sven Anders-Lohner hatte zu Beginn des 15. Prozesstags berichtet, dass das Messer so fest im Kopf gesteckt habe, dass sie sich mit vollem Körpergewicht gegen den Obduktionstisch stemmen mussten, um es aus dem Schädel zu ziehen. Es war von hinten oben nach vorne absteigend „mit größter Kraftanstrengung“ ins Gehirn eingedrungen. Die genaue Position von Mustafa M. lasse sich nicht rekonstruieren. Er behauptete später gegenüber dem Zeugen in Kiel, Khaled R. das Messer lediglich in die Schulter gerammt zu haben.

Angeklagten nach Tumult in Sicherheit gebracht

Dann richtete sich der Zeuge an die Familie Al-Zein. Khaled R. sei „kein Märtyrer“ gewesen, sondern ein Mann ohne Ehre. Diese Provokationen sorgten für einen Aufschrei bei den Nebenklägern sowie bei der Familie in der Zuschauerreihe hinter der mehr als zwei Meter hohen Panzerglaswand.

Die Witwe stieß wüste Beschimpfungen aus. Es kam zu einem Tumult. Die Justizwachtmeister packten den Angeklagten Mustafa M. und zerrten ihn sicherheitshalber aus dem Gerichtssaal. Der Vorsitzende Richter Erik Paarmann unterbrach die Sitzung.

Zeuge will Nachfragen von Richter und Verteidiger nicht beantworten

Der 46-jährige Miri-Bruder wollte mit seiner Aussage offenbar die Nothilfe-These der Verteidigung untermauern. Die Familie will eine Verurteilung wegen Mordes verhindern. Nachfragen der Richter sowie der Anwälte der Nebenklage und Staatsanwältin Dawert wollte er nicht beantworten. Er berief sich auf das Auskunfts- und Zeugnisverweigerungsrecht.

Laut Strafprozessordnung müssen Zeugen sich oder Angehörige nicht belasten, wenn dadurch eine Verfolgung wegen einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit drohen könnte. Zu Schusswaffen und weiteren Details wollte er keine Angaben machen. Für Nebenkläger-Anwalt Lorenz Hünnemeyer war der Miri-Bruder „mehr Schauspieler als Zeuge“. Einer der Nebenkläger warf dem Zeugen vor: „Er lügt und lügt.“

Doch so lammfromm, wie er sich gab, war der Zeuge nicht. In Nachrichten, die die Staatsanwältin Dawert vorlas, äußerte er sich vor der Messerattacke über Khaled R.: „Das wird knallen. Der Typ ist eine lebende Ratte. Den Hurensohn schlage ich tot.“

Der Prozess wird am Mittwoch, 5. Februar, 9.30 Uhr, fortgesetzt.

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