TStader Clan-Streit: Mordprozess beginnt mit Geschrei

34-jährige Angeklagte steht zu Prozessbeginn zwischen seinen Anwälten Dinah Busse und Dirk Meinicke im Schwurgerichtssaal. Foto: dpa-Pool
Der Vorwurf wiegt schwer. Mit „Vernichtungswillen“ habe der Angeklagte ein Messer in den Kopf seines Opfers getrieben. Die Staatsanwältin spricht von Heimtücke. So lief der erste Tag im Clan-Mordprozess.
Stade. Hinter der Panzerglaswand sitzen die Angehörigen der beiden Stader Großfamilien - überwiegend aus den Reihen der Rachid Al-Zeins, aber auch einige der Miris haben einen der 32 Sitzplätze im Zuschauerbereich des Schwurgerichtssaals ergattert. Es herrscht eine aggressive Grundstimmung zwischen den rivalisierenden arabischstämmigen Großfamilien. Frauen weinen, andere schreien oder kreischen, als der 34 Jahre alte Angeklagte in Handschellen in den Saal geführt wird und Platz nimmt. Die Fotografen und die Kameraleute machen ihre Bilder.
Es wird nicht still. Aus den Reihen der Opferfamilien sollen Drohungen und Beleidigungen in die Richtung des in Schwarz gekleideten Angeklagten in arabischer Sprache ausgesprochen worden sein, sogar von einer Morddrohung ist die Rede. Die Justizwachtmeister fordern die Gruppen mindestens zwei Mal auf, Deutsch zu sprechen. Vergeblich. Respekt vor der deutschen Justiz, den lassen einige der Zuschauer vermissen.

Um 11.50 Uhr ruft der Vorsitzende Richter Erik Paarmann die Strafsache gegen Mustafa M. auf. Foto: -/dpa Pool/dpa
Die Mutter des Opfers hat Tränen in den Augen. Sie spricht den 34-Jährigen an, der laut der Anklage ihren Sohn am 22. März auf offener Straße mit einem Messerstich in den Kopf getötet haben soll. Einer der beiden Nebenkläger, Brüder des Getöteten, ruft ihr beruhigend zu: „Ruhe, Mutter.“
Clan-Kriminalität
T Tumulte, Aggressionen und Beleidigungen auf offener Straße
Um 11.50 Uhr ruft der Vorsitzende Richter Erik Paarmann die Strafsache gegen Mustafa M. auf. Die Strafverteidiger Dr. Dirk Meinicke und Dinah Busse setzen durch, dass die Ehefrau des Angeklagten als Beistand zugelassen wird. Das ist in Paragraf 149 der Strafprozessordnung eindeutig geregelt. Die Kammer zieht sich zurück, der Angeklagte wird abgeführt. Wieder vergehen etliche Minuten, bis die Verhandlung weitergeht.
Clan-Streit in Stade: Staatsanwältin spricht von Mord
Es geht weiter. Um 12.10 Uhr ist Staatsanwältin Dawert an der Reihe, neben ihr sitzt der Kollege Oertelt. Sie verliest die Anklageschrift. Mustafa M. (34) habe sein Opfer Khaled R., die Familie ist durch Heirat mit der Familie Al-Zein verbunden, „heimtückisch und aus niedrigen Beweggründen getötet“. Der Vorwurf lautet: gefährliche Körperverletzung in Tateinheit mit Mord. Er habe Khaled R. ein Messer in den Kopf gestoßen.

Wegen des hohen Andrangs startete der Prozess mit Verspätung. Foto: Vasel
Der Streit habe bereits im Oktober 2022 begonnen, so die Anklage. Es ging um Streitigkeiten, vorrangig um Shisha-Shops in Stade und um einen weiteren Shop in einer Immobilie des Angeklagten in Buchholz. Nach Auseinandersetzungen - es kamen Teleskopschlagstöcke zum Einsatz - habe es ein „Friedenstreffen“ unter den Ältesten gegeben. Doch der Konflikt ging weiter, es kam zu einem Preiskampf. Die Staatsanwaltschaft spricht von einer Rabattschlacht.
Kenntnisse von den Clan-Streitigkeiten hatte die Polizei auch durch eine Vertrauensperson.
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Messer-Mord „wegen Ehrverletzungen“
Der Streit eskalierte. Am 22. März 2024 hätten Angehörige der Al-Zein-Großfamilie ein Shisha- und Sportschuh-Geschäft der Miris in der Hökerstraße in Stade verwüstet. Diese wehrten sich, indem sie Wasserpfeifen als Wurfgeschosse auf die Angreifer warfen. Schnittverletzungen waren die Folge.

Bereitschaftspolizisten sicherten den Bereich rund um die Ritterstraße ab. Foto: Vasel
Der andere Clan holte am frühen Abend zum Gegenschlag aus. Im Auto: Schusswaffe und Messer. Die nächste Eskalationsstufe folgte: Die Miris beschädigten ein Wohnhaus des Al-Zein-Clans. Das hörten Mitglieder der Al-Zeins bei einer Kontrolle in der Altstadt - durch einen Funkspruch.
Sie jagten in Richtung Altländer Viertel. Auf der Straße Am Salztor kam es zu einer Auseinandersetzung, Pkw rammten sich. Weitere Polizei war schnell vor Ort, sie hatte sich an die Clan-Mitglieder gehängt. Beleidigungen wie „Du Hurensohn“ fielen. Trotz Anwesenheit der Polizei prügelten sich Angehörige beider Familien. Schon auf dem Weg hatte es eine Attacke gegeben, teils mit Tritten gezielt gegen den Kopf. Die Beamten konnten sie nicht trennen. Ein Messer flog ins Hafenbecken.

Kurz nach dem provozierten Unfall an der Salztorskreuzung kam es zur tödlichen Messerattacke. Foto: Daniel Berlin
Auf der Brücke am Salztor habe sich der hinzukommende Mustafa M. (34) „mit Tötungsabsicht“ ein Messer gegriffen, das auf der Mittelkonsole eines Audi Avant lag. Er habe, so die Staatsanwältin, „die Ehrverletzungen“ durch die andere Familie beenden wollen. Mit „Vernichtungswillen“ habe er ein zehn Zentimeter langes Messer hinterrücks in den Kopf seines wehrlosen Opfers Kahled R. (35), bis in das Stammhirn, gestoßen. Vor den Augen der Polizeibeamten. Er warf seine graue Jacke weg und floh.
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Sein Opfer Khaled R. kam ins Elbe Klinikum. Er werde die Tat nicht überleben, so die Ärzte noch im Krankenhaus. Das Messer verblieb bis zur Obduktion im Kopf.
Der Prozess wird am Mittwoch, 13. November, um 9.30 Uhr fortgesetzt.
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Stader Clan-Streit: Prozess-Chronik
Prozesstag 1
- Tumulte, Aggressionen und Beleidigungen auf offener Straße: Am 5. November treffen vor dem Mordprozess die Clan-Familien Miri und Al-Zein vor dem Landgericht Stade aufeinander. Es wird geschrien, beleidigt und gefilmt. Auch Fäuste werden gehoben.
- Stader Clan-Streit: Mordprozess beginnt mit Geschrei: Der Vorwurf wiegt schwer. Mit „Vernichtungswillen“ habe der Angeklagte ein Messer in den Kopf seines Opfers getrieben. Die Staatsanwältin spricht am ersten Tag im Clan-Mordprozess von Heimtücke.