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Die Unabsteigbaren

TTSV Großenwörden II: Das Schlusslicht in der untersten Spielklasse

Gleich startet das Testspiel gegen Wischhafen/Dornbusch. In der Kabine des TSV Großenwörden II ist es eng.

Gleich startet das Testspiel gegen Wischhafen/Dornbusch. In der Kabine des TSV Großenwörden II ist es eng. Foto: Berlin

4. Kreisklasse, 18 Niederlagen in 20 Spielen - und trotzdem hält Großenwörden II zusammen. Das TAGEBLATT begleitet das Team eine Saison und zeigt, was den Dorfverein auszeichnet.

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Von Tim Scholz,
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Von Daniel Berlin
Samstag, 16.08.2025, 07:50 Uhr

Großenwörden. 14 Männer drängen sich in die Umkleidekabine der Gerhard-Doerksen-Sportanlage in Großenwörden. Neonlicht, gesprenkelte Fliesen, ein leicht muffiger Geruch - Kabine eben. „Eigentlich ziehen wir uns nebenan um“, sagt Kapitän Sven von der Lieth. „Aber heute haben die Damen ein Testspiel“, und die haben Vorrecht auf die größere, modernere Kabine.

Die Spieler tragen blaue Trikots, Hosen und Stutzen, auf der Brust das Logo einer Dachdeckerei. Dann geht es hinaus, durch die Dusche, auf den frisch gekreideten Rasen. Freundschaftsspiel gegen den FC Wischhafen/Dornbusch III - für Großenwörden mehr als nur ein Test.

„Spiele gegen Wischhafen sind immer ein Highlight“, sagt von der Lieth. Man kenne sich gut und vertrage sich auch - er selbst kommt aus Wischhafen und spielte dort in der Jugend. Umso mehr Brisanz steckt in diesem Duell.

18 Niederlagen in 20 Spielen

Vergangene Saison kämpften beide Teams in der 4. Kreisklasse um den vorletzten Platz. Am Ende landete Großenwörden ganz unten, auch weil man beide Spiele gegen Wischhafen verlor. „Das darf nicht wieder passieren“, sagt von der Lieth halb im Scherz, halb im Ernst. Immerhin: Absteigen kann man nicht - tiefer als die 4. Kreisklasse geht es im Stader Herrenfußball nicht.

Kapitän Sven von der Lieth.

Kapitän Sven von der Lieth. Foto: Berlin

Sportlich läuft es bescheiden. In der vergangenen Saison gab es 18 Niederlagen in 20 Spielen, dazu 17:100 Tore. Vor wenigen Tagen setzte es ein 0:7 gegen eine U19. „Die waren fitter und konnten das Tempo länger halten“, sagt von der Lieth. Erst am Dienstag flog das Team mit 0:6 aus dem Pokal. „Natürlich wünscht man sich den einen oder anderen Sieg mehr. Aber auch wenn wir verlieren, kommen wir immer wieder.“


Kabinenansprache: Spielertrainer Lars von der Lieth vor dem Pokalspiel gegen Estebrügge II (0:6). Video: Jupp Hesse/Verein

Warum? Wie hält eine Mannschaft zusammen, die fast immer verliert? Genau diesen Fragen geht die TAGEBLATT-Serie „Die Unabsteigbaren“ nach.

Stiefeltrinken im Großenwördener Hof

Anpfiff. Fußballobmann Dirk Beckmann und der frühere Vereinsvorsitzende Reinhard Schlichtmann nehmen im „Taktikraum“ Platz. Sie sitzen an einem langen Tisch zwischen dem blau-weißen Vereinswappen an der einen Wand und gerahmten Artikeln und Fotos vom Stiefeltrinken an der anderen. „Das haben wir schon gemacht, als ich noch aktiv war: Nach den Spielen ging‘s in den Großenwördener Hof und dann wurde Bier aus Stiefeln getrunken“, erinnert sich Schlichtmann mit rauem Lachen. „Die ersten beiden Stiefel gingen noch, danach wurde nur noch genippt.“

Der ehemalige Vereinsvorsitzende Reinhard Schlichtmann.

Der ehemalige Vereinsvorsitzende Reinhard Schlichtmann. Foto: Berlin

Für das Gespräch hat Schlichtmann seine Adidas-Trainingsjacke aus Alt-Herren-Zeiten angezogen. Er begann bei den „Knaben“, spielte bis zur Ü40. „Ich war nie die größte Leuchte auf dem Platz, aber ich konnte einigermaßen mithalten“, sagt der 74-Jährige. Mitte der Neunziger übernahm er den Vorsitz und beerbte Gerhard Doerksen, jenen Mann, nach dem die Sportanlage benannt ist.

Der kleine Verein erlebt Boom-Zeiten

Doerksen belebte den Verein nach dem Zweiten Weltkrieg neu. Aus dem Männerturnverein wurde der Turn- und Sportverein Großenwörden. Man turnte, spielte Fußball und Tischtennis, das Dorf wuchs zusammen.

Die Gerhard-Doerksen-Sportanlage.

Die Gerhard-Doerksen-Sportanlage. Foto: Berlin

In den Neunzigern erlebte der Verein einen Boom. „Wir hatten über 600 Mitglieder bei 480 Einwohnern“, sagt Schlichtmann stolz. „In einem kleinen Dorf hat so ein Verein einen hohen Stellenwert, wie ein Schützenverein.“ Vielleicht ist genau das der Grund, warum die Mannschaft trotz Niederlagen nicht auseinanderfällt.

„Wir werden nie Bezirksliga oder Landesliga spielen“

Obmann Dirk Beckmann ist einer von denen, die den Laden zusammenhalten. Er macht den Job seit 17 Jahren. „Es wollte sonst keiner“, sagt der 47-Jährige. Aber er macht es gut. Still und leise, aber meistens mit einem tiefenentspannten Lächeln im Gesicht.

Dirk Beckmann (47) ist seit 17 Jahren Obmann beim TSV: „Es wollte sonst keiner.“

Dirk Beckmann (47) ist seit 17 Jahren Obmann beim TSV: „Es wollte sonst keiner.“ Foto: Berlin

Einen wie ihn muss man zwingen, über die eigenen Verdienste zu reden. Deshalb tun dies andere. „Unter ihm als Obmann haben wir die Infrastruktur verbessert“, sagt Reinhard Schlichtmann. Ballfangnetze, Zäune, die Modernisierung der Flutlichtanlage.

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140 Fußballerinnen und Fußballer stehen beim TSV in der Statistik. Klar seien einige davon Karteileichen, aber das sportliche Personal reicht für zwei Männermannschaften, eine Frauenmannschaft, eine Ü40. Die Ü32 bildet eine Spielgemeinschaft mit Basbeck-Osten, die Kinder kicken in der JSG Nord.

Der TSV Großenwörden II spielt in der 4. Kreisklasse.

Der TSV Großenwörden II spielt in der 4. Kreisklasse. Foto: Berlin

„Jeder einzelne dieser Fußballer macht den Verein aus“, sagt Beckmann. „Jeder hat seinen Charme, jeder seine Macken.“ Beckmann mag das, wenn der eine grillt oder der andere Sponsoren sucht. Jeder gibt, was er kann. Das sei diese besondere „Dorfverein-DNA“. Beckmann: „Wir werden nie Bezirksliga oder Landesliga spielen.“

Spielertrainer wechselt sich wieder ein

Reinhard Schlichtmann verabschiedet sich, er möchte einer Geburtstagseinladung nachkommen. Draußen pfeift der Wind, die Bäume werfen lange Schatten auf den Rasen. Rund 20 Menschen schauen zu. Und es läuft gut: Großenwörden führt 3:2, Spielertrainer Lars von der Lieth hat selbst getroffen.

Die Aufstellung beim Testspiel gegen Wischhafen/Dornbusch III.

Die Aufstellung beim Testspiel gegen Wischhafen/Dornbusch III. Foto: Scholz

Mitte der zweiten Halbzeit wird vierfach gewechselt - auch Lars von der Lieth geht raus. Prompt fällt das 3:3. „Seit unserem Wechsel ist es schlimmer geworden“, murmelt der Spielertrainer kopfschüttelnd. Regen setzt ein, die Knie werden brauner. Lars von der Lieth wechselt sich wieder ein.

In allerletzter Minute landet der Ball vor den Füßen seines Bruders Kai, der ihn im vollbesetzten Strafraum zum 4:3 ins Tor stochert. Doch die Freude ist verhalten: „Ein Remis wäre gerecht gewesen, aber wir nehmen das positive Erlebnis mit“, sagt Kapitän Sven von der Lieth, der älteste der drei Brüder, neben Spielertrainer Lars und Siegtorschütze Kai.

Spielertrainer Lars von der Lieth.

Spielertrainer Lars von der Lieth. Foto: Berlin

In der Liga gibt es bald ein Wiedersehen: Großenwörden gegen Wischhafen/Dornbusch. Oder, wie der Kapitän sagt: „Die heißesten Kandidaten um den letzten Platz.“

Die Serie „Die Unabsteigbaren“

Der TSV Großenwörden II beendete die vergangene Saison als Letzter der untersten Spielklasse. Absteigen kann man hier nicht - und genau das macht diese Truppe so spannend. Das TAGEBLATT begleitet das Team durch die gesamte Saison. Im Mittelpunkt stehen vor allem die Menschen, die die Mannschaft und den Verein prägen. Wir wollen zeigen, wie ein Dorfverein tickt, wie eine Amateurmannschaft funktioniert und warum sie trotz Niederlagen immer wieder zusammenfindet.

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