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TTote bei Zugunglücken: Wie Verkehrsbetriebe damit umgehen

Der Lokführer des Zuges, der am 25. Oktober in Mulsum mit einem Auto kollidierte, stand nach dem Unfall nach Angaben der Polizei unter Schock.

Der Lokführer des Zuges, der am 25. Oktober in Mulsum mit einem Auto kollidierte, stand nach dem Unfall nach Angaben der Polizei unter Schock. Foto: Feuerwehr

Kürzlich kollidierte in Mulsum im Kreis Cuxhaven ein Zug mit einem Auto, eine Frau starb. Der Lokführer stand unter Schock. Welche Hilfe bekommt Bahnpersonal nach solchen Erlebnissen?

Von Lennart Keck Freitag, 08.11.2024, 05:30 Uhr

Landkreis Cuxhaven. Zwei Wochen ist es her, dass in Mulsum ein Personenzug der Eisenbahnen und Verkehrsbetriebe Elbe-Weser (evb) mit einem Auto kollidiert ist. Die 35-jährige Fahrerin starb noch am Unfallort. Ihre beiden Kinder wurden mit teilweise lebensbedrohlichen Verletzungen in verschiedene Krankenhäuser geflogen.

Der Lokführer des Unglückszuges, der gerade aus Bremerhaven kam, versuchte noch, den Zug durch eine Notbremsung zum Stehen zu bringen - doch es war bereits zu spät. Unweigerlich war er der erste Augenzeuge, als der mehrere Hundert Tonnen schwere Zug das Auto erfasste. Andrea Stein, Pressesprecherin der evb, macht deutlich: „Der Lokführer ist bei diesen Unfällen immer an vorderster Front, dadurch immer ein Betroffener und häufig durch das Geschehene und Gesehene traumatisiert.“ Ein Szenario, das jeder Lokführer fürchtet, das aber zur beruflichen Realität gehört, wie die Statistik zeigt.

Bezogen auf die rund 19.500 Triebfahrzeugführer der Deutschen Bahn (DB) und einer jährlichen Quote von etwa 500 Fällen in Deutschland, wie sie das Statistische Bundesamt angibt, erleben Lokführer statistisch gesehen alle 20 Jahre einen Schienentod. Bei einem 45-jährigen Berufsleben also etwa zweimal.

Die Vorgehensweise von Lokführern nach Kollisionen

EVB-Sprecherin Stein erklärt, wie ein Lokführer in einem solchen Fall vorzugehen hat: „Sobald der Lokführer etwas am oder im Gleisbereich sieht, was die Gleise kreuzen und mit dem Schienenfahrzeug kollidieren könnte, leitet er eine Schnellbremsung ein.“ Gleichzeitig wird vor den Rädern feinkörniger Quarzsand auf die Schiene gestreut, um damit den Bremsweg zu verkürzen. „Zusätzlich gibt der Lokführer ein dauerhaftes akustisches Warnsignal mit dem Zug ab.“

Sobald der Zug zum Stillstand gekommen ist, muss unverzüglich ein Notruf an den zuständigen Fahrdienstleiter abgesetzt werden. Dieser setzt dann die Rettungskette in Gang. Damit ist die gesetzlich vorgeschriebene Erste Hilfe grundsätzlich erfüllt. Per Tastendruck werden die Fahrgäste über eine Bandansage des Fahrgastinformationssystems informiert. „Alles Weitere steht dem Triebfahrzeugführer frei. Wir empfehlen den Triebfahrzeugführern aber nicht, sich zu Unfallopfern zu begeben, um weitere Hilfe zu leisten, da sie sich selbst nahezu immer in einem Schockzustand befinden.“ Bei der evb wird dann durch die Johanniter psychosoziale Akuthilfe geleistet.

Prävention in Ausbildung und Fortbildungen

Um Lokführer frühzeitig auf solche Szenarien vorzubereiten, sei die mentale Auseinandersetzung mit den Folgen eines möglichen traumatischen Ereignisses Teil von Aus- und Fortbildung, erklärt ein Unternehmenssprecher der Verkehrsgesellschaft Start Unterelbe, die den Bahnverkehr der RE5 zwischen Hamburg und Cuxhaven betreibt. Das sei wichtig, denn „das Thema ist im Bereich des Schienenpersonennahverkehrs allgegenwärtig, weshalb der Umgang damit routinemäßig in unseren Aufgabenbereich gehört“, versichert der Sprecher.

„Triebfahrzeugführer und Zugbegleiter bei der DB, zu der auch die Start-Unterelbe gehört, werden durch ein Team von Psychologen geschult, wie sie mit belastenden Ereignissen umgehen können.“ Oft mithilfe von Videosequenzen und Gesprächen. Das Seminar ist Pflicht in der Berufsausbildung. Geschult werden aber auch diejenigen, die in der Regel den ersten Kontakt zu den Betroffenen haben, wie Notdienste, Disponenten oder Leitstellenmitarbeiter.

Intensive Betreuung bis weit nach dem Unfall

Die psychische Belastung für Lokführer endet jedoch nicht am Unfallort. Bundesweit stehen den Lokführern Notfallpsychologen für eine intensive Nachbetreuung zur Verfügung. Ziel der Nachsorge ist es, das Risiko einer möglichen Traumafolgestörung zu reduzieren. Bei der evb werden Langzeittherapien oder Beratungen angeboten. Die Kosten trägt die Berufsgenossenschaft. „Die Unterstützung wird so lange gewährt, wie der Lokführer es für notwendig hält“, sagt evb-Sprecherin Stein.

Ab wann sind Lokführer wieder einsatzfähig?

Doch wann ist das? „Der betroffene Mitarbeiter entscheidet gemeinsam mit den Psychologen, ob er wieder fahrtüchtig ist oder nicht“, erklärt Andrea Stein. Wie bei jeder längeren Abwesenheit vom Arbeitsalltag gebe es dann ein Wiedereingliederungsprogramm. „Zusätzlich wird der Lokführer bei seiner ersten Fahrt nach einem traumatischen Erlebnis begleitet.“ Sollte sich ein Lokführer nicht mehr in der Lage sehen, seinen Beruf auszuüben, könne er innerhalb der DB in eine andere Tätigkeit wechseln.

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