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Tödliche Messerstiche

TTotschlagprozess am Landgericht Stade: Zeugenaussagen und beklemmende Videos

Auftakt des zweiten Prozesstages im Schwurgerichtssaal des Landgerichts Stade: Die Angeklagten verbargen ihr Gesicht hinter Pappdeckeln.

Auftakt des zweiten Prozesstages im Schwurgerichtssaal des Landgerichts Stade: Die Angeklagten verbargen ihr Gesicht hinter Pappdeckeln. Foto: Reese-Winne

Nach und nach setzte sich im Stader Landgericht ein - wenn auch noch sehr diffuses - Bild von dem zusammen, was geschehen sein könnte in der Nacht zum Heiligabend 2023 in Cuxhaven. Ein Angeklagter ließ seine Schilderung durch einen Anwalt verlesen.

Von Maren Reese-Winne Freitag, 31.05.2024, 05:45 Uhr

Stade. Die 4. große Jugendstrafkammer des Landgerichts Stade hat noch einige Arbeit vor sich, um aufzuklären, was sich genau zugetragen hat in der Nacht zum Heiligabend im vergangenen Dezember. Wegen Totschlags haben sich dort seit dieser Woche zwei 21-jährige Cuxhavener zu verantworten. Am zweiten Tag der Verhandlung begann sich am Donnerstag ein Mosaik zusammenzusetzen.

Zeuge filmte Auseinandersetzung

Dabei stellte sich heraus, dass das Geschehen in der dicht bebauten Straße Hörn doch nicht unbemerkt geblieben war. Ein Zeuge hatte die Auseinandersetzung zwischen den beiden Beschuldigten und dem zu dem Zeitpunkt offensichtlich schon verletzten Opfer, einem 56-jährigen Cuxhavener, gehört und gefilmt. Ohne das wahre Ausmaß zu erkennen, wie er mehrfach gegenüber der Vorsitzenden Richterin Reinecker versicherte. „Sonst hätte ich doch mindestens einen Krankenwagen gerufen.“

Er sei von einer Auseinandersetzung unter Betrunkenen ausgegangen - „wie sonst immer.“ Von Blut sei bei Regen „null komma null“ zu sehen gewesen: „Ich dachte an eine Pfütze.“

Gespenstische Stille im Saal

Das Video war eines in einer ganzen Reihe aus verschiedenen Akten und von verschiedenen Urhebern inklusive einer Überwachungskamera am Kaufhaus Stolz. Mucksmäuschenstill war es im Saal, als Videos von den Handys der Beklagten abgespielt wurden, die verstörend wirkende Schlaglichter auf das mögliche Geschehen in der Nacht warfen.

Inzwischen freigelassener Beschuldigter lässt Erklärung verlesen

Zu Beginn der Sitzung hatte der Ältere der beiden Beschuldigten, zum Zeitpunkt der Geschehnisse bereits 21 Jahre alt, seinen Verteidiger, Rechtsanwalt Reinhard Platzbecker aus Cuxhaven, eine Erklärung mit einer Beschreibung der Nacht und der kommenden Tage verlesen lassen. In der Tatnacht habe er nach einem gemeinsamen Abend, bei dem Medikamente konsumiert und selbstgebrannter Alkohol getrunken worden seien, seinen Kumpel nach Hause begleiten wollen. Der sei mit einem E-Scooter vorgefahren.

Als er ihn eingeholt habe, habe sich dieser bereits in einem offensichtlichen Konflikt mit dem späteren Opfer befunden. Er sei nichtsahnend in das Geschehen miteinbezogen worden, habe nicht gewusst, worum es gegangen sei und habe die Tat nicht begangen.

Erst später Blut entdeckt

Erst als der Mann ihn gepackt habe, habe er gemerkt, dass dieser blute. Er habe sich unter Druck gesetzt gefühlt, habe aber auch den Kumpel aufgefordert, einen Krankenwagen zu rufen. Zu Fuß und gemeinsam auf dem E-Scooter seien sie schließlich geflüchtet. Bilder der Überwachungskamera zeigten später zwei auf einem Scooter vorbeifahrende Personen auf Schlingerkurs.

Aufgewühlte Stimmung auf Videoschnipseln

Sie seien dann auf dem Weg zu einem gemeinsamen Freund wirklich gestürzt. Video-Fragmente von seinem Telefon aus den kommenden Stunden ließen sie aufgewühlte Stimmung spüren, einmal fällt der Satz „Wie soll ich das meiner Mutter erklären?“, mehrfach zeigt der Angeklagte Blutspuren am Körper, Kleidung und Schuhen.

Was wirklich passiert war, sei ihm erst am Morgen klar geworden, als sein Kumpel ihm mitteilte: „Der Mann ist tot.“ Er - der zweite Angeklagte - habe Polizei und Spuren auf der Straße gesehen, die Presse habe auch schon berichtet.

Freunde glaubten an einen Scherz

Am selben Abend vertrauten sich die beiden Beschuldigten unter anderem einem gleichaltrigen befreundeten Ehepaar an. Beide Eheleute wurden am Donnerstag als Zeugen gehört und berichteten, dass sie das Gesagte trotz der Beteuerung „Doch, das war wirklich so“ zunächst als Scherz oder Aufspielerei aufgefasst hätten. Erst am nächsten Tag sei das Geschehen real geworden.

SEK durchs Fenster kommen sehen

Am Telefon habe er seinem Freund den Rat gegeben, sich einem Anwalt oder der Polizei anzuvertrauen, so der Zeuge. In dem Moment habe bei dem Kumpel schon die Polizei vor der Tür gestanden. Dieser habe sinngemäß gesagt, dass er das SEK durchs Fenster sehe. Von sechs oder sieben Polizei-Bussen war später in der Verhandlung die Rede.

Er habe nicht gewusst, dass der Mann so schwer verletzt worden sei, ließ der inzwischen Freigekommene per Erklärung verlesen, er fühle sich schuldig, dass er keinen Krankenwagen gerufen habe und die Familie des Verstorbenen tue ihm leid.

Bilder einer Instagram-Story gesichert

Die Einlassung des zweiten Angeklagten fiel weniger umfangreich aus. Er berief sich auf Aussagen, die er gegenüber einem Sachverständigen gemacht hatte. Darin wird das nächtliche Geschehen mit dem Hinweis auf fehlende Erinnerungen kaum gestreift; die Nachricht in dem im Laufe des Tages erschienenen Online-Artikel sei „ein Schock“ gewesen. Um was sich der Streit gehandelt habe, wisse er nicht.

Unter den sichergestellten Bildmaterialien waren auch solche vom Handy des Beschuldigten. Zu sehen: Eine Instagram-Story auf seinem Account - Blutspuren und ein Portrait seiner selbst mit dem Satz „Und wenn sie mich bekommen, is‘ so“.

In der kommenden Woche wird die Verhandlung fortgesetzt.

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