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Schicksal

THIV-positiv, schwul, ausgegrenzt – Dieser Mann kämpft um seine Würde

Ein Cuxhavener schildert seine bewegende Geschichte mit der Diagnose HIV-positiv. (Symbolfoto)

Ein Cuxhavener schildert seine bewegende Geschichte mit der Diagnose HIV-positiv. (Symbolfoto) Foto: Sina Schuldt/dpa

Als Kind beschimpft, als Jugendlicher missbraucht, als Erwachsener bedroht: Ein Cuxhavener erzählt seine Geschichte und kämpft für Sichtbarkeit und gegen Vorurteile.

Von Bengta Brettschneider Mittwoch, 18.06.2025, 05:50 Uhr

Cuxhaven. Als er sechs Jahre alt war, verstarb sein Vater im Alter von 27 Jahren an Darmkrebs. Seine Mutter, erst 25 Jahre alt, blieb mit drei kleinen Kindern zurück. So beginnt die Geschichte von Manuel Müller (Name von der Redaktion geändert).

Eine Geschichte, die er öffentlich erzählt, aber nicht unter seinem richtigen Namen. Zu groß ist die Angst, seine sozialen Kontakte oder seinen Job zu verlieren, der ihm wichtig ist. Schon zu oft wurde ihm gedroht. Weil er homosexuell ist. Weil er HIV-positiv ist. Auch in Cuxhaven kam es zu Übergriffen aufgrund der sexuellen Orientierung von Männern.

Ein Satz, der sich in das Gehirn einbrennt

Kleinbürgerlich wuchs er dann Anfang der 70er Jahre im Haus der Großeltern auf. „Und sehr unaufgeklärt“, fügt er ruhig hinzu. Ein Draufgänger sei er nie gewesen und er habe gerne mit Puppen gespielt. Ihm war schon immer klar - wenn man anders ist, schämt sich die Familie für einen.

Eine seiner jüngsten Erinnerungen ist, dass der Bruder einer Nachbarin mit seinem Mann zu Besuch war, den er im Garten küsste. „Drecksschweine“, habe seine Mutter gezischt. „Wir bräuchten wieder ein KZ.“ Dieser Satz habe sich in sein Gehirn eingebrannt.

Als sein Großvater starb, wollte seine Großmutter nicht allein sein, und er und sein Cousin verbrachten viel Zeit bei ihr. Er war 11 Jahre alt und sein Cousin 16. Erst Jahre später erzählte er seiner Mutter, dass sein Cousin ihn sexuell berührt habe. Sie glaubte ihm nicht.

„Ihre größte Angst war, was die Nachbarn sagen könnten.“ Manuel Müller hatte immer das Gefühl, seine Mutter würde sich eine Pille wünschen, die ihn „normal“ macht.

Erst als er dann mit 19 Jahren auszog, lernte er die ersten anderen schwulen Männer kennen. Hatte man sich auf dem Dorf noch auf Parkplätzen getroffen, gab es in den größeren Städten bereits richtige Treffpunkte.

Diagnose HIV: „Friss oder stirb“

Bereits Mitte der 90er Jahre infizierte er sich mit HIV. Er wusste nicht, dass sein Partner positiv war, gibt diesem aber nicht die alleinige Schuld. „Die Tabletten wurden damals aus den USA an die Aidsforschung geschickt“, erläutert Manuel Müller.

Sie seien Versuchskaninchen gewesen. Er musste eine Kombination aus drei Tabletten nehmen, die schwere Nebenwirkungen verursachten. Jetzt müsse er nur noch eine Tablette nehmen.

Den Menschen in seinem nahen Umfeld beim Sterben zusehen zu müssen, war für ihn das Schlimmste. „Es war sprichwörtlich friss oder stirb“, denn das Tablettenschlucken habe sich gelohnt. Er hat überlebt.

Familie kommt nicht zu seiner Verpartnerung

Damals stellte er sich die Frage, was er seinen Eltern sagen sollte. Er entschied sich dafür, seiner Mutter von der Krankheit zu erzählen. Zu groß war die Angst, dass er stirbt und sie erst dann erfahren würde, woran. „Ich erinnere mich noch genau an den Tag“, führt er ruhig aus.

Ihre Reaktion von damals verursacht noch heute Gänsehaut bei ihm. „Na, super hast du das gemacht“, habe sie gesagt. „Wusste ich es doch, dass du dir das einfängst.“ Seine Schwester habe daraufhin wissen wollen, ob sie jetzt alles desinfizieren müssten.

Als er sich Jahre später verpartnern ließ (Anm.: Vor dem 28. Juli 2017 und dem „Gesetz zur Einführung des Rechts auf Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts“ war nur die eingetragene Lebenspartnerschaft möglich), kam seine Familie nicht.

„Und auch keine Karte. Keine Nachricht.“ Im Laufe der vergangenen Jahre hätten sie dann immer mal wieder sporadischen Kontakt gehabt, der aber nie gut geendet sei. Die Situation spitzte sich sogar so weit zu, dass Familienmitglieder ihn bei Arbeitgebern schlechtmachten und er Drohungen erhielt.

Was sich heute ändern muss

Es fehle nach wie vor an Aufklärung über HIV, meint Manuel Müller. „Jeder muss auf sich aufpassen und ist auch verantwortlich für andere Menschen“, betont er. „Teilweise wollten Menschen Schüsseln nicht anfassen, die ich berührt habe“. Es sei wichtig, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass auch HIV-Positive oder an Aids erkrankte Menschen wie alle anderen sind.

In Stade können sich Menschen der queeren Community und auch bei Fragen rund um eine HIV-Erkrankung an Pro Familia wenden.

Aktuell verfasst Manuel Müller sein Testament. Sein Erbe soll an die Aidshilfe gehen. „Aber ich habe noch viel vor. Ich möchte unbedingt noch nach Spanien gehen.“

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