TVera Tarans tragisches Schicksal: Mahnmal in Drochtersen erinnert an NS-Opfer
Vera Taran aus der Ukraine war Zwangsarbeiterin in Drochtersen. Von hier führte ihr Weg ins KZ. Ihr Name und der ihres Kindes, das nur einen Tag lebte, sind auf den Stelen festgehalten. Foto: Landesarchiv Stade
Ein neues Mahnmal bei der Drochterser Kirche erinnert seit kurzem an die Opfer des Nationalsozialismus in der Gemeinde. Eines davon ist Vera Taran - das ist ihre Lebensgeschichte.
Drochtersen. Bereits seit einigen Jahren gibt es auf dem Drochterser Friedhof 26 Namenssteine aus Tonziegeln für 26 Babys und Kleinkinder, die in der NS-Zeit im „fremdvölkischen Kinderheim“ in Nindorf starben. Sie wurden in der Regel zu Tode gepflegt, also so schlecht versorgt und mangelhaft ernährt, dass sie starben.
Aber es gibt noch mehr NS-Opfer im Bereich der Gemeinde Drochtersen. Insgesamt sind es bislang 63, die namentlich bekannt sind. Sie wurden während der NS-Zeit verfolgt, entrechtet, deportiert oder ermordet. Für sie alle ist das neue Mahnmal errichtet worden. Die SPD-Fraktion hatte vor zwei Jahren einen entsprechenden Antrag gestellt.
Gegen das Vergessen
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In Zusammenarbeit zwischen Politik, Verwaltung und Kirchengemeinde entstand ein Ort des Gedenkens, der bewusst mitten im Zentrum des Ortes, nämlich vor der Kirche, an das dunkelste Kapitel der deutschen Geschichte erinnert. Auch die Elbmarschenschule ist bei diesem Projekt eingebunden.
Drei schwedische Naturstein-Säulen mit Namen
Das neue Mahnmal besteht aus drei jeweils 1,60 Meter hohen Stelen aus poliertem schwedischen Halmstad-Naturstein und wurde entworfen und gefertigt vom Steinmetzbetrieb Bösch aus Oldendorf. Die Gemeinde stellte für das Mahnmal 20.000 Euro bereit.
Die Stelen sind in Kreisform auf einer runden Platte angeordnet, auf ihnen stehen die 63 Namen aller bekannten NS-Opfer in Drochtersen - viele davon hat der Stader Experte für Regionalgeschichte, Michael Quelle, recherchiert. Vertikal auf den Säulen angeordnet sind die Begriffe Menschenwürde, Mahnung, Gerechtigkeit, Verantwortung, Erinnerung und Zeugnis.

Vor der Drochterser Kirche steht das neue Mahnmal der Gemeinde für 63 NS-Opfer. Foto: Knappe
Die Namen und Schicksale, die mit den Stelen verbunden sind, erzählen von Leid, Entmenschlichung und Verlust. Einige der Opfer stammten aus Drochtersen, andere kamen aus verschiedenen Ländern Europas und wurden in der NS-Zeit zur Zwangsarbeit in die Region gebracht. Viele von ihnen überlebten die Torturen nicht.
Die Geschichte von Vera und Hanna Taran
Auf einer der Steinsäulen sind unter anderem die Namen von Vera und Hanna Taran verewigt. Michael Quelle hat, wie bereits berichtet, in den Archiven Daten zur Lebensgeschichte der jungen Frau recherchiert.
Vera Taran kommt am 29. März 1924 im russischen Wisokopolje zur Welt, ein kleiner Ort in der Ukraine. Sie besucht die Volksschule und wächst zu einem schlanken Mädchen heran, 1,60 Meter groß, mit braun-grünen Augen und dunkelblondem Haar.
Ab Januar 1942 deportieren die Deutschen die ersten Ostarbeiter mit Zügen ins Deutsche Reich, wo sie auf Baustellen, Höfen, in Privathaushalten und Rüstungsbetrieben Zwangsarbeit leisten müssen. Die 18-jährige Vera Taran gehört dazu.
Baby Hanna in Drochtersen begraben
Ab dem 2. Juli 1942 lebt sie in der Gemeinde Drochtersen, wo sie als Hausgehilfin auf dem Hof der Witwe Marie Schlifter in Theisbrügge arbeitet. 1944 wird Vera Taran schwanger. Ob sie vergewaltigt wurde oder ob sie in ihrem Leben Liebesglück erfahren durfte, ist nicht bekannt. Als 20-Jährige bringt sie das Kind am 30. Mai 1944 in Theisbrügge zur Welt.
Das Baby heißt Hanna. Am Morgen des nächsten Tages, um 8.30 Uhr, stirbt es. An „Lebensschwäche“, so steht es später in der Sterbeurkunde. Nach Informationen von Michael Quelle hieß das meist, dass der Zustand der Mutter schon schlecht war. Hanna Taran wurde auf dem Drochterser Friedhof bestattet.
Von Drochtersen in den Tod
Vera Taran wird zweieinhalb Wochen nach dem Tod ihres Kindes ins Landgerichtsgefängnis Stade gebracht. Das Urteil lautet auf politische Haft. Am 11. August 1944 verlässt Vera Taran das Stader Gefängnis. Entlassungsziel ist das Konzentrationslager Ravensbrück.
Ihre Lebensspur verliert sich in der Magdeburger Außenstelle des Konzentrationslagers Buchenwald, wo sie im Rüstungswerk Polte eingesetzt wird. Von Vera Taran gibt es keine Sterbeurkunde und keinen Überlebensbeweis. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie überlebt hat, ist gering. Wahrscheinlich starb sie auf einem Todesmarsch kurz vor Auflösung des KZ durch die Alliierten.
Elbmarschenschüler wollen Biografiearbeit leisten
In Drochtersen wollen sich Schüler der Elbmarschenschule mit Biografiedaten weiterer Drochterser NS-Opfer auseinandersetzen. Später sollen bei einem Besuch des Mahnmals Lebensgeschichten einzelner Opfer per QR-Code digital abgerufen werden können.
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Am Donnerstag, 22. Januar 2026, 19 Uhr, findet im Gemeindehaus in Drochtersen die Veranstaltung „Die Namen auf der Stele“ mit Michael Quelle statt. Dabei werden exemplarisch Lebensgeschichten und Biografien der auf der Stele genannten Menschen vorgestellt.
Offizielle Einweihung am 27. Januar
Offiziell eingeweiht werden die drei Gedenkstelen am Dienstag, 27. Januar 2026, um 18 Uhr im Rahmen eines Gedenkgottesdienstes in der Kirche. Der 27. Januar ist der internationale Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus. Alle Bürger sind eingeladen, gemeinsam ein Zeichen gegen das Vergessen, gegen Hass und für Menschlichkeit zu setzen.

Vera Taran aus der Ukraine war Zwangsarbeiterin in Drochtersen. Von hier führte ihr Weg ins KZ. Ihr Name und der ihres Kindes, das nur einen Tag lebte, sind auf den Stelen festgehalten. Foto: Landesarchiv Stade
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