TOnkel starb im Sherman-Panzer: Fund in Kutenholz rührt Nichte zu Tränen

Auf den Spuren der toten Soldaten: Der britische TV-Redakteur Peter Bearne filmt für seine Doku, an der Stele stehen Chris Askew, Debbie Bülau, Frank Hoferichter und Rose Askew (von links). Foto: Vasel
Tief ergriffen steht Rose Askew mit ihrem Mann Chris vor der Gedenkstele auf dem Friedhof in Kutenholz. Ihr Onkel starb hier im Mai 1945 ganz in der Nähe. Sie sind auf Spurensuche.
Kutenholz. Rose und Chris Askew schreiten gemeinsam mit Sondengänger Frank Hoferichter über eine Wiese an der Otter. Es piept. Hoferichter gräbt eine verrostete Mutter des Sherman-Panzers aus, so groß wie eine Walnuss.

Rose und Chris Askew folgen dem Sondengänger Frank Hoferichter. Foto: Vasel
Er legt sie in die Hand der 71-jährigen Rose. Sie hat Tränen in den Augen: „Das bedeutet mit sehr viel.“ Diese verrosteten Metallstücke werden sie in ihrem Haus in Mansfield an ihren Onkel erinnern, den Wehrmachtssoldaten im Alter von 19 Jahren mit seinem Panzer in die Luft sprengten.

Rose Askew hält die Überreste des Panzers in ihren Händen. Foto: Vasel
Das britische Ehepaar ist nach Kutenholz gekommen, um sich mit den Heimatforschern Debbie Bülau und Frank Hoferichter auf eine Zeitreise zu begeben: Vor 79 Jahren, kurz vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs, starb Rose Askews Onkel Anthony Taylor-Hurst in seinem Sherman-Panzer in der Feldmark.
Nichte legt Blumen an Gedenkstele nieder
Auf dem Friedhof in Kutenholz legen sie Blumen nieder. Askew ist „tief beeindruckt“ von dem Gedenkort. Mit ihren Forschungen und den Stelen hätten Bülau und ihre Mitstreiter ihren Onkel für sie „wieder lebendig gemacht“.

Frank Hoferichter mit Rose und Chris Askew an der Infotafel auf dem Friedhof in Kutenholz. Foto: Vasel
Über Anthonys Tod sei in der Familie ein Mantel des Schweigens ausgebreitet worden. Ihr vom Krieg traumatisierter Vater habe weder über seine eigenen Kriegserlebnisse noch über den Tod seines geliebten Bruders sprechen wollen.

Rose und Chris Askew (vorne) sind tief bewegt, im Hintergrund Frank Hoferichter und Debbie Bülau. Foto: Vasel
Die Erinnerungen waren zu schmerzhaft, sagt Rose Askew. Deshalb hätten sie über Jahrzehnte fälschlicherweise gedacht, dass ihr Onkel nach der Invasion in Frankreich sein Leben ließ. Die Mutter hatte erwähnt, dass der 19-Jährige dort eingesetzt war. Dass Taylor-Hurst seine letzte Ruhe nach der Umbettung vom Amtshof in Harsefeld auf dem Becklingen War Cemetery bei Wietzendorf gefunden hatte, dieses Wissen habe der Vater mit ins Grab genommen.

Anthony Taylor-Hurst (†19). Foto: privat
Die Familie habe erst durch einen Aufruf von Debbie Bülau und eine Fernsehsendung des Journalisten Peter Bearne von den wahren Hintergründen erfahren. Auf dem Friedhof und auf einer Wiese bei Kutenholz rekonstruierte die Heimatforscherin die letzten Stunden ihres Onkels.
Wehrmachtssoldaten sprengten Panzer ihres Onkels
Wenige Tage vor Ende des Zweiten Weltkriegs hätten die deutschen Truppen am 1. Mai 1945 im Bullenholz bei Kutenholz den Sherman-Panzer durch die Fernzündung einer Seemine gesprengt, so die Heimatforscherin. Fünf britische Soldaten im Alter von 19 bis 27 Jahren fanden den Tod.
Die Besatzung dieses Kampfpanzers sei auf dem Weg nach Stade gewesen. „Die Brücke in Schwinge war von deutschen Truppen gesprengt worden, deshalb mussten die Briten auf ihrem Vormarsch den Umweg über Kutenholz nehmen“, sagt Bülau. Als der Panzer über die kleine Brücke über die Otter fuhr, schlugen die deutschen Soldaten zu.
Diese hätten sich auf dem Bauernhof der Familie Wölpern beim Bullenholz versteckt. Ganz in der Nähe hatten sie einen Tag vorher bereits einen Panzerspähwagen zerstört - unter den Toten war ein früherer Leibwächter der britischen Königsfamilie.
Der Widerstand der Wehrmacht war längst sinnlos
Der Widerstand war sinnlos, denn der Krieg war längst verloren. Bereits einen Tag später streckte die Wehrmacht in der Reichshauptstadt Berlin die Waffen, wenige Tage vor der bedingungslosen Kapitulation der deutschen Wehrmacht am 8. Mai 1945.
Anthony Taylor-Hurst (19), John Thomas Green (25) sowie Ronald Gilbert Moore (21) seien zunächst in Harsefeld beerdigt worden. Von den beiden Guardsmen Stanley Somerset (19) und Frank Lock (27) konnten bislang keine sterblichen Überreste bestattet werden. „Beide saßen vermutlich im Turm des Panzers“, sagt Kreisarchäologe Daniel Nösler. Die Detonation muss ungeheuerlich gewesen sein.

Das Foto zeigt zwei Tote von Kutenholz, Frank Lock (links) und Stanley Somerset (rechts), auf einem Sherman-Panzer bei Namur. Vorne links ist der Captain Robert Thomas Boscawen zu sehen, er wurde am 1. April schwer verwundet, die beiden Guardsmen starben am 1. Mai 1945. Foto: Tank Museum
Bei Grabungen haben die Kutenholzer nicht nur Reste des Panzers, sondern auch Knochen freigelegt. Auch von Askew wurden DNA-Proben genommen. Die sterblichen Reste sollen in den Gräbern der Soldaten auf dem Becklingen War Cemetery bestattet werden, so die Kutenholzer. Das Institut für Rechtsmedizin am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf unterstützt die Arbeit.
Wichtiger Beitrag für Freundschaft zwischen Deutschland und Großbritannien
„Anthony hätte längst auf dem Weg nach Hause seien können“, sagt seine Nichte. Schließlich sei im April/Mai 1945 längst klar gewesen, „dass die Befreiung Deutschlands von den Nazis durch die Alliierten eine Frage von Tagen war“. Doch sie fühle keinen Hass gegenüber Deutschland.
Sie sei vielmehr beeindruckt von dem Erinnerungsort mit den Stelen und der Informationstafel sowie der akribischen Forschung durch Bülau & Co. Das sei „absolut großartig“. Für ihren Besuch haben die Kutzenholzer extra die Ausstellung aus dem Magazin geholt. Diese Geschichte sei wichtig als Mahnung - auch für die zukünftigen Generationen. „Krieg ist schrecklich“, sagt Rose Askew.

ITV News Central-Redakteur Peter Bearne im Interview mit Chris und Rose Askew. Foto: Vasel
ITV News Central-Redakteur Peter Bearne begleitet die Nichte auf der Spurensuche. Für den wichtigsten Gedenktag der Commonwealth-Staaten (Remembrance Day) produziert er am 11. November eine Doku. Seine Zuschauer seien, so Bearne mit Blick auf die letzten Sendungen, beeindruckt von der „absolut außergewöhnlichen Erinnerungskultur in Kutenholz“. Vergleichbare Projekte gebe es weltweit nicht. Das stärke die deutsch-britische Freundschaft, ist der Historiker und Journalist überzeugt.
Es sei mehr als eine „ungewöhnliche, liebevolle Geste“ sagt Bearne. Der Blick zurück in eines der dunkelsten Kapitel der Menschheitsgeschichte könne auch dazu beitragen, den Frieden und die Demokratie zu bewahren.

Am zweiten Tag besuchten sie das Grab auf dem Becklingen War Cemetery in Wietzendorf. Foto: Vasel

Debbie Bülau (rechts) erklärt Rose und Chris Askew, wo der Onkel am 1. Mai 1945 in seinem Panzer starb. Foto: Vasel

Sondengänger Frank Hoferichter überreicht Rose Askew die Reste des Panzers. Foto: Vasel