TMysteriöse Doppelmorde: Führen Hundehaare zu Serienmörder Wichmann?
Von Kurt-Werner Wichmann gibt es unzählige Fotos, auf einigen ist er auch mit Hunden zu sehen. Ein Schäferhund hieß „Rex“. Foto: Döscher
1991 ist Bärbel Barnkow in Bremerhaven erschossen worden. Mit derselben Pistole wenig später eine Frau in Bremen. Seit 2023 wird in den Fällen wieder ermittelt. Ein Anwalt macht jetzt Druck.
Bremerhaven. Bärbel Barnkow hat am 4. September 1991 Spätdienst im Krankenhaus am Bürgerpark in Bremerhaven. Die 45-Jährige hat beruflich noch einmal neu angefangen, von Friseurin auf Krankenschwester umgeschult. Ihr Dienst endet um 20.30 Uhr, danach will sie sich mit Verwandten treffen, einen netten Abend verbringen. Doch dazu kommt es nicht. Man findet sie auf dem Parkplatz der Klinik.
Krankenschwester liegt angeschossen in ihrem Auto
Zusammengesunken sitzt sie auf dem Beifahrersitz ihres Autos, jemand hat ihr in den Kopf geschossen, sie lebt noch, atmet schwer, röchelt. 40 Stunden später ist sie tot. Fast zeitgleich stirbt eine Frau in Bremen, Ingrid Remmers. Auch sie wird in ihrem Auto gefunden, auch sie getötet von einem einzigen Schuss in den Kopf. Mit derselben Waffe wie Bärbel Barnkow, einer belgischen Pistole, Kaliber 7,65. Beide Morde müssen demnach vom selben Täter innerhalb weniger Stunden begangen worden sein. Eine private Ermittlergruppe geht jetzt interessanten neuen Ansätzen nach.
Hatte die Polizei den Falschen im Visier?
Die Bremerhavener Kripo hält jahrelang einen polizeibekannten und mehrfach vorbestraften Autodieb für den Täter im Fall Barnkow. Sein Motiv: Autos zu stehlen. Er gesteht auch die Tat, später widerruft er sein Geständnis – noch bevor die Polizei ihn öffentlichkeitswirksam als Mörder präsentiert. Es kommt nicht zur Anklage. Der 20-Jährige hat ein Alibi, gestützt auch von mehreren Bekannten. Ein Fasergutachten, welches ihn überführen soll, liefert keine überzeugenden Ergebnisse. Zu widersprüchlich sind zudem seine Angaben im ursprünglichen Geständnis. „Ich habe in meiner gesamten Laufbahn nie ein schlechteres Geständnis als das von Frank D. gelesen“, sagt Klaus Harjes. Der inzwischen pensionierte Kriminalhauptkommissar hat sich jahrelang mit dem Doppelmord befasst, das erste Mal aber erst Jahre nach der Tat. 1999 ist der Fall schon ein sogenannter Cold Case. Ungelöste Taten, die erneut aufgerollt werden. Im Juli 1996 sind die Ermittlungen gegen Frank D. eingestellt worden.
Ehemann steht unter Verdacht
Die Bremer Polizei hält irgendwann den Ehemann von Ingrid Remmers für den Täter. 2001 werden Ermittlungen gegen ihn aufgenommen. Sein Motiv: Er hat seine Frau aus Eifersucht erschossen und Bärbel Barnkow Stunden vorher nur getötet, um von der Tat abzulenken. Seine Frau, ebenfalls gelernte Friseurin, hat damals mit Wissen des Ehemanns einen Geliebten in Nienburg. Vorbild für die Verdeckungstat soll ein Tatort-Krimi mit dem Titel „Rot Rot Tot“ gewesen sein, der 1978 gezeigt worden ist und mehrmals wiederholt wird. Der Bösewicht bringt zwei Frauen um, bevor er seine untreue Gattin tötet.
Keine Hinweise, dass sich Bärbel Barnkow und Ingrid Remmers kennen
Viele Spuren bleiben im Fall Barnkow ohne Erklärung. Eine rote Daunenjacke im Auto der Krankenschwester, die ihr aber nicht gehört. Eine in der Nähe auf dem Geestemünder Friedhof gefundene, gemusterte Ski-Jacke mit dem Blut von Bärbel Barnkow und Schmauchspuren des Pistolenschusses daran. Neben einem befestigten Weg, der über den Geestemünder Friedhof führt, in unmittelbarer Nähe zu der zweiten Winterjacke, ist die Brieftasche der 45-Jährigen verscharrt und ihre Scheckkarte wird neben dem Auto des zweiten Opfers gefunden. Platziert der Mörder sie dort als Zeichen seiner Überlegenheit?

Bärbel Barnkow wird als lebenslustige Frau beschrieben. Warum wurde sie ermordet? Foto: privat
Es gibt keinerlei Hinweise, dass sich die beiden Frauen kennen. Deshalb gibt es auch zehn Jahre später Zweifel, als ein Mann behauptet, ein palästinensischer Terrorist habe Barnkow und Remmers erschossen. Die Bremerhavenerin habe ein Attentat auf eine US-Kaserne in Garlstedt doch nicht verüben wollen, die Bremerin als Mitwisserin sterben müssen.
Leben mit der Ungewissheit
Über die Jahrzehnte mit der Ungewissheit leben müssen auch die Kinder von Bärbel Barnkow. Frank Barnkow und Susanne König nehmen sich beinahe 20 Jahre nach der Tat erstmals einen Anwalt, um mit ihm selbst die Ermittlungsakten durchzugehen. 2012, 2016, 2018 und zuletzt 2021 versuchen Polizisten in beiden Städten herauszufinden, was in jener spätsommerlichen Nacht vorgefallen ist. Im November 2022 unternehmen die Kinder einen weiteren Versuch, beauftragen erneut einen Anwalt, die 16 Aktenordner noch einmal anzufordern. „Man wird selbst immer älter, es wird immer quälender“, sagt Frank Barnkow. Im September 2023 erneuern sie ihre Forderung, beide Morde noch einmal ganz von vorn neu zu untersuchen. Bei Kapitaldelikten kann ein solcher Anspruch nahen Angehörigen zustehen, hat das Bundesverfassungsgericht geurteilt.
Staatsanwaltschaft nimmt Ermittlungen wieder auf
Zwei Monate später erklärt die Staatsanwaltschaft Bremen, „zeitnah“ die Ermittlungen wieder aufzunehmen. Es gebe neue und auch noch nicht abschließend verfolgte Ermittlungsansätze. Welche, könne man „aus ermittlungstaktischen Gründen“ jedoch nicht sagen.
Vermisstenfälle
T Anonymer Hinweis: Das sagt die Polizei über Spuren zum Göhrde-Mörder
Doch passiert seitdem überhaupt etwas? Der Anwalt der Barnkows, Mirko Laudon aus Hamburg, mahnt jetzt wiederholt an, dass die zur Verfügung gestellten Akten unvollständig zu sein scheinen. Was er unter anderem vermisst, ist ein Bericht des pensionierten Kriminalhauptkommissars Klaus Harjes. Ein Bericht aus dem August 2021. Hat der Bericht nicht den Weg in die Akten gefunden? Bei der Staatsanwaltschaft ist der Bericht wohl angekommen, doch mittlerweile – wie auch weitere Akten des Falles – derzeit nicht auffindbar.
Der Inhalt ist brisant. In dem 21-seitigen Schreiben führt der erfahrene Ermittler nicht nur aus, warum weder der Ehemann noch der notorische Autodieb als Täter infrage kommen und ein von Frank D. gestohlener und später in Nienburg gefundener Audi gar nichts mit der Tat zu tun haben kann - sondern er legt den Fokus auf einen möglichen Zusammenhang zu den „Göhrde-Morden“.
Hundehaare: Hat Wichmann etwas mit Barnkow und Remmers zu tun?
Die Spur führt also zum mutmaßlichen Serienmörder Kurt-Werner Wichmann. Dieser steht im Verdacht, mindestens fünf Menschen getötet zu haben. So wird im Herbst 2017 die Leiche von Birgit Meier unter Wichmanns Garage gefunden. Sie ist 1989 verschwunden. Im selben Jahr werden zwei Paare in der Göhrde, einem Waldgebiet bei Lüneburg, per Kopfschuss getötet. Wichmanns DNA findet sich auf dem Fahrersitz eines Autos der Göhrde-Opfer. Er nimmt sich in Untersuchungshaft 1993 das Leben.
Harjes fordert, „alle Spurenträger vor dem Hintergrund einer möglichen Täterschaft Wichmanns auszuwerten“. Neben der DNA von Wichmann werden in den Fahrzeugen der Göhrde-Morde an den Sitzpolstern Hundehaare gesichert. Wichmann hat unter anderem einen Schäferhund mit Namen „Rex“ gehabt. Auch an der im Auto von Ingrid Remmers gefundenen Decke und an den Sitzpolstern des Autos von Bärbel Barnkow werden Hundehaare nachgewiesen. Vermutlich stammen die Haare – so ein BKA-Mann damals - von einem großen Tier. Ausdrücklich schließt der Beamte des Bundeskriminalamtes einen Schäferhund als Spurenleger nicht aus. Damals ist ein DNA-Beweis bei Hunden noch nicht möglich gewesen. Und die Hundehaare können weder dem Umfeld von Barnkow noch dem von Remmers zugerechnet werden.
Untersuchung der DNA von Wichmann gefordert
Hängen die Göhrde-Morde und der Doppelmord Barnkow/Remmers womöglich zusammen? Ein Abgleich mit der DNA von Wichmann könnte Klarheit bringen. Interessant in diesem Zusammenhang: Nach Recherchen unserer Zeitung ist Wichmann noch nie als Spurenleger überprüft worden. So soll seine DNA nicht mal in der bundesweiten DNA-Analysedatei DAD gespeichert sein. Dort würde es also nie einen Treffer geben. Die DNA von Wichmann muss also „manuell“ in Lüneburg angefordert werden. Das dürften nicht mal viele Polizisten wissen. Irritierend, denn laut einer Operativen Fallanalyse des Landeskriminalamtes Niedersachsen könnte Wichmann bundesweit im hohen zweistelligen Bereich Gewalttaten begangen haben.
Befinden sich die Hundehaare noch in den Asservaten? Die Frage scheint nicht ganz unberechtigt. So sind zwei der wichtigsten Asservate, die beiden zum Täter gehörenden Jacken, im Laufe der Jahre verschwunden. Bei der Polizei oder in einem Rechtsinstitut? Schließlich sind sie damals schon untersucht worden. Heute hat man aber ganz andere Möglichkeiten bei der DNA-Analyse.
Neue Dokumentation nimmt mutmaßlichen Mittäter ins Visier
Am Abend des 4. September 1991 ist es übrigens mit gut 16 Grad noch recht warm gewesen. Ein Täter wird wohl kaum zwei Jacken übereinander getragen haben. Sind es vielleicht auch zwei Täter gewesen? Immer wieder ist im Zusammenhang mit Taten von Kurt-Werner Wichmann die Rede von einem Komplizen. Auch die Cold-Case-Einheit in Lüneburg nimmt aktuell diesen noch lebenden zweiten Mann aus dem engsten Umfeld Wichmanns erneut verstärkt ins Visier. In einer neuen ZDF-Dokumentation „Wahre Verbrechen“ wird sogar der Eindruck erweckt, noch in diesem Jahr werde Anklage erhoben.
Im Raum Cuxhaven/Bremerhaven hat sich Wichmann jedenfalls ausgekannt. Das beweisen viele Frauen, die sich gemeldet haben und von unheimlichen Begegnungen mit Kurt-Werner Wichmann berichten. In diesem Gebiet sind zwischen 1977 und 1986 sechs Frauen verschwunden, eine wird zudem tot aufgefunden. Bekannt geworden sind die Fälle als sogenannte Disco-Morde.

Seit mehr als 34 Jahren sind die Morde an Bärbel Barnkow und Ingrid Remmers nicht aufgeklärt. Kommt jetzt noch einmal Bewegung in den Fall? Foto: NZ
Hat Wichmann auch etwas mit den Doppelmorden in Bremerhaven und Bremen zu tun? Frank Barnkow und Susanne König fragen sich jedenfalls: „Was wurde in den vergangenen 34 Jahren unternommen, den oder die wahren Täter zu ermitteln?“ 1991 sei ihnen von der Bremerhavener Polizei ein Täter präsentiert worden, man könne dem Autodieb aber den Mord an ihrer Mutter nicht beweisen. 25 Jahre später sind sich die Bremer sicher, mit dem Ehemann von Ingrid Remmers den Täter zu haben. „Beweise haben sie auch dafür nicht.“
Die Hoffnung geben die Geschwister nicht auf, diese beruht auch auf dem Privatermittler Reinhard Chedor, langjähriger Chef des Hamburger Landeskriminalamtes. „Er ist einer der Menschen, die im privaten Team alles versuchen, einen Täter zu ermitteln, um uns als Angehörige den Frieden zu geben und mit dieser grausamen Tat und den damit verbundenen Ermittlungen endlich abschließen zu können.“ Laut Strafgesetzbuch verjährt Mord nicht. Frank Barnkow zitiert Chedors Erwiderung dazu: „Mord verjährt, wenn sich keiner kümmert.“ (skw)
Neues Hinweisportal
Ohne die Initiative einer privaten Ermittlungsgruppe wären die Morde an Birgit Meier und an zwei Paaren in der Göhrde nie aufgeklärt worden. Die Polizei würde wohl immer noch im Dunkeln tappen, ihr wurde unter anderem eine „unfassbare Trägheit“ vorgeworfen. Die Initiative untersucht seit Jahren die Verdachtsfälle um den mutmaßlichen Serienmörder Kurt-Werner Wichmann weiter und hat nun die Internetseite https://mordserie.de ins Leben gerufen, um zentral Hinweise aus der Bevölkerung entgegennehmen zu können.