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AfD-Kommunalpolitiker wegen Fake-Flyer verurteilt

Der umstrittene Kommunalwahl-Flyer der AfD hatte gestern ein juristisches Nachspiel vor dem Amtsgericht Stade: Der für den Flyer verantwortliche Politiker Lars Seemann wurde wegen eines Verstoßes gegen das Urheberrecht zu einer Geldstrafe in Höhe von 1000 Euro verurteilt.

Von Wolfgang Stephan Donnerstag, 01.06.2017, 09:01 Uhr

Alleine die Tatsache, dass ein gewählter Kreistagsabgeordneter und aktiver Polizist im Landeskriminalamt Hamburg sich vor dem Amtsgericht in Stade verantworten muss, gibt dem Fall eine besondere Note. Der AfD-Politiker Lars Seemann war angeklagt, gegen das Urheberrecht verstoßen zu haben. Gegen einen Strafbefehl mit einer Geldstrafe von 3000 Euro hatte Seemann Widerspruch eingelegt, deshalb gab es gestern die Verhandlung vor dem Strafrichter.

Der Fall: Der Kreisvorstand der AfD hatte vor den Kommunalwahlen im September einen Flyer zur Inneren Sicherheit im Kreis Stade verteilt, auf dem im Titelbild ein Demonstrant zu sehen war, der auf einen Polizisten einprügelt. Auf dem Rücken des Demonstranten prangte das Emblem der linken Gruppe „Antifaschistische Aktion“, in das Foto wurde der Satz „Rechtsstaat am Boden“ montiert.

Dass das Foto aber nicht aus einer Auseinandersetzung im Landkreis Stade stammt, wurde nicht kenntlich gemacht. Tatsächlich wurde das Foto im Jahre 2009 bei einer Demonstration in Griechenland aufgenommen. Auf dem Original gibt es keinen Aufkleber der „Antifaschistische Aktion“. Auf dem AfD-Flyer fehlt jeglicher Hinweis auf den Fotografen und den Rechteinhaber. Die Fotorechte liegen bei der irischen Fotoagentur Getty Image, der Fotograf war der international bekannte Fotoreporter Milos Bicanski.

Die Staatsanwaltschaft: Nach der Rechtsauffassung der Staatsanwaltschaft Stade hätte das Foto ohne die Genehmigung des Fotografen/Rechteinhabers nicht veröffentlicht werden dürfen. Für die Staatsanwälte liegt ein Verstoß gegen das Urheberrechtsgesetz vor, in dem es in Paragraf 106 heißt (1): Wer in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen ohne Einwilligung des Berechtigten ein Werk oder eine Bearbeitung oder Umgestaltung eines Werkes vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergibt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Der Versuch ist strafbar.

Für Staatsanwältin Seutemann stand fest, dass Lars Seemann den Flyer inhaltlich und technisch entworfen hat, weil bei einer Hausdurchsuchung auf seinem Rechner das Original gefunden wurde. Nach Aussage von Getty Image und des Fotografen wurden keine Bild-Lizenzrechte erworben, die hätten für rund 1000 Euro aber gekauft werden können.

Der Angeklagte: Lars Seeman ist im AfD-Kreisvorstand für das Thema Innere Sicherheit und für die Erstellung des Flyers verantwortlich gewesen. Der 52-jährige Polizeibeamte ist nach eigener Aussage vor Gericht davon ausgegangen, dass er das im Internet gefundene Foto ohne den Erwerb von Bildrechten verwenden durfte, da es im Internet „zigfach in allen möglichen Formen und Veränderungen“ zu finden sei. Mit dem Schriftzug („Rechtsstaat am Boden“) habe er dem Foto eine neue Bedeutung gegeben, die Frage, wer die Urheberrechte besitze, sei für ihn nicht nachvollziehbar gewesen.

Im AfD-Kreisvorstand habe es eine kontroverse Debatte im Vorfeld der Veröffentlichung des Flyers gegeben, weder eine anwesende Staatsanwältin noch ein Richter a. D. hätten juristische Einwände gesehen, lediglich die Frage, ob das Bild in seiner Aussage zu hart sein könnte, sei diskutiert worden. Mit dem Ergebnis, dass der Flyer in einer Auflage von 2500 Exemplaren in der von Seemann vorgeschlagenen Form gedruckt und teilweise verteilt wurde. Nachdem das TAGEBLATT die Fälschung entlarvt hatte, gab es eine Abmahnung von Getty Image, der Flyer wurde eingestampft.

Seemann beklagte sich vor Gericht über die Umstände der Hausdurchsuchung, die er in dieser rüden Form nur aus Filmen kenne. Seemann sagte auch: „Ich war mir absolut sicher, dass das Original nicht feststellbar ist, das habe ich mir vorzuwerfen. Durch die Presseberichte sei er bundesweit tangiert worden, die Hamburger Polizei hat ein Disziplinarverfahren gegen ihn eingeleitet, eine Beförderung sei gestoppt worden, auch politisch habe er bei der AfD viel Kritik einstecken müssen. Seemanns Hamburger Anwalt Rolf Huschbeck stellte infrage, ob sein Mandant überhaupt für die Veröffentlichung verantwortlich sei, denn das sei eine Entscheidung des Kreisvorstandes gewesen.

Die Bewertung: Die Staatsanwältin forderte in ihrem Plädoyer wegen der eindeutig nachweisbaren Urheberrechtsverletzung eine Geldstrafe von 2000 Euro. Strafmildernd wertete sie unter anderem das Geständnis und die bisher erlittenen dienstlichen Nachteile des Angeklagten. Die AfD musste nachträglich an Getty Image 2500 Euro zuzüglich der Anwaltskosten bezahlen.

Das Urteil: Strafrichter Dr. Julien Zazoff folgte im Wesentlichen der Auffassung der Staatsanwältin und sprach in seinem Urteil von einer „unerlaubten Verwertung“ des Bildes. „Es ist ein Grundsatz, dass Bilder aus dem Internet nicht ohne Einwilligung der Rechteinhaber verwendet werden dürfen.“ Es gebe keine Zweifel, dass durch die Veränderung des Fotos kein urheberrechtlich geschütztes Foto mehr vorliege.

Dem Angeklagten unterstellte er Vorsatz, er habe den Tatbestand der Urheberrechtsverletzung billigend in Kauf genommen. Richter Zazoff: „Wir sprechen hier nicht über Lieschen Müller von der Ecke, sondern über die Tat eines Polizeibeamten und Mitglied eines Partei-Vorstandes.“ Der Angeklagte habe nicht einfach davon ausgehen können, ein solches Foto „einfach so“ verwenden zu dürfen. Wegen der erheblichen beruflichen Folgen und der extremen Belastung korrigierte er das ursprüngliche Strafmaß aus dem Strafbefehl von 3000 Euro auf eine Bestrafung von 50 Tagessätzen à 20 Euro.

Die Folge: Berufung oder Revision ist möglich. Weil das Urteil unter der Grenze von 90 Tagessätzen liegt, gibt es keinen Eintrag im Bundeszentralregister, was im Volksmund als „Vorstrafe“ angesehen wird. Ob und welche Folgen das Urteil disziplinarrechtlich für Lars Seemann haben wird, ist offen und wird bei seinem Arbeitgeber in Hamburg entschieden.

Ein Kommentar von Wolfgang Stephan

Nein, es war nicht die „Lügenpresse“, die den AfD-Politiker Lars Seemann gestern verurteilt hat. Es war ein deutsches Gericht nach den Gesetzen des Rechtsstaates, den die AfD so gerne für sich reklamiert.

Auch wenn das Urteil recht milde ausgefallen ist, ist es ein wichtiges Urteil gegen den Daten-Diebstahl im Internet – völlig unabhängig von der AfD. Das Gericht hat nämlich ganz deutlich gemacht, dass Bilder aus dem Internet nicht einfach weiterverwendet werden dürfen, eine Praxis, die sich leider weit verbreitet hat, weil jegliches Unrechtsbewusstsein fehlt. Auch viele TAGEBLATT-Texte werden immer wieder kopiert und auch zu kommerziellen Zwecken in bestimmten Blättern weiter verbreitet.

Dass diese Urheberrechtsverletzung bestraft wird, ist wichtig. Weil dies nach Feststellung des Strafrichters „ein Grundsatz“ ist, konnte es gestern überhaupt keine Alternative zu diesem Urteil geben. Eine Berufung dürfte wenig Chancen auf Erfolg haben, denn das Gericht wertete gestern schon viele Fakten zugunsten des Angeklagten, der vor Gericht ein sympathisches Bild abgegeben hat. Was aber nicht darüber hinwegtäuschen kann, dass dieser Fall peinlich für die AfD ist, weil ausgerechnet ein Polizeibeamter für die Rechtsverletzung verantwortlich ist. Dass Lars Seemann dies ohne Umschweife einräumte, spricht für ihn.

Aber es spricht nicht für die Kompetenz seines Kreisvorstandes, wenn zwei erfahrene Juristen die Bilder-Fälschung nicht erkennen – oder noch schlimmer, sie billigend in Kauf nahmen, weil dadurch eine brisante politische Aussage im Wahlkampf gemacht werden sollte: Der Rechtsstaat im Kreis Stade liegt am Boden, linke Chaoten prügeln auf die Polizei ein. Das ist nämlich der politische Skandal dieses Flyers, der vor Gericht nicht zur Debatte stand und stehen konnte, denn den Juristen ging es nur um die rechtliche Bewertung.

Lars Seemann hat formal einen Fehler gemacht, das sei ihm zugestanden. Dafür muss er 1000 Euro zahlen und möglicherweise sogar dienstliche Nachteile in Kauf nehmen. Aber die politische Komponente dieses Vergehens ist weitaus schlimmer, denn auch mit einem Urhebervermerk hätte dieses Foto zwar rechtlich, nie aber politisch für diesen Zweck verwendet werden dürfen. Dass zum falschen Foto auch noch falsche Zahlen in dem Flyer standen, macht deutlich, wie die AfD arbeitet, um die Ängste in der Bevölkerung zu schüren. Anders gesagt: Mit einem illegal gedruckten und gefälschtem Foto sollte die Angst im Landkreis geschürt werden. Das ist der eigentliche Vorwurf an Lars Seemann.

Es ist offenbar nicht die „Lügenpresse“ die Fake News verbreitet, wie von der AfD-Vorsitzenden Frauke Petry so gerne behauptet wird, sondern ihre eigene Partei, die mit diesem – offenbar ausführlich diskutierten – Flyer ihre Glaubwürdigkeit heftig in Zweifel gezogen hat. Ganz pikant ist die Einsicht, die das Gerichtsurteil der AfD gestern beschert hat. Der Rechtsstaat im Kreis Stade liegt nämlich nicht am Boden. Der greift dann durch, wenn Gesetze verletzt werden. Egal von wem.

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