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Hafen Hamburg fällt zurück

An den Kais der Hansestadt sind im vergangenen Jahr 9,3 Prozent weniger Container umgeschlagen worden. Foto Charisius/dpa

An den Kais der Hansestadt sind im vergangenen Jahr 9,3 Prozent weniger Container umgeschlagen worden. Foto Charisius/dpa

Von einer schweren Krise könne überhaupt keine Rede sein, beschwor Hamburgs Wirtschaftssenator Frank Horch (parteilos) die anwesenden Journalisten.

Mittwoch, 10.02.2016, 19:04 Uhr

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Allerdings sprechen die von Horch gestern präsentierten Jahreszahlen für Deutschlands wichtigsten Hafen eine ganz andere Sprache.

An den Kais der Hansestadt sind 2015 gut fünf Prozent weniger Seegüter (138 Millionen Tonnen) umgeschlagen worden. Im wichtigsten Teilbereich gab es sogar einen empfindlichen Einbruch. 9,3 Prozent weniger Container bedeutet einen Rückfall auf das Niveau von 2006 und das größte Minus seit der Weltwirtschaftskrise 2007. Mit nur noch 8,8 Millionen umgeschlagenen Standardboxen (TEU) rutschte die Hansestadt hinter Antwerpen (9,7 TEU) auf Rang drei unter Europas Containerhäfen zurück. Besonders schmerzlich: Anders als die Hanseaten konnten die Belgier ihre Zahlen trotz lahmender Weltwirtschaft um 7,5 Prozent steigern, Marktführer Rotterdam (12,2 Millionen TEU) erreichte immerhin das Vorjahresergebnis. Folge: Hamburgs Marktanteil in der Nord Range der westeuropäischen Anbieter fiel um knapp zwei Prozentpunkte auf 21,6 Prozent. „Wir stehen vor großen Herausforderungen“, gestand Horch immerhin – füllte gestern aber vor allem die Rolle des Mutmachers aus: „Wir werden die Aufgaben meistern.“

Laut Axel Mattern, Geschäftsführer der Hafen Marketinggesellschaft HHM, sind die Ursachen der Umschlageinbußen keineswegs hausgemacht. So wachse die Wirtschaft Chinas – wichtigster Partner des Hafens – deutlich langsamer als bisher. Der Warenaustausch mit Nordwestasien ging um knapp 14 Prozent zurück. Hinzu kommen laut Mattern die Auswirkungen der Sanktionen gegen und der Wirtschaftskrise in Russland. Folge: Der Ostseehandel über Hamburg sackte um fast ein Viertel weg.

Gleichwohl entspreche das aktuelle Bild des Krisenhafens nicht der Wirklichkeit, betonte Horch entschieden. „Wir wollen nicht nur Container zähen, Hamburg ist ein Universalhafen.“ Er verwies auf die Steigerung bei Massengut wie Getreide, Kohle und Öl um fast sechs Prozent auf 45,5 Millionen Tonnen, das Wachstum im Kreuzfahrtgeschäft sowie die erfolgreichen Hinterlandverkehre.

Beim Weitertransport von Containern markiere 2015 ein Wendejahr, berichtete Jens Meier, Geschäftsführer der Hafenbehörde HPA. „Zum ersten Mal ist nach Gewicht gerechnet mehr Ware per Bahn als per Lkw befördert worden.“

Ein effizientes „Rein und Raus“ sei das eigentliche Thema für alle Häfen, befand HHM-Co-Geschäftsführer Ingo Egloff. Hamburg stehe in dieser Hinsicht bestens da. „Andere Häfen blicken neidisch auf uns.“ Das gelte auch für den Transport mit Binnenschiffen. Egloff: „Hamburg hat Köln überholt und ist jetzt – hinter Duisburg – zweitgrößter Binnenhafen in Deutschland.“

Trotz ausbleibender Elbvertiefung ist der Trend zu immer größeren Containerfrachtern ungebrochen. 2015 kamen 150 Mega-Schiffe mit Platz für mehr als 14 000 TEU die Elbe hinauf, eine Verdoppelung gegenüber dem Vorjahr. Horch hält die Fahrrinnenvertiefung deshalb unverändert für „das Top-Projekt“ im Hafen. Er rechne mit einer endgültigen Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts in dem Streitfall noch in diesem Jahr.

Die Opposition wies die Aussagen als „Durchhalteparolen“ und „Beschwichtigungsversuche“ zurück. Vertreter von FDP und CDU warfen dem Senator Untätigkeit und Konzeptlosigkeit vor. Ralf Niedmers, hafenpolitischer Sprecher der Unions-Bürgerschaftsfraktion: „Der Hafen braucht eine verbesserte Infrastruktur durch Rücknahme der verheerenden Investitionskürzungen, die dauerhafte Beseitigung der Schlick-Problematik sowie stabile wirtschaftliche Bedingungen für die Hafenunternehmen und auch die Reeder.“

Hamburgs Hafenträume haben spätestens seit gestern Grundberührung. Es ist noch nicht lange her, da sannen die Strategen an der Elbe darauf, die Infrastruktur für einen Umschlag von 25 Millionen Containern im Jahr 2025 aufzurüsten. Tatsächlich fiel die Menge im vorigen Jahr auf ernüchternde 8,8 Millionen, ein Minus um fast zehn Prozent. Und ein krachender Schuss vor den Bug der Hanseaten. Die Botschaft: Die Hafenpolitik muss flexibler werden, will Hamburg seinen wirtschaftlichen Motor am Laufen halten. Gewiss, die Delle anno 2016 hat viel mit weltwirtschaftlichen Unbilden zu tun: China, Russland, Kriege und eine insgesamt tief verunsicherte globale Ökonomie. Aber eben nicht nur. Gerade im Wellental der Konjunktur wird deutlich, dass Deutschlands wichtigster Hafen an allerlei Grenzen stößt. Vor allem die Lage tief im Binnenland erweist sich zusehends als schwer überwindbare Wachstumsbremse. Wie anders wäre es zu erklären, dass Konkurrenten mit Nordseelage die Krise besser abfedern? Die Kais der Hansestadt liegen eine sehr lange Revierfahrt von der Küste entfernt. Hamburgs Nabelschnur zu den Weltmeeren ist 100 Kilometer lang und entsprechend teuer für die Reeder und anfällig für Störungen aller Art. Die Havarie des 400-Meter-Riesen „Indian Ocean“ hat dies gerade überdeutlich gezeigt. Der geografische Nachteil ist nicht neu, doch angesichts immer größerer Schiffe und immer knapperer Margen in der Weltschifffahrt verstärkt sich die fatale Wirkung. Freilich: Keiner sollte den Hafen schlechtreden. Zu offenkundig sind dessen organisatorische Stärken und die Bedeutung als Verteilzentrum für ganz Nordeuropa. Aber: Gegen Tiefwasserhäfen wird Hamburg auf Dauer kaum ankommen. Zeit also, sich breiter aufzustellen und zwischen den Kais vermehrt auch Produktion, Veredelung, Forschung und Hightech anzusiedeln. Die Idee ist nicht neu, sie ist seit langem im Hafenentwicklungsplan nachzulesen. Nur: Bei der Umsetzung herrscht Schneckentempo. Wie bei einem Tanker gilt: Wer den Kurs ändern will, muss das Ruder sehr früh einschlagen. Es wird Zeit.

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