TNaturschutz: Spezialmäher hackt Insekten nicht mehr den Kopf ab

Christine Köhler beim tierfreundlichen Mähen mit dem Doppelmesser-Mähwerk im Bullenbruch. Foto: Vasel
Es ist ein spezielles Gerät, das beim Mähen im Bullenbruch seine Runden dreht. Galloway-Züchter Wilhelm Braack setzt auf Doppelmesser. Das zahlt sich aus - in mehrfacher Hinsicht.
Horneburg. Mit sieben bis neun Stundenkilometern fährt Christine Köhler vom Münchhof aus Estebrügge mit ihrem Traktor über die Wiese im Bullenbruch. Mühelos und unaufhörlich schneidet das Doppelmessermähwerk vor ihr mit einem Scherenschnitt die Pflanzen in einer Höhe von knapp zehn Zentimetern ab.
Der Trecker lässt den Boden vibrieren. Insekten wie die Sumpfschrecken und Amphibien wie der gefährdete und auf der Roten Liste stehende Moorfrosch nehmen Reißaus.
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Vorzeigeprojekt für tierfreundliches Mähen
Über ihren Köpfen kappen die Messer die Halme. Der Galloway-Züchter Wilhelm Braack vom Biobetrieb Münchhof und der Biologe Henning Kunze von der Karl-Kaus-Stiftung aus Bremen/Buxtehude schauen zu. „Das ist tierfreundliches Mähen“, unterstreicht Kunze. Die Doppelmessermähwerke schonen im hohen Maße die Amphibien, Insekten und das Wild, sagt er.

Blick auf das Doppelmesser-Mähwerk. Foto: Vasel
Bis zu 90 Prozent der Tiere bleiben erhalten, so Kunze mit Verweis auf mehrere Studien. Auf vielen Betrieben sind noch Rotationsmähwerke im Einsatz. Doch die sich schnell um eine Achse drehenden Klingen erzeugen einen kräftigen Sog, der die Insekten vom Boden ansaugt und allzu oft schwer verletzt oder tötet.
Diese Mäher sind in der Regel mit 15 km/h unterwegs. Das heißt: Die Tiere haben wenig Zeit, um vor den kreisenden Klingen zu flüchten. Doch auf den 120 Hektar von Wilhelm Braack im Bullenbruch hat der rotierende Mackie Messer ausgedient.

Galloway-Züchter Wilhelm Braack prüft das Gras nach dem tierfreundlichen Mähen mit dem Doppelmesser-Mähwerk. Foto: Vasel
Wilhelm Braack hat investiert, unterstützt vom Landkreis Stade und von der Karl-Kaus-Stiftung. Der Münchhof „gehört im Landkreis Stade zu den Vorreitern“, so Dr. Uwe Andreas vom Kreis-Naturschutzamt und Kunze unisono. 65.000 Euro kostet heutzutage ein tierfreundliches Mähgerät.
Zum Vergleich: Die herkömmlichen Rotationsmähwerke sind etwa 20 Prozent günstiger als insektenfreundliche Doppelmessermähwerke.

Doppelmesser-Mähwerk im Einsatz. Foto: Vasel
Doch für Braack zahlt sich der Einsatz nicht nur mit Blick auf den Naturschutz aus. Die Doppelmessermähwerke schneiden das Gras mit einem Scherenschnitt ab. Die Pflanzen kippen im 90-Grad-Winkel um. Der gerade Schnitt verbessere das Wiederaufwuchsverhalten der Pflanzen deutlich.
Der Schnitt wird gleichmäßig auf der Fläche abgelegt. Das sei super für das Trocknen des Heus, so der Bio-Landwirt. „Außerdem muss ich es ein Mal weniger wenden“, sagt Braack. Das spare Arbeitskosten und -zeit.

Quicklebendig: Grasfrosch nach der Mahd. Foto: Vasel
Die Arbeitsbreite beträgt neun Meter, links und rechts können die Messer - am Graben oder entlang bereits gemähter Flächen - angehoben werden. Fachleute sprechen deshalb von Schmetterlingsmähwerken.
Christine Köhler muss sich nicht mehr auf ihre Augen verlassen. Denn ihr Trecker und das Mähgerät arbeiten GPS-unterstützt, nur beim Wenden muss Köhler noch eingreifen. Landwirtschaft ist heutzutage Hightech, der Rechner zeichnet alles auf.
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Naturschutzmaßnahmen fördern Bruterfolg
Vor dem Mähen haben Köhler, Braack und Kunze einen Blick auf die Wiese geworfen. Nicht alles wird gemäht. Kleine Fluchtinseln und ein Saum für das Wild, die Insekten und Vögel bleiben stehen. Mit Fähnchen hat der Biologe die Gelege von bedrohten Vogelarten wie Kiebitz und Wiesenschafstelze markiert.

Christine Köhler, Henning Kunze und Wilhelm Braack besprechen das Mähen der Wiesen. Foto: Vasel
Aktuell ist Brutzeit: Vögel wie Feldlerche und Wiesenpieper geben ein kostenloses Konzert. Die Eier der Wiesenschafstelze sind kaum zu entdecken. „Sie sind so groß wie ein Fingernagel“, sagt Kunze. Er und Braack appellieren an die Hundehalter, ihre Tiere an die Leine zu nehmen und die Wege nicht zu verlassen - zum Schutz der wildlebenden Tiere und der Galloways.
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Die Naturschutzarbeit der Karl-Kaus-Stiftung trägt Früchte. Sie hatte den 640 Hektar großen Bullenbruch - unterstützt vom Kreisnaturschutzamt - im Jahr 2020 unter ihre Fittiche genommen. Kunze kümmert sich um das mit Gräben durchzogene Grünland aus Wiesen und Weiden im Moorgürtel südlich des Alten Landes und des rund 800 Jahre alten Hinterdeichs.
In diesem liegen Ausgleichsflächen der Autobahn GmbH und des Landkreises Stade. „Es läuft sehr gut“, sagt Kunze mit Blick auf die steigende Zahl von Rote-Liste-Arten.
Historische Kulturlandschaft und ihre Artenvielfalt erhalten
Wiesenvögel lieben die baumlose Weite, denn die schützt sie vor bösen Überraschungen wie Fuchs oder Krähe. Deshalb wurden im Herbst 2024 die Bäume und die Sträucher entfernt. Dabei orientierte sich der Biologe auch an historischen Karten - beispielsweise der Kurhannoverschen Landesaufnahme von 1764/1786. Seit Jahrhunderten war der Bullenbruch eine baum- und buschfreie, moorreiche Niederung. Letztlich werde auch das historische Landschaftsbild wiederhergestellt. Unterstände spenden den Rindern jetzt Schatten.

Die Karte der Kurhannoverschen Landesaufnahme zeigt den Bullenbruch um 1764/1786. Foto: Vasel
Kunze: „Wiesenvögel benötigen solche Strukturen von Natur aus. Sie brauchen weites Offenland, um den Feind rechtzeitig sehen zu können.“
Rund 120 Galloways von Braack unterstützen seine Arbeit im Bullenbruch. Sie halten das Gras niedrig. Doch ohne maschinelle Mahd läuft es beim Schutz der Wiesenbrüter nicht. Tier und Maschine erhalten das artenreiche Grünland.

Galloways suchen Schatten am Unterstand. Foto: Vasel
„Naturschutz funktioniert in einer Kulturlandschaft wie dieser lediglich im guten Zusammenspiel von Landwirtschaft, Wasserwirtschaft und Jägerschaft“, unterstreicht der Biologe. Das laufe hier sehr gut - auch mit der Autobahn GmbH des Bundes und den privaten Eigentümern. Letztere nehmen den freiwilligen kooperativen Gelege- und Kükenschutz der Stiftung gut an.

Eier so groß wie ein Fingernagel: Blick in das Nest einer Wiesenschafstelze auf einer Wiese im Bullenbruch. Foto: Kunze
Außerdem sollen weitere Flächen im 50 Hektar großen Kerngebiet vernässt werden. Anträge beim Landkreis Stade sind gestellt. Die Umsetzung ist für den Winter 2026/2027 geplant. 335.000 Euro wird der Umbau der Gewässer kosten. Nach der Brutzeit wird der Wasserstand für die Landwirtschaft wieder angehoben.
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„Schon jetzt kann sich dank der Maßnahmen das Arteninventar mit national bedeutsamen Brutbeständen sehen lassen“, wird auch Dr. Uwe Andreas vom Kreisnaturschutzamt nicht müde zu betonen. Bekassinen, Kiebitze, Rotschenkel, Löffel- und Knäkenten brüten (wieder) hier.
Kunze hat jüngst jeweils 50 Paare von Kiebitz und Feldlerche kartiert. Es geht aufwärts. Auch 20 Schafstelzen-Pärchen stehen auf seiner Liste. Selbst den Wachtelkönig habe er beobachtet. Der Erfolg liege auch am engmaschigen Gebietsmanagement.

Der junge Moorfrosch steht auf der Roten Liste. Foto: Kunze
Elektrozäune und Jäger sollen Prädatoren stoppen
Doch der Bruterfolg hat seine Schattenseiten. Der Tisch für Prädatoren wie Fuchs und Marderhund ist reich gedeckt. Diese schlagen sich den Magen voll. Henning Kunze schätzt, dass „zwei von drei Kiebitzen“ nicht überleben.
Deshalb will er in einigen Bereichen Elektrozäune an den Hotspots zum Schutz der Wiesenbrüter aufstellen und mit Jägern die Fallenjagd intensivieren. Das Ziel: den Bruterfolg in der Wiesen-, Weide- und Niedermoorlandschaft steigern.

Sumpf-Blutauge im Bullenbruch. Foto: Kunze
Auch die Grüne Mosaikjungfer - eine vom Aussterben bedrohte Libellenart - ist gesichtet worden. Im Jahr 2023 habe die Stiftung erstmals den Fischotter nachweisen können. Aktuell arbeitet die Karl-Kaus-Stiftung an einer Besucherlenkung mit Infotafeln zu Natur und Landschaft. An der Wegeverbindung durch den Bullenbruch nach Westerladekop wird gearbeitet, doch eine der Brücken ist eingestürzt.
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