TMenschen in der Marsch im Würgegriff des Klimawandels
Bei Starkregen tritt die Lühe über ihre Ufer. Problematisch wird es, wenn das Sperrwerk gen Elbe wegen einer Sturmflut dicht ist. Foto: Vasel
Der Klimawandel bleibt nicht ohne Folgen. „Aktuell sind die Elbdeiche sicher“, sagt Oberdeichrichter Wilhelm Ulferts. Doch die Deiche an der Elbe werden in der Zukunft noch häufiger von zwei Seiten bedroht.
Jork. Wenn die Menschen den Klimawandel nicht in den Griff bekommen, könnten schwere Sturmfluten bis 2100 bis zu 1,50 Meter höher auflaufen als heute. Sollten die Klimaschutzziele weltweit erreicht werden, könnte der prognostizierte Meeresspiegelanstieg an der Nordseeküste auf 30 bis 75 Zentimeter begrenzt werden. Das Sturmflutgeschehen wird sich weiter verstärken.
Bei Starkregen wächst die Gefahr vor und hinter den Deichen
„Doch der steigende Meeresspiegelanstieg ist nur ein Problem“, sagt Oberdeichrichter Wilhelm Ulferts. Die Klimaforscher rechnen damit, dass mehr Winterniederschlag und höher auflaufende Sturmfluten noch häufiger gleichzeitig auftreten werden. Beim Jahrhunderthochwasser-Szenario „Starkregen plus Sturmflut“ müssen die Sperrwerke an der Elbe bis zu drei Tiden geschlossen werden. Flüsse wie die Este und die Lühe werden zu Stauseen - randvoll wie eine Badewanne. Die Gefahr schlummert vor und hinter dem Deich.
Entwässerung in die Elbe erschwert
Langfristig müssten die Sperrwerke mit Blick auf den Klimawandel mit einem Spitzenschöpfwerk - wie beispielsweise an der Lühe - errichtet werden. „Es ist alternativlos“, sagt Marcus Keller vom Ingenieurbüro BWS. Dieses hat unter anderem die untere und obere Lühe untersucht. Hinzu kommt: Durch mehr Starkregen wird auch mehr Sediment in die Nebenflüsse gespült.
Das und der Meeresspiegelanstieg werden die Entwässerung in die Elbe langfristig erheblich erschweren. Die Krux: Die Pumpen können nicht einfach abgeschaltet werden, denn die Wohn- und Gewerbegebiete sowie die Obstplantagen in der tiefer liegenden Marsch müssen entwässert und nicht geflutet werden.
„Dringend notwendig ist deshalb mehr Stauraum“, sagt Oberdeichrichter Wilhelm Ulferts. Dafür sei Solidarität gefordert - von der Quelle bis zur Mündung. Ein positives Beispiel sei die Este. Mit dem Hochwasserschutzverband geht der Hochwasserschutz voran - im Oberlauf. Wie ist der Stand?
Eine Mini-Talsperre könnte den Estelauf schützen
Erforderlich ist noch eine Umweltverträglichkeitsprüfung und ein Planfeststellungsverfahren. Das wird voraussichtlich rund fünf Jahre dauern. Geplant ist ein Hochwasserrückhaltebecken im Estetal oberhalb Buxtehude. Mit der 300 Meter langen, bis zu 3,50 Meter hohen und 12 Meter breiten Mini-Talsperre inklusive Drosselungsbau am Klöterbusch könnten 200.000 Kubikmeter zurückgehalten werden.
Das bringt bei einer mehrtägigen Schließung des Este-Sperrwerks etwa 15 Zentimeter weniger in Estebrügge. Der Staudamm entlaste auch den Unterlauf. Zwei weitere Rückhaltebecken sollen bei Bötersheim und oberhalb der A1 bei Hollenstedt als Grundschutz aus dem rund 250 Millionen Euro starken Hochwasserschutzfonds des Landes realisiert werden. Fünf Millionen Euro sollen dafür fließen.
Mehr Stauraum und höhere Deiche
Bedauerlich sei, dass der Hamburger Senat aktuell den Bau eines Spitzenschöpfwerkes an der Este-Mündung nicht weiter verfolgen wolle, sagt der Oberdeichrichter. Ulferts sieht auch den Bund in der Pflicht - insbesondere bei der Ausbaggerung der Bundeswasserstraßen, um mehr Stauraum zu schaffen.
Positiv sei, dass der Bau des Hochwasserentlastungspolders Bullenbruch endlich begonnen habe. Er hofft, dass die Deiche und Schöpfwerke bis Dezember 2029 fertig sind. Die Maßnahmen an Este und im Bullenbruch bringen Entlastung - auch im Sturmflutfall. Langfristig müssten neue Wege angedacht werden. In Ostfriesland werden Konzepte verfolgt, Binnenhochwasserrisiken auch durch Grundwasserauffrischung zu minimieren.

Die Deiche an der Elbe sollen bis 2050 klimawandelbedingt um bis zu zwei Meter erhöht werden. Foto: Vasel
Ulferts hofft auf mehr Tempo. 2022 stand Horneburg unter Wasser, 2029 ist der Polder als letztes Element des Schutzkonzepts fertig. „Hochwasserschutz ist Menschenschutz“, sagt auch Landrat Kai Seefried. „Wir dürfen deshalb bei der Erhöhung keine Zeit verliehen.“ Ein Beispiel: 2017/2018 startete die Planung der Deicherhöhung in Jork-Hinterbrack, 2026 werden Deichbauer loslegen dürfen und den Deich auf 2000 Metern auf 9,40 Meter erhöhen. Öko-Ausgleich und mangelnde Planungskapazität dürfen nicht mehr bremsen, sagen die Hochwasserschutz-Experten. Hochwasserschutz sei auch Umweltschutz.