T„So etwas gibt es bei uns nicht“: Prostitution im Kreis Stade im Fokus
Eine Prostituierte liegt in ihrem sogenannten Lovemobil. Foto: Ole Spata/dpa
Darf Sex käuflich sein? Eine Frage, die immer wieder für hitzige Diskussionen sorgt. Doch oft wird vergessen: Auch Prostituierte sind Menschen mit Rechten.
Landkreis. Obwohl Prostituierte in Deutschland inzwischen gesetzlichen Schutz erhalten, sorgen politische Vorstöße gegen das „sittenwidrige“ Gewerbe immer wieder für Zündstoff.
Aber wie bewerten Grundgesetz und Menschenrechte eigentlich Prostitution? Und wie können Betroffene im Milieu vor sexualisierter Gewalt geschützt werden?
„So etwas gibt es bei uns nicht“: Eine Floskel, die Sinur Aziz zur Genüge kennt. „Das ist ein Verdrängungsmechanismus“, sagt die Juristin für internationales Recht, die seit sechs Jahren ehrenamtlich als Gleichstellungsbeauftragte für die Gemeinde Jork tätig ist.
Man müsse nur einmal die B73 entlang schauen, um zu sehen: Prostitution ist auch im Landkreis Stade keine Seltenheit.
Nordisches Modell sorgt für Diskussionen
Um die Menschen im Kreis für das Thema zu sensibilisieren, planen SPD-Frauen im Landkreis Stade und Evangelische Frauen zwischen Elbe und Weser eine gemeinsame Veranstaltung am 25. September in Stade.
Den Vortrag mit Blick auf Grundgesetz und Menschenrechte wird Sinur Aziz halten. „Der christliche Glaube hat zur Stigmatisierung der Prostitution geführt“, sagt Marina Vollmann von den Evangelischen Frauen.
Auch Sigrid Richter von den SPD-Frauen habe erlebt, dass das Thema kontrovers diskutiert wird.
Durch einen Antrag der CDU/CSU-Fraktion im Februar 2024 im Bundestag, den sogenannten „Sexkauf“ für Freier strafbar zu machen, nahm die Diskussion wieder Fahrt auf. Die Kunden von Prostitution zu kriminalisieren, ist ein grundlegendes Element des sogenannten Nordischen Modells.
In Europa führte Schweden 1999 erstmals dieses Verbot ein, Länder wie Norwegen und Frankreich folgten. „Es gibt seitdem immer wieder Diskussionen, ob dieses Modell gut oder schlecht ist“, sagt Vollmann.
Thema Prostitution ist heikel und komplex
Befürworter des Sexkaufverbots argumentieren, dass Prostitution nicht mit der Werteordnung vereinbar sei. Zudem sollen die Betroffenen, überwiegend Frauen, so vor Ausbeutung und Missbrauch geschützt werden.
Gegner des Nordischen Modells sehen ein Verbot als unrealistisch an und fürchten, dass Prostitution weiterhin im Verborgenen ohne legale Kontrolle praktiziert wird.
Sinur Aziz will in ihrem Vortrag „keine emotionale Debatte“ auslösen, sondern das Thema sachlich und „sauber juristisch“ darstellen.
Anhand verschiedener Urteile aus den vergangenen Jahren will sie aufzeigen, wie heikel und komplex das Thema Prostitution wirklich ist - und dass jeder Mensch betroffen ist. „Sexualität ist ein Teil der menschlichen Würde“, sagt Aziz. Diese gelte es daher vor Missbrauch zu schützen.
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Kriege treiben Menschen in die Prostitution
Insbesondere Minderjährige oder junge Frauen werden häufig Opfer von Zwangsprostitution - etwa durch die Loverboy-Masche.
Hierbei täuschen Männer über Wochen und Monate eine Liebesbeziehung vor, um junge Frauen emotional an sich zu binden und etwa mittels Drogen in die Prostitution zu zwingen. Dies erfolge meist gezielt über soziale Netzwerke oder vor Schulen.
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„Schüler sind erschreckend tief über Prostitution informiert“, sagt Aziz, die bereits im Rahmen einer Ausstellung mit Schülern ins Gespräch kam. Die Erkenntnis: Einige haben scheinbar bereits mit zwölf Jahren den ersten Kontakt etwa zu Bordellen gehabt.
Ein überwiegender Teil der Prostituierten seien Migranten, sagt Aziz. Kriege wie etwa in der Ukraine treiben Menschen in die Prostitution. Durch Vergewaltigung haben diese meist schon sexualisierte Gewalt erfahren.
„Das zerstört die Psyche und die Würde“, sagt sie. Prostitution sei daher nicht als Beruf anzusehen, „weil Privates und Berufliches nicht trennbar sind“.
Die Veranstaltung „Sexualisierte Gewalt: Prostitution mit Blick auf Grundgesetz und Menschenrechte“ findet am 25. September 2025 um 19.30 Uhr im Pastor-Behrens-Haus in Stade statt. Den Vortrag hält Sinur Aziz mit anschließender Diskussion. Die Teilnahme ist kostenlos.
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