TRentner halb totgetreten: Räuber fordert Geld und Waffen

Der Angeklagte wollte offenbar eine Pistole 9 Millimeter stehlen. Foto: xbenedixsx via imago
Ein 71-jähriger Mann aus Schiffdorf ist in seinem eigenen Haus fast totgetreten worden. Wegen versuchten Mordes muss sich der Täter nun vor dem Landgericht Stade verantworten.
Schiffdorf/Stade. An einem Dienstagabend im Februar 2023 freut sich ein 71-jähriger Schiffdorfer auf einen gemütlichen Fußballabend zu Hause. Doch stattdessen durchlebt der Rentner die schlimmste Nacht seines Lebens.
Warum klingelt der Nachbar an der Haustür?
Als es an der Tür klingelt, wundert er sich. Klar, sein Nachbar wollte noch zum Fußball gucken vorbeikommen. Aber eigentlich ist es noch zu früh. Anpfiff ist erst später. Und außerdem klopft sein Nachbar immer an die Verandatür, so wie alle, die zu Besuch kommen. Der Rentner öffnet verwundert die Haustür.
Doch es war nicht der Nachbar, der geklingelt hat. Vor ihm steht eine dunkle Gestalt. Dunkle enge Kleidung, Handschuhe, Springerstiefel und eine Art Maske trägt der Mann. „Ich dachte erst, dass der vom Karneval kommt“, wird der Rentner später der Polizei sagen. Doch der Unbekannte sprüht dem 71-Jährigen Pfefferspray ins Gesicht und schubst ihn die Wohnung. Dann beginnt der Albtraum erst richtig.
Als der alte Mann zu Boden geht, tritt der Angreifer immer wieder mit seinen Springerstiefeln auf ihn ein. Erst in die Rippen, dann gegen den Kopf. Immer wieder gegen den Kopf. Mehrfach verliert das Opfer dabei das Bewusstsein. Irgendwann nimmt der Rentner nur noch Schatten, Bewegungen und Dunkelheit war. Und Schmerz.

Ein Fall von besonderer Gewalt wird derzeit vor dem Landgericht in Stade verhandelt. Opfer ist ein Rentner aus Schiffdorf. Der mutmaßliche Täter ist 29-Jahre alt. Foto: picture alliance / dpa
Am Landgericht Stade muss sich der 29-jährige Täter nun wegen versuchten Mordes verantworten. Hinzu kommen schwerer Raub und gefährliche Körperverletzung. Der Prozess wird vorerst auf sieben Verhandlungstage angesetzt. Schnell wird klar: Der Richter will alles ganz genau wissen. Schritt für Schritt lässt er sich vom Geschädigten, der in dem Verfahren als Nebenkläger auftritt, den Tathergang schildern.
Der Täter weiß, was er will: Er sucht Waffen und Geld
„Wo Geld? Wo Waffen? Wo Schlüssel?“ fragt der Angreifer, während er immer wieder zutritt. Der alte Mann rafft sich irgendwie auf, schafft es zum Kühlschrank. Darauf liegt ein dickes Buch über Werkzeug. Irgendwo zwischen den Seiten versteckt er ein paar Scheine, knapp 200 Euro. Die will er dem Angreifer überlassen, damit der nur von ihm ablässt.
Hat er dem Mann das Geld gegeben oder hat der es sich genommen? Die Juristen am Landgericht wollen es ganz genau wissen. Es könnte später im Prozess noch wichtig werden. Raub oder räuberische Erpressung? Der Rentner erinnert sich nicht mehr genau. Wie auch? Zu dem Zeitpunkt ist er halbohnmächtig vor Schmerz und hat die Augen voller Tränen und Pfefferspray.
Wer macht so etwas? „Irgendwie kamen mir die Bewegungen des Mannes bekannt vor“, sagt der Rentner am Landgericht. Nebenbei arbeitet er im Hafen, um seine Rente aufzubessern. Als Baggerfahrer hilft er beim Entladen von Schiffen. Da sei dieser junge Kollege, der immer auffällig „agil“ über die Ladung balanciere. „Immer fleißig, immer hilfsbereit“, sagt der Rentner. Eine gute Zusammenarbeit.
Der Angeklagte entschuldigt sich beim Geschädigten
Nun sitzt eben dieser junger Mann auf der Anklagebank. Ein 29-jähriger Pole. Zwei Beamte haben ihn aus der Untersuchungshaft zum Landgericht gebracht. Moderner Haarschnitt, er sieht völlig normal und unauffällig aus. Der Angeklagte wirkt etwas verzweifelt.
Immer wieder hält er sich während der Verhandlung eine Hand halb vors Gesicht. Ein Übersetzer dolmetscht den Prozess für ihn. Zu Beginn der Verhandlung steht er kurz auf und entschuldigt sich in gebrochenem Deutsch bei dem Geschädigten. Der nimmt das kommentarlos zur Kenntnis.
Vor dem Überfall wurde schon einmal beim Rentner eingebrochen
Doch die 200 Euro aus dem Buch reichen dem Angreifer nicht. „Wo Waffen?“, fragt er wieder. Er packt den alten Mann und schleift ihn die Treppe hoch. Im ersten Stock befindet sich der Waffenschrank.
Darin lagert er eine Beretta Pistole 9 Millimeter, eine Smith & Wesson und zwei Gewehre. Der Rentner ist seit Jahren im Schützenverein. Er schließt den Waffenschrank auf. Doch der Schrank ist leer. Der Eindringling wird wütend und tritt wieder zu.
Ein paar Wochen vor dem Angriff hat der Rentner seine Waffen verkauft. Zuvor war bei ihm eingebrochen worden. Die Unbekannten hatten sich an seinem Waffenschrank zu schaffen gemacht. Ohne Erfolg. Den Schrank hatten sie nicht aufbekommen.
Daraufhin hatte es der Schiffdorfer mit der Angst zu tun bekommen. Wenn auch anders als vielleicht erwartet. Er hatte Angst, dass irgendjemand die Waffen stehlen und damit ein Verbrechen begehen könnte. Also verkaufte er die Waffen über seinen Schützenverein. Nun hat er keine Waffen mehr im Haus. Doch das weiß der Angreifer nicht.
Vielleicht hatte der Rentner bei der Arbeit mal von seinen Waffen erzählt. Vielleicht ist der Angeklagte daraufhin erfolglos bei ihm eingebrochen. Vielleicht ist er wiedergekommen, damit der Rentner den Waffenschrank aufschließt. Vielleicht.
Besonders ist dem Schiffdorfer in Erinnerung geblieben, wie der Angreifer sehr sorgfältig zwei Taschen packt. Dann wird der Rentner wohl wieder ohnmächtig. Plötzlich ist der Täter verschwunden.
Das Opfer hat sich beim Blick in den Spiegel erst nicht wiedererkannt
Als der Schiffdorfer alleine zu sich kommt, ruft er die Polizei und seine Nachbarin an. Ein Krankenwagen bringt ihn nach Bremen ins Krankenhaus, wo er eine Woche bleiben muss. Die Ärzte behandeln ein gebrochenes Jochbein, ein gebrochenes Nasenbein, eine zerquetschte Hand, Platzwunden am Kopf, mehrere geprellte Rippen und ein Schädel-Hirn-Trauma. „Als ich mich im Krankenhaus im Spiegel sah, habe ich mich erst nicht wiedererkannt. Das ganze Gesicht war rot und blau“, sagt er.
Außerdem ist ein Ohr von der Wucht der Tritte halb abgerissen und muss wieder angenäht werden. Er kann auf der Seite nicht mehr schlafen, weil das Ohr schmerzt. Bei so vielen Tritten gegen den Kopf ist es eigentlich ein Wunder, dass er noch lebt. „Als ob ein Lkw über meinen Schädel gefahren wäre“, sagt der Mann später vor dem Landgericht aus.
Mittlerweile ist der Rentner in psychologischer Behandlung. Bis heute leidet er unter dem Überfall, körperlich und seelisch. Eine Netzhaut wurde beschädigt. Sein Auge tränt. Noch während er im Krankenhaus liegt, bringt seine Familie Überwachungskameras an seinem Haus an und neue Schlösser sowie einige weitere Sicherheitseinrichtungen. Wenn er schlafen geht, schließt er jetzt auch immer die Tür zu seinem Schlafzimmer ab. Nur dann fühlt er sich noch sicher.
Später wird der Rentner feststellen, dass in seiner Wohnung noch etwa 1800 Euro Bargeld fehlen. Außerdem ein Akkuschrauber, eine große Taschenlampe und ein paar Munitionsreste. Mit der Taschenlampe vertreibt der Schiffdorfer nachts die Rehe aus dem Garten, wenn sie mal wieder an seinen Rosen knabbern. Bei dem Überfall ist auch noch ein Computer zu Bruch gegangen.
Angeklagter legt nur ein Teilgeständnis vor Gericht ab
Vor Gericht gibt der Angeklagte den Angriff auf seinen ehemaligen Kollegen grundsätzlich zu, auch wenn er keine Einzelheiten nennt. Nur eins betonte er: Er habe nichts gestohlen. Raub oder nicht? Die Frage könnte später im Verfahren noch von Bedeutung sein.
Der Prozess wird in der kommenden Woche fortgesetzt.