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Zeitgeschichte

T„Seid wachsam!“: Altländer Schüler erinnern an KZ-Häftling

Ehemaliger politischer Gefangener: Dieser Ausweis aus dem Landesarchiv in Stade (Rep. 210 Nr. 998) dokumentiert den Status von Johannes Peter Stechmann aus Königreich.

Ehemaliger politischer Gefangener: Dieser Ausweis aus dem Landesarchiv in Stade (Rep. 210 Nr. 998) dokumentiert den Status von Johannes Peter Stechmann aus Königreich. Foto: Vasel

Mit der Ausstellung „Seid wachsam!“ haben Oberschüler ein Zeichen gegen des Vergessen gesetzt. Exemplarisch dafür steht die Geschichte vom KZ-Häftling Johannes Peter Stechmann.

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Von Björn Vasel
Sonntag, 15.06.2025, 07:50 Uhr

Jork. „Die Ausstellung ist mehr als ein Rückblick in eine düstere Zeit unserer Geschichte. Sie ist Mahnung, Aufklärung und Verantwortung zugleich“, sagt Jorks stellvertretender Bürgermeister Michael Eble (CDU). Sie zeige, wie der Nationalsozialismus das Leben von Menschen prägte, zerstörte und ins Unrecht stürzte. Der Titel „Seid wachsam“ mache deutlich, „dass Freiheit, Toleranz und Menschenwürde keine Selbstverständlichkeiten sind, sondern täglich gelebt und verteidigt werden müssen“.

Das war auch Schülern und Lehrern der Oberschule Jork mit Blick auf das Wiedererstarken des Rechtsextremismus wichtig. Schulleiter Olaf Hesse sprach „von einem starken Zeichen gegen das Vergessen und einem mutigen Beitrag zu Demokratiebildung“. Die Schüler tauchten in Archiven und Gedenkstätten in die Biografien von Opfern der NS-Gewaltherrschaft ein, unter anderem von Johannes Peter Stechmann.

Schüler und ihre Ausstellung (von links): Lenox, Melissa, Zeymep und Phillice werteten die Entschädigungsakten von Johannes Peter Stechmann aus.

Schüler und ihre Ausstellung (von links): Lenox, Melissa, Zeymep und Phillice werteten die Entschädigungsakten von Johannes Peter Stechmann aus. Foto: Vasel

Der Königreicher war kein Widerstandskämpfer wie die Geschwister Scholl (Weiße Rose) oder der Hitler-Attentäter Stauffenberg. Doch Stechmann leistete „passiven Widerstand“, so der Experte für die regionale NS-Geschichte, Michael Quelle. Der Stader begleitete das Schulprojekt der neunten Klassen.

Die Nachwuchshistoriker Lenox, Melissa, Zeymep, Jolie, Uros und Phillice werteten die Entschädigungsakten aus. Stechmann kam am 17. August 1913 in Königreich auf die Welt. In der Weimarer Republik stand er der SPD nah und war Mitglied des Arbeiter-Turnvereins. Nach der Machtergreifung der Nazis entzog er sich „aus politischer Überzeugung dem Wehrdienst“.

Ehemaliger politischer Gefangener: Dieser Ausweis aus dem Landesarchiv in Stade (Rep. 210 Nr. 998) dokumentiert den Status von Johannes Peter Stechmann aus Königreich.

Ehemaliger politischer Gefangener: Dieser Ausweis aus dem Landesarchiv in Stade (Rep. 210 Nr. 998) dokumentiert den Status von Johannes Peter Stechmann aus Königreich. Foto: Vasel

Er heuerte ab 1933 auf holländischen Schiffen an. Das Schöffengericht Stade verurteilte den in die Niederlande geflüchteten Seemann 1938 in Abwesenheit zu zwei Monaten Gefängnis wegen Wehrdienstverweigerung.

Im Mai 1940 marschierte die Wehrmacht in Rotterdam ein. „Von diesem Zeitpunkt lebte ich illegal“, gab Stechmann 1950 zu den Akten. Niederländische Kommunisten schützten ihn vor den Nazis. Doch am 18. September 1943 wurde der Altländer „verraten und von der Gestapo verhaftet“.

Auch unter Folter durch die Gestapo verriet Stechmann sein Helfer nicht

Die setzte bei ihren Verhören auf Folter. 1949 bestätigte der Niederländer L. Dorchain, dass Stechmann ihn trotzdem nicht verraten habe. „Ich hoffe, dass die Welt noch viele solcher Kameraden hervorbringen möge“, schrieb er 1949 der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes. Dorchain hatte Stechmann neun Monate lang versteckt.

Plakat der Ausstellung „Seid wachsam. Auf den Spuren des Nationalsozialismus in Jork und Umgebung“.

Plakat der Ausstellung „Seid wachsam. Auf den Spuren des Nationalsozialismus in Jork und Umgebung“. Foto: Vasel

Der Königreicher kam ins Gefängnis, am 25. September 1943 überstellte die Geheime Staatspolizei Stechmann ins Konzentrationslager Herzogenbusch. Danach steckten die Nazis ihn in die KZs Sachsenhausen und Neuengamme. Im März 1945 pochte die NS-Justiz auf eine Überstellung Stechmanns ins Gerichtsgefängnis Hannover. „Das rettete ihm das Leben“, so Quelle. Denn kurz vor dem Kriegsende räumte die SS das Stammlager Neuengamme.

Ende April transportierten die Nazis rund 10.000 Häftlinge nach Lübeck, diese wurden an Bord der Thielbek, Athen und Cap Arcona geschafft. Die Briten hielten diese für deutsche Truppentransporter. Jagdbomber griffen an. 7000 KZ-Häftlinge verloren am 3. Mai ihr Leben. Sie verbrannten, ertranken oder wurden von Angehörigen von SS und Kriegsmarine erschossen.

In der Nachkriegszeit wurde ihm der Verfolgtenstatus aberkannt

Die Nazi-Richter am Landgericht Hannover verurteilten Stechmann am 5. April 1945 zu sechs Jahren Zuchthaus „wegen Entziehung der Wehrpflicht“ und ließen ihn am Leben. Die Alliierten entließen ihn am 9. Mai in Freiheit. Im September trat er der KPD bei.

Stechmann beantragte eine Entschädigung für die KZ-Haft und stellte einen Rentenantrag wegen gesundheitlicher Folgeschäden. Die Behörden lehnten ab. Aus der Anklageschrift vom 7. März 1933 gehe nicht hervor, dass Stechmann den Dienst an der Waffe aus politischen Gründen verweigert habe, hieß es. Wehrdienstverweigerung habe nicht nur in Deutschland, sondern auch im Ausland unter Strafe gestanden.

Alena, Hannah, Janne und Hanna (von links) sind die Kuratorinnen der Ausstellung „Seid wachsam: Auf den Spuren des Nationalsozialismus in Jork und Umgebung“ im Museum Altes Land in Jork.

Alena, Hannah, Janne und Hanna (von links) sind die Kuratorinnen der Ausstellung „Seid wachsam: Auf den Spuren des Nationalsozialismus in Jork und Umgebung“ im Museum Altes Land in Jork. Foto: Vasel

1953 wies der Niedersächsische Landesausschuss für Sonderhilfesachen seine Beschwerden gegen Entscheidungen in Stade (1949) und Lüneburg (1950) ab: „Der Anfechtungsgegner wird als politischer Verfolgter nicht anerkannt.“ Der Motorenwärter wohnte mittlerweile in Stade. Eine Geschädigtenrente wurde nicht bewilligt. Begründung: Stechmann sei 1933 „verhältnismäßig jung und dementsprechend noch nicht politisch ausgereift“ gewesen. Außerdem habe er sich im Ausland keiner politischen Organisation angeschlossen. Die alliierte Militärregierung hatte den KZ-Häftling noch als politisch Verfolgten eingestuft.

Die Ausstellung „Seid wachsam! Auf den Spuren des Nationalsozialismus in Jork und Umgebung“ im Museum Altes Land läuft bis Sonntag, 29. Juni, und ist täglich außer montags von 11 bis 17 Uhr geöffnet. Es gibt einen Podcast beim Schul-Internetradio Niedersachsen. Schüler sprachen mit Zeitzeugin Antje Kosemund (96). Ihre Schwester wurde von den Nazis ermordet. Kosemund besucht die von Sparkasse, Rotary Club, Förderverein und Gemeinde Jork ermöglichte die Ausstellung am Dienstag, 24. Juni, 12.30 Uhr.

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