TWie ein eigenes Google Maps: So macht KI den Obstbau besser

Die Augen der KI: Jahrelange Arbeit steckt in diesen multispektralen Kameras, die zukünftig auch Baumkrankheiten vor dem Ausbruch erkennen sollen. Foto: Buchmann
Falsch ausgedünnt, Schädlinge, Frost: Es gibt viele Faktoren, die Obstbauern die Ernte verhageln können. Wie KI das verhindern kann, zeigen Forscher in Jork.
Jork. Jeder Obstbaum ist anders: Wie gleichmäßig er wächst, wie viele Blütenknospen er austreibt oder wie anfällig er für Krankheiten ist. Auf großen Plantagen mit Hunderten Bäumen bleibt Obstbauern kaum Zeit, jeden Baum einzeln zu pflegen. Meist werden alle Pflanzen nach dem gleichen Standard behandelt. Eine Folge daraus: Ungleichmäßige Erträge bei der Ernte. Die Forscher des SAMSON-Projektes arbeiten an Lösungen für dieses Problem, um so den Obstbau effizienter zu machen.
Im Januar 2023 ging das durch Bundesmittel geförderte Forschungsprojekt SAMSON (Smarte Automatisierungssysteme und -services für den Obstanbau an der Niederelbe) an den Start. Als Projektpartner arbeiten seitdem Fraunhofer IFAM, HAW Hamburg, TU Hamburg, Hochschule 21 aus Buxtehude und das Obstbauzentrum Esteburg in Jork zusammen am Obstbau der Zukunft.
Jeder Baum auf einer digitalen Landkarte
Auf dem Versuchsgelände in Jork präsentierten die Forscher am Dienstag ihre neuesten Erkenntnisse. Im Fokus: Der Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) im Obstbau. Sieben verschiedene Apfelsorten hatten die Projektpartner angepflanzt, um neueste Technik in den letzten zwei Jahren zu testen. Darunter auch Sorten wie der PIA 41 oder der Rockit, denn die KI soll verschiedene Farben und Größen erfassen lernen, erklärt Fraunhofer-Mitarbeiter Benjamin Schulze.

Benjamin Schulze erklärt das komplexe System, in dem die Daten der gesamten Plantage abrufbar sind. Foto: Buchmann
Mithilfe von KI haben die Forscher digitale Zwillinge aller Apfelbäume erstellt, die sie jederzeit am PC oder Smartphone kontrollieren können. Dahinter steckt ein komplexes System aus GPS-Messstäben und Sensorboxen, die jeden Baum mitsamt Früchten und Blüten zentimetergenau ausmessen und in einer eigenen Software abbilden. So entsteht eine Art Google Maps mit farbigen Punkten für jeden Baum, der beim Anklicken Informationen etwa über die Blühstärke oder Größe der Früchte verrät. So sollen Obstbauern zukünftig exakt wissen, welcher Baum wie viel Dünger und Pflanzenschutzmittel benötigt oder wie stark der Bauer die Blüten ausdünnen muss.
Deshalb verzählt sich die KI nicht
Die Sensorbox erinnert an einen abstrakten Kleiderständer, unter dem jemand einen orangenen Koffer abgestellt hat. Doch der Kleiderständer ist ein essenzieller Teil des Projekts. Jiahua Wei, Informatiker an der TU Hamburg, hat die KI der Sensorbox mitentwickelt. Die Maschine besteht aus etlichen Elementen, die zur Datenerfassung wichtig sind: GPS-Module, Stereokameras, Funknetzantennen, ein LiDAR-Abstandsmesser und eine leistungsstarke Batterie, die im orangenen Koffer steckt. Das Ganze ist über eine Dreipunktaufnahme mit dem Schlepper kompatibel, erklärt Wei.

Mit der Sensorbox erhält die KI alle notwendigen Daten, um jede Blüte und Frucht bestimmen zu können. Foto: Buchmann
Als er die Sensorbox ein paar Meter durch die Baumreihe schiebt, verändert sich die Bildschirmanzeige auf seinem Laptop. An jedem Apfel ploppen winzige Textboxen auf: Die Sensorbox hat binnen Sekunden die exakte Größe jedes Apfels in Sichtweite berechnet. So sollen Obstbauern genau wissen, wie viele Äpfel in welcher Qualität sie diese Saison ernten können. Durch die Kameras vergibt die KI jedem Pixel, also jedem Bildpunkt, Koordinaten aus verschiedenen Winkeln. So entsteht am Computer ein dreidimensionales Bild, in dem jeder Apfel eine eigene Kennnummer bekommt und per GPS geortet werden kann. Das soll Doppelzählungen verhindern, sagt Wei. Mit kleinen und grünen Äpfeln habe die KI noch Probleme.
Ist Präzision so viel Geld wert?
Auch Wetterdaten fließen in das automatisierte Obstbausystem der Forscher ein. Dafür haben sie eigene Wettersensoren gebaut, die etwa mithilfe von Drucksensoren Wind und Frost erkennen. Mehrfach pro Stunde erhält der Obstbauer die Wetterinformationen als Nachricht auf sein Smartphone. Um ein umfassendes Bild von ihrer Plantage zu erhalten, müssten die Obstbauern mehrere solcher Wettermelder an allen Punkten ihrer Felder aufstellen.

Das Wetter zu kennen, ist ein wichtiger Faktor für erfolgreichen Obstanbau. Rechts im Bild: Der selbstgebaute Wettermelder der Forscher. Foto: Buchmann
Die selbstgebaute Variante kostet etwa 65 Euro pro Melder, namhafte Hersteller nehmen mehr als das Doppelte. Bei den Obstbauern, die sich die Demonstration anschauen, sorgt das für Skepsis. „Wir wissen genau, wo die kältesten Stellen sind“, sagt ein erfahrener Betriebsleiter. Daher hätte es wenig Sinn, viel Geld für viel Präzision auszugeben.
Mithilfe von KI wollen die Forscher Pflanzen auch besser vor Schädlingen und Krankheiten schützen. Anhand aller erhobenen Daten hat ein Forschungsteam an der HAW Hamburg berechnet, wie sich die grüne Futterwanze wahrscheinlich in einer Apfelplantage ansiedeln kann. Juri Zach präsentiert derweil das multispektrale Kamerasystem, mit dem die KI die Bäume erkennt und untersucht. Man habe die KI mit etlichen Terrabytes an Bildern und Videos trainiert, darunter auch für den Menschen nicht sichtbare Bereiche wie Infrarot. So sollen zukünftig Krankheiten wie Blutläuse oder Baumkrebs erkannt werden, bevor sie sichtbar ausbrechen. Für den Einsatz bei Obstbauern sei es noch zu früh: „Es ist noch nicht praxistauglich, aber es funktioniert.“

Interessiert hören die Besucher des Technologietages den Forschern zu. Foto: Buchmann
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