TZwangsarbeit, Morde, Kriegsgefangene: Schüler-Ausstellung zur NS-Geschichte in Jork eröffnet

Blick in die Ausstellung „Auf den Spuren des Nationalsozialismus in Jork“ im Museum Altes Land: Christian, Zyg, Max, Leon und Malin berichten Schulleiter Olaf Hesse und Bürgermeister Partho Banerjea über ihre Recherchen zu Karl Mählmann aus Westerjork (von links). Foto: Vasel
Nie wieder: Diesen Appell haben Jorker Schüler ihrer Ausstellung „Auf den Spuren des Nationalsozialismus“ im Museum Altes Land vorangestellt. Mit ihrer Geschichtswerkstatt wollen sie erinnern und mahnen. Blick in eine beeindruckende Arbeit von Jugendlichen.
Jork. Mehr als 70 Schülerinnen und Schüler des 9. Jahrgangs der Oberschule Jork sind in den vergangenen Monaten in die Archive eingetaucht. Außerdem sprachen sie mit Angehörigen von Opfern der NS-Gewaltherrschaft und mit Historikern. Das Ergebnis ihrer Recherchen ist beeindruckend: Der stellvertretende Bürgermeister der Gemeinde Jork, Partho Banerjea (Bürgerverein), lobte bei der Eröffnung der Ausstellung „Nie wieder: Auf den Spuren des Nationalsozialismus in Jork und Umgebung“ im Museum Altes Land das Engagement von Schülern und Lehrern.
Wertvoller Beitrag zur Erinnerungskultur
Es sei weiter notwendig, sich mit der Geschichte und den Folgen des Nationalsozialismus auseinanderzusetzen. Das Singen von rassistischen Parolen wie „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus“ dürfe nicht widerspruchslos hingenommen werden.
Es gelte, für eine „demokratische und multikulturelle Gesellschaft“ einzustehen. Banerjea appellierte an die Schüler, ihr Wahlrecht bei der Europawahl am 9. Juni zu nutzen und „Parteien von Rechtsaußen, wie die AfD, in die Schranken zu weisen“.
Die Leiterin des Altländer Museums, Dr. Kai Janofsky, unterstrich, dass die Ausstellung für die Neuausrichtung ihres Hauses stehe. „Wir holen die Schüler ins Museum.“ Diese recherchierten zu Zwangsarbeit, Euthanasie-Morden, Kriegsgefangenen, Widerstandskämpfern und Bombenangriffen. Dabei konnten sie insbesondere auf Michael Quelle bauen, Experte für die NS-Geschichte im Landkreis Stade.
Schüler sagen: Nie wieder ist jetzt
Mit ihrer Ausstellung wollten die Nachwuchshistoriker einen Beitrag zur Erinnerungskultur leisten, sagte Schülerin Malin Dorschfeld in ihrer Eröffnungsrede. Inmitten der Gemeinde Jork seien viele Spuren dieses dunklen Kapitels deutscher Geschichte zu finden. In Kleingruppen beleuchteten sie das alltägliche Leben unter dem Hakenkreuz und die Schicksale von Menschen, die von den Nazis verfolgt und ermordet wurden.
Zeitgeschichte
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Dorschfeld: „Die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit ist unerlässlich, um die Werte von Freiheit, Demokratie und Menschenwürde zu bewahren.“ Sie sei überzeugt: Wer - mit Blick in die Vergangenheit - die Mechanismen von Ausgrenzung, Verfolgung und Totalitarismus aufzeige, schaffe ein Bewusstsein, das „uns auch in der Gegenwart wachsam bleiben lässt“.

Experte für die Geschichte des Nationalsozialismus: Michael Quelle unterstützte die 70 Schüler aus den 9. Klassen der Oberschule Jork bei der Recherche, rechts Schülersprecherin Malin Dorschfeld. Foto: Vasel
Der Nationalsozialismus habe „unermessliches Leid über die Menschheit gebracht“, sagte Schulleiter Olaf Hesse mit Blick auf die Tafeln. Die Ausstellung sei „eine eindrucksvolle Leistung“ und „ein wertvoller Beitrag zur Erinnerungskultur“. Er spannte den Bogen zu Grundgesetz und Europäischer Union. Es gelte, die Erinnerung wachzuhalten, um die Demokratie und den Frieden zu sichern. Er und Dorschfeld dankten insbesondere Michael Quelle für die Unterstützung.
Schüler geben NS-Opfern ein Gesicht
Nach der Eröffnung präsentierten Schüler ihre Recherchen. Christian, Zyg, Max und Leon hatten sich dem systematischen Mord an Menschen mit körperlichen und psychischen Krankheiten durch die Nationalsozialisten gewidmet - am Beispiel von Karl Mählmann (1899 - 1944) aus Jork.

Karl Mählmann - ein Opfer der Euthanasie-Morde der Nazis. Er stammte aus Westerjork und starb am 5. Januar 1944 in der Landesheil- und Pflegeanstalt Pfafferode. Foto: Archiv
Dieser wurde im Ersten Weltkrieg verletzt. Das bewahrte Mählmann erst einmal vor dem Tod, bei der Euthanasie-Aktion T4 wurde er zurückgestellt. Bereits im Oktober 1939 hatte der Diktator Adolf Hitler den Mordbefehl erteilt. Ein „Reichsausschuß zur wissenschaftlichen Erfassung von erb- und anlagebedingten schweren Leiden“ wurde eingerichtet.
Mehr 200.000 Menschen wurden von 1940 bis 1945 von den Nationalsozialisten unter anderem im Zuge der Aktion T4 - nach der Leerung vieler Heil- und Pflegeanstalten - systematisch mit Gas oder Medikamenten wie Luminal umgebracht.
Tod im Rahmen der „dezentralen Euthanasie“
Mählmann fühlte sich, so heißt es in den Krankenakten der Heil- und Pflegeanstalt Lüneburg, „verfolgt“. Er litt unter Angstzuständen und drohte, sich zu erhängen. Mählmann wurde eingewiesen, am 8. September 1943 wurde der Jorker nach Pfafferode verlegt. Er starb dort am 5. Januar 1944 im Rahmen der „dezentralen Euthanasie“ im Alter von 45 Jahren - wie 251 weitere Patienten.
400.000 Menschen wurden zwangssterilisiert, mehr als 700 allein im Kreis Stade. Kurz nach der Machtübernahme hatten die Nazis im Juli 1933 das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses erlassen.
„So etwas darf nie wieder geschehen“, sagte Zyg. Sie hätten die Opfer vom Ort der Vernichtung zurück in die Heimat geholt - und ihnen wieder ein Gesicht gegeben.
Ausstellung bis zum 16. Juni im Museum Altes Land
Die informative Ausstellung „Nie wieder? Auf den Spuren des Nationalsozialismus in Jork und Umgebung“ im Museum Altes Land in Westerjork 49 in Jork ist noch bis zum 16. Juni geöffnet - täglich außer montags von 11 bis 17 Uhr. Die bene-Stiftung aus Stade und die Gemeinde Jork unterstützten das Projekt des 9. Jahrgangs der Oberschule Jork großzügig - und ermöglichten so Recherchen unter anderem in der Euthanasie-Gedenkstätte der Psychiatrischen Klinik in Lüneburg und ein Interview mit dem Sohn des aus Borstel stammenden kommunistischen Widerstandskämpfers Rudolf Welskopf. Der Grafiker Volker Groneberg aus Bliedersdorf gestaltete die Tafeln.

Viel Gesprächsstoff. Foto: Vasel