T43 Jahre, „Schießereien“ und ein Mercedes: Bernd ist in Hedendorf Kult

Bernd ist der Dauerbrenner bei Völksen. Hier lernte er mit 17 Jahren, bis heute steht nur der eine Arbeitgeber in seinem Lebenslauf. Foto: Thies Meyer
Bei Bernd in der Tankstelle Völksen holen sich Kunden Sprit - und tanken auch ihr Auto. Manchmal sind sie freundlich, oft „ausgelutscht“. In 43 Jahren schockte Bernd so einiges.
Hedendorf. Außen steht „Völksen Tankshop“ in grellrot leuchtenden Großbuchstaben. Innen stehen Regale für Hungrige, Durstige, Raucher oder Leser - und Bernd. Seit 43 Jahren steht er an diesem Ort. Immer in der Spätschicht von 15 Uhr bis Mitternacht. Mit 17 Jahren schloss er bei Völksen seine Lehre ab. Bis heute zog ihn nichts weg.

Völksen liegt an der B73. Hier pendeln täglich Zehntausende Fahrzeuge zwischen Hamburg und Cuxhaven entlang. Foto: Thies Meyer
Der 60-Jährige trägt ein rotes Poloshirt, eine Brille und Vollbart. Viele Kunden kommen mit „Moin, Bernd“ in die Tanke. Die Kunden sind verschieden: eine Frau mit Airbus-Shirt, eine mit Reitstiefeln, ein Pizzabote und zwei Männer mit Trainingsanzug vom MTV Wangersen.
Bernd wischt den Boden. Das bietet sich zwischendurch an. Es ist Ferienzeit, ein Ansturm auf Zapfsäulen, Kaltgetränke und Zigaretten bleibt heute aus. Das sind die Verkaufsschlager. Wenn Kunden kommen, stellt Bernd den Wischmopp weg und geht hinter die Kasse. Nicht mehr so schnell wie früher.
Zu später Stunde: „Viel sabbeln ist nicht“
An diesem Donnerstag zwischen 21 und 22 Uhr rollt wenig Verkehr über den Asphalt der oft Todesstrecke genannten B73, die Hamburg und Cuxhaven verbindet. Rund 25 Menschen biegen dennoch zum Zwischenstopp an der Tanke ab.
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Bernd sagt, abends seien die Kunden ruhig und „ausgelutscht“. „Viel sabbeln ist nicht.“ Freundliche Kunden retten ihm den Tag. Die kleinen Gesten bedeuten Bernd viel. Er freut sich, wenn ein Kunde ihm verrät, wo ein Verkehrsunfall ist. Wo eine Straße gesperrt ist. Oder wo er vorsichtig auf seinem Heimweg fahren muss.

Das Firmenlogo der Tankstellen Christian Völksen. Auf der anderen Straßenseite ist eine zweite Tankstelle. Foto: Thies Meyer
„Das ist wie eine Wettervorhersage“, sagt Bernd, der keine Miene verzieht. In seinen Worten spricht aber die Dankbarkeit. Die Tipps der Kunden sind ein Dominoeffekt: Sie sagen es Bernd, Bernd kann es dem nächsten Kunden sagen. Und so weiter.

Viel mehr als nur einmal Auto volltanken: Einige Hedendorfer holen sonntags hier ihre Brötchen. Foto: Thies Meyer
Im Tankshop lädt rechts neben dem Eingang eine Sitzecke mit rot-weiß gestreiften Ledersofas und -stühlen ein. Es sieht aus wie in einem American Diner. Nur gibt es hier belegte Brötchen und heiße Würstchen, keine Burger oder Maccaroni and Cheese. Für Nostalgie sorgen eine alte Benzin-Zapfsäule und ein historisches Wandbild: So sah die Tankstelle in den 1950ern aus.
Das gibt es bei Völksen
1894 war der Familienbetrieb in mehreren Generationen noch ein Gemischtwarenladen.1932 wurde daraus eine Tankstelle. Heute ist Völksen eine Tankstelle mit Kfz-Meisterbetrieb und rund 25 Mitarbeitern. Auf der anderen Straßenseite ist ebenfalls eine Tankstelle, die morgens eine Stunde später öffnet und schon um 21 Uhr schließt.

Der Tankshop ist teilweise eingerichtet im US-Stil. In den USA sind Diner - einfache Restaurants - und Tankstelle oft eins. Foto: Thies Meyer
In der Sitzecke liest ein Mann die TAGEBLATT-Donnerstagsausgabe. Einmal blättert er zur Seite der 24-Stunden-Reportage, auf der alle Episoden aufgelistet sind. Heute geht es um das Restaurant Beef Kitchen in Apensen.
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Wenn die Supermärkte schon dicht sind, hat Völksen noch auf und lockt Späthungrige auch mit Erbsensuppe und Bockwurst aus dem Glas, mit Dosenravioli und Tiefkühlpizza. Wer auf dem Weg zum Date oder zur Party ist und streng riecht, kann sich noch Deo kaufen. Das Partyvolk auf Durchreise ist schnell im Paradies - nur durch die Tür und geradeaus: Hier gibt es von Sektflaschen, vorgemixten Dosen-Cocktails bis zu Bier-Sixpacks alles.

Bei Völksen klirren die Kühlschränke rund um die Uhr. Dort gibt es Alkohol, Alkoholfreies oder auch Pizza. An der Theke werden kalte und warme Speisen angeboten. Foto: Thies Meyer
Zwei junge Männer haben ihr Auto betankt. Ihr Einkauf im Tankshop verrät: Wahrscheinlich wollen sie selbst auch noch tanken - viel. Einer stellt eine Flasche Korn und eine Cola bei Bernd an der Kasse ab. Bei dem Mischverhältnis kommen sie schnell auf viele Umdrehungen. Dazu darf es noch für jeden ein kleiner Jägermeister sein.
Als die Tankstelle zum Tatort wurde
Tankstellenkassierer sollten ein dickes Fell haben, so Bernd. Zwischen ihm und den Kunden herrscht auch mal dicke Luft. „Manchmal ist das ein bisschen Schießen“, sagt Bernd. Wenn einer ihm mit einem blöden Spruch komme, schießt er zurück. Er beherrscht die „Straßensprache“, die es im Wortgefecht braucht.
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Heute schießt keiner auf ihn, er auch nicht zurück. Ein Mann fragt Bernd, was eine Frikadelle kostet. „3 Euro.“ „Oh, das ist aber teuer.“ Bernd antwortet mit seinem Schweigen. Es bleibt bei einer Dose Whiskey-Cola für den Mann.
Draußen flimmert ein Licht an einer Zapfsäule für Lkw-Diesel. Wackelkontakt. Die Szenerie hat einen Hauch von Spuk wie an einem Tatort im Horrorfilm. Einmal war der Horror bei Bernd sogar zu Gast: Vermummte mit Waffen stürmten Kriminelle die Tankstelle. Bernd griff alles, was um ihn herum lag, auch Chipstüten. Er jagte die Täter in die Flucht.
Bei Völksen sitzt ein Stammgast
Kurz vor 22 Uhr sagt ein Kunde „Moin“ und auf dem Weg zur Kasse „Chesterfield, die gelben“, während er in seinem Portemonnaie kramt. „Fünfmal“, ruft der Mann aus der Sitzecke. „Nö. Wie viele hast du denn noch?“, fragt der Kunde Bernd. Er greift Bernd vorweg: „Gib mal fünfmal.“ Das schelmische Grinsen des Mannes in der Sitzecke sagt: Habe ich es doch gewusst.

Einfach vorbeischauen, schnacken, Zeitung lesen: Stammgast Henning aus Neukloster fühlt sich bei Völksen wohl. Foto: Thies Meyer
Das ist Hennings Grinsen. Der Gemüsebauer aus Neukloster ist Stammgast: „Bei der netten und charmanten Bedienung komme ich immer gerne.“ Er lächelt, er und Bernd schauen sich in die Augen. Bernd sagt nichts, bedankt sich für das Kompliment mit einem Lächeln. Bei Völksen genießt Henning zwei- bis dreimal die Woche die Atmosphäre und liest, was im Kreis Stade so los ist. „Völksen kann man immer hingehen“, sagt er und klingt wie ein Werbegesicht.
Als Bernd seinen Augen nicht traute
Kurz nach 22 Uhr. Bernds letzte Stunden vor Feierabend ticken. Pause hat er nicht. Zwischendurch gönne er sich einen Biss von seinem Brot. Bis der nächste Kunde kommt.
Bernd ist „besonders“, „bekannt“ und „ein bunter Hund“, sagt Anna Völksen und schaut das Urgestein liebevoll an. Sie unterstützt Vater und Inhaber Christian im Betrieb. Wenn Bernd Probleme bei der Arbeit habe, gehe er immer auf die Völksens zu, denn „Totschweigen ist scheiße“.

Bernd macht seinen Job seriös und zeigt seine Freundlichkeit nicht immer auf den ersten Blick. Foto: Thies Meyer
An einen Moment erinnert er sich gerne: Seine Arbeitskollegen warfen Geld zusammen und schenkten ihm zum 60. Geburtstag einen schwarzen Mercedes. „Das ist jetzt deiner“, sagte Christian Völksen. „Ich war ein bisschen doof, verbafft. Wollen die mich verarschen?“ Diese „geile“ Aktion habe ihn berührt.
Bernd hat viele Anekdoten zu erzählen, ist ein wandelndes Gedächtnis. „Man hat sich so viele Jahre mit den Kunden abgesabbelt und angefreundet“, sagt er und hält inne. „Und dann einfach aufhören?“ Ein kurzer, leerer Blick von Bernd. „Da ist ein bisschen Herzblut dran“, sagt der Tankstellenkassierer über seinen Job. Nicht mehr so lange bis zur Rente. Solange wolle er noch der beste Bernd sein, der er sein kann.
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