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Rechtsextremismus

T„Alle sollten wachgerüttelt sein“: Landrat Seefried sieht die Demokratie in Gefahr

Blick auf ein Gästehaus in Potsdam, in dem AfD-Politiker nach einem Bericht des Recherche-Netzwerks Correctiv im November an einem konspirativen Treffen teilgenommen haben sollen.

Blick auf ein Gästehaus in Potsdam, in dem AfD-Politiker nach einem Bericht des Recherche-Netzwerks Correctiv im November an einem konspirativen Treffen teilgenommen haben sollen. Foto: Jens Kalaene/dpa

„Entsetzen“, „Sorge“, „unerträglich“: Politiker aus dem Landkreis Stade zeigen sich erschrocken über die Teilnahme des AfD-Kreisvorsitzenden Maik Julitz an dem konspirativen Treffen Rechtsextremer in Potsdam. Das sind die Reaktionen auf den TAGEBLATT-Artikel.

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Von Karsten Wisser,
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Von Anping Richter
Freitag, 12.01.2024, 19:27 Uhr

Buxtehude. Die Berichterstattung über ein konspiratives Treffen von Rechtsextremisten, AfD-Mitgliedern und Mitgliedern der Werteunion in Potsdam hat in ganz Deutschland für Aufsehen gesorgt - und schlägt im Landkreis Stade jetzt besonders hohe Wellen.

Das TAGEBLATT hatte gemeinsam mit dem Recherche-Netzwerk Correctiv öffentlich gemacht, dass an dem Treffen auch der Stader AfD-Kreisvorsitzende Maik Julitz aus Buxtehude beteiligt gewesen war. Dort soll über die millionenfache Abschiebung von Migranten gesprochen worden sein - auch bei Menschen mit deutscher Staatsbürgerschaft. Anlass des Treffens war die Vorstellung eines Masterplans zur „Remigration“. Dieser Plan und die Nähe von AfD-Mitgliedern zu Rechtsextremisten rufen scharfe Kritik hervor.

Landrat: Rechtsextreme Fantasien aus NSDAP-Lehrbüchern

„Auch unabhängig von diesem Treffen bereitet mir die politische und gesellschaftliche Stimmungslage in Deutschland große Sorgen“, sagt Landrat Kai Seefried (CDU). Noch nie habe er persönlich den gesellschaftlichen Zusammenhalt und damit auch die Demokratie so stark gefährdet gesehen. Die Migration nach Deutschland sei eines der zentralen Themen, das die Menschen bewege. „Hier brauchen wir aber keine rechtsextremen Fantasien, die aus den Lehrbüchern der NSDAP stammen könnten. Wir brauchen einen funktionierenden Rechtsstaat und eine Besinnung auf unser Grundgesetz“, sagt Seefried. „Wir sehen ganz aktuell und sollten alle wachgerüttelt sein, wie gefährdet unsere Demokratie ist.“

Die Landtagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen hat ebenfalls auf die TAGEBLATT-Berichterstattung reagiert. „Dass auch ein Mitglied der niedersächsischen AfD bei dem konspirativen Treffen in Potsdam am Tisch saß, muss deutliche Konsequenzen nach sich ziehen. Die AfD ist gefordert, sich hierzu umgehend zu erklären“, sagt Michael Lühmann, innenpolitischer Sprecher der Landtagsfraktion. Als Demokrat müsse man überlegen und debattieren, ob Parteien, die solch menschenverachtende Pläne schmieden, noch Teil der parlamentarischen Demokratie sein könnten. „Ich trete deswegen entschieden dafür ein, ein AfD-Verbotsverfahren einzuleiten“, so Lühmann.

Landes-AfD prüft Angelegenheit nach TAGEBLATT-Artikel

Wie die „Hannoversche Allgemeine Zeitung“ (HAZ) berichtet, hatte die AfD ihr auf Nachfrage mitgeteilt, sie habe „keine Kenntnis von niedersächsischen Mitgliedern bei dem Treffen“. Nach der TAGEBLATT-Berichterstattung mit der Teilnahme von Julitz konfrontiert, erklärte ein Sprecher, der Vorstand der AfD Niedersachsen werde „die Angelegenheit prüfen und klären, ob und inwieweit Konsequenzen gezogen werden“.

Der AfD-Landesvorsitzende Frank Rinck distanzierte sich der HAZ gegenüber von der Strategie zur „Remigration“ und hielt sich dabei an die Sprachregelung der Bundes-AfD. Er sagte, die Haltung seiner Partei zur Einwanderungspolitik werde nicht bei privaten Treffen ausgekungelt.

CDU: Entsetzen und große Sorge bei Birgit Butter

„Wenn Vertreter einer Partei, die in Bundes- und Landtag, in Kreistagen und Stadträten vertreten ist, auf einem geheimen Netzwerktreffen gemeinsam mit Rechtsextremisten rassistisches Gedankengut verbreiten, erfüllt mich das nicht nur mit Entsetzen, sondern mit großer Sorge“, sagt Birgit Butter, Landtagsabgeordnete der CDU aus Buxtehude und stellvertretende Landrätin.

„Ich sehe unsere Demokratie in akuter Gefahr. Die Masken sind gefallen: Kein mündiger Wähler kann sich herausreden, er habe lediglich Protest gewählt und von alldem nichts gewusst“, sagt Butter. Illegale und ungesteuerte Migration sei eine brennende Frage, auf die es politische und demokratische Antworten geben müsse. Die Antwort der AfD, Menschen nach rassistischen Kriterien auszusortieren, sei menschenverachtend und erinnere an Methoden, die in der dunkelsten Zeit der deutschen Geschichte angewandt wurden.

Grüne: Verbotsverfahren gegen die AfD prüfen

„Das, was in den vergangenen Jahren über die AfD öffentlich geworden ist, bestätigt unsere Befürchtungen und ich betrachte das mit großer Sorge“, sagt Joachim Fuchs, Co-Sprecher des Kreisverbands von Bündnis 90/Die Grünen. Er habe als Lehrer gerade das Thema Nationalsozialismus unterrichtet und die Parallelen zu den Inhalten des Treffens in Potsdam seien erschreckend. Die Teilnahme des Stader AfD-Kreisvorsitzenden zeige, wie radikal die örtliche AfD sei. Fuchs fordert die Prüfung, ob ein Verbotsverfahren gegen die AfD möglich sei.

„Bemerkenswert finde ich an der Personalie Julitz, dass er mit seinem eigenen Migrationshintergrund – aus wirtschaftlichen Gründen von der DDR kommend in den goldenen Westen – anderen Menschen nicht die Butter auf dem Brot gönnt“, sagt Clemens Ultsch, Abgeordneter von Die Partei im Buxtehuder Rat und im Stader Kreistag. In Julitz’ Fantasie seien Syrien und Afghanistan sichere Herkunftsstaaten, in die eine „Remigration“ statthaft wäre.

Die Partei: Konspiratives Treffen hat eine neue Qualität

„Dass Herr Julitz kein Demokrat ist, hat er bereits mit seinen unerträglich rassistischen Äußerungen im Kreistag mehrfach eindrucksvoll bewiesen“, so Ultsch. Allerdings sei das konspirative Treffen für die Elite deutscher Rechtsextremisten mit einem Eintrittsgeld von 5000 Euro „pro streng gekämmtem Seitenscheitel“ eine neue Qualität.

„Die AfD im Landkreis Stade - und allen voran ihr Chef Maik Julitz - hat schon immer weit rechts außen gestanden“, sagt Gerrit Steffens (SPD), Buxtehuder Ratsherr und designierter Kandidat für die Europawahl. Das Selbstverständnis, mit dem er jetzt seine Beteiligung an diesem zutiefst rassistischen Gedankenaustausch zugebe, bezeuge, wie die AfD die Grenzen des Sagbaren immer weiter verrücke. „Wenn die AfD Buxtehude als ihre Hochburg versteht, weil sämtliche Posten im Kreis mit Buxtehuder Mitgliedern besetzt sind, kann ich umso nachdrücklicher auf eine breite Buxtehuder Zivilgesellschaft verweisen, die der AfD klar aufzeigt, dass Buxtehude standhaft gegen Rechts ist“, so Steffens.

SPD: Wer kein Extremist ist, sollte die AfD jetzt verlassen

„Ich bin erschreckt, mit welchem menschenverachtenden Gedankengut die Neonazis aus der AfD und aus deren Umfeld sich beschäftigen. Spätestens, nachdem keiner aus der AfD-Führung diesen Planspielen widerspricht, gibt es für keinen Menschen in diesem Land mehr einen Zweifel daran, dass die AfD eine rechtsextreme Partei durch und durch ist“, sagt Björn Protze, Vorsitzender der Stader SPD-Kreistagsfraktion.

„Ich fordere jedes Mitglied der AfD, das sich nicht als Rechtsextremist, als Antisemit, als Neonazi und Ähnliches betrachtet, auf, die Partei zu verlassen“, so Protze. Ihm sei wichtig, dass die SPD nirgendwo gemeinsame Sache mit der AfD machen werde. „Als SPD stehen wir seit unserer Gründung dafür ein, dass wir uns gegen Fremdenfeindlichkeit, gegen Antisemitismus und gegen Rassismus stellen - immer und zu jeder Zeit.“

Der Kreisverband der AfD wollte sich am Freitag auf TAGEBLATT-Nachfrage nicht äußern.

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