TAussagen im Stader Clan-Prozess: Richter erhebt schweren Vorwurf

Rückblick: Tatortaufnahme durch die Polizei in der Nacht nach der tödlichen Messerattacke am Salztor in Stade. Rechts ist der Döner-Imbiss. Foto: Polizei Stade
Im Stader Clan-Prozess wirft der Vorsitzende Richter Zeugen aus einem Döner-Imbiss Falschaussage vor. Die sagen nämlich, dass sie sich an nichts erinnern. Doch es gibt ein Video.
Stade. Mustafa M. sitzt auf der Anklagebank und schweigt. Immer wieder reicht er seinen Verteidigern Dinah Busse und Dr. Dirk Meinicke während der Aussagen der Zeugen seine DIN-A-4-Blätter mit Notizen für Nachfragen. Sein Blick ist gesenkt, er vermeidet Augenkontakt mit den beiden Nebenklägern und Zuschauern aus dem Kreis der Opferfamilie.
Dass er am 22. März 2024 ein Messer in den Kopf von Khaled R. gestoßen hat, bestreitet der Angeklagte nicht. Das hatte er bereits vor dem Haftrichter gestanden. Ihm droht eine lebenslange Haftstrafe, sollte das Stader Landgericht ihn wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Mord verurteilen.
Zeugen mit Erinnerungslücken
Die Frage „War es Mord (Vorsatz) oder Totschlag (Nothilfe)?“, ist offen. Bei der Klärung könnten Augenzeugen helfen. Doch einige klagen über Erinnerungslücken, andere berichten von Einschüchterungsversuchen - sowohl aus den Reihen der Al-Zeins, der Familie des Opfers, als auch der Miris, der Familie des Angeklagten.
Beim 19. Verhandlungstag vor der 1. Großen Strafkammer am Landgericht in Stade sind unter anderem Zeugen geladen, die den blutigen Streit zwischen den beiden verfeindeten Clans vor ihrer Ladentür erlebt haben. Das Opfer war hier regelmäßig Gast.
Was die Renas-Mitarbeiter gesehen haben wollen
Die Mitarbeiter des Döner-Imbisses Renas in der Straße Am Salztor hatten den Zusammenstoß zweier Pkw vor dem Laden zunächst für ein Unglück gehalten. „Ich dachte, es war ein Autounfall“, sagt ein Zeuge. Einer spricht von einem handfesten, lautstarken Streit und einer „Ansammlung von Menschen“ auf der Straße.
Die Zeugen beobachteten, wie ein Mann eine Jacke auf der Hafen-Seite des Imbisses wegwarf. Irgendwann habe eine Person auf der Straße auf dem Boden gelegen. Gegenstände wie ein Messer, Baseballschläger oder Teleskopschlagstock habe er nicht gesehen, sagt er auf Nachfrage des Vorsitzenden Richters Erik Paarmann.
Bei der Polizei hatte beispielsweise ein Zeuge im Frühjahr 2024 noch zu Protokoll gegeben, dass er eine Bewegung mit der rechten Hand gesehen und diese schließlich eine Person getroffen habe. Der Vorsitzende Richter und auch Staatsanwältin Dawert verweisen immer wieder auf die Aussagen der Zeugen bei der Polizei. Dort hätten sich diese teils detailliert geäußert.
„Ich kann mich nicht erinnern, dass ich so etwas gesagt habe“: So lautet die Standardantwort der Renas-Mitarbeiter im Gerichtssaal. Oder: Die Polizei müsse das falsch aufgeschrieben haben.
Aufzeichnungen bringen Zeugen in Bedrängnis
„Es verwundert schon, dass Sie das jetzt so sagen“, sagt der Richter Paarmann. Er verweist auf ein Video aus der Überwachungskamera des Imbisses. Diese zeichnete nicht nur Bilder, sondern auch Gespräche rund um die Uhr auf.
Laut dem von den Ermittlern vertexteten Gesprächsprotokoll sagt einer der Mitarbeiter, dass der Täter seinem Opfer ein Messer „in den Hals gestochen“ habe. „Er hat so gestochen“, beschrieb ein Kollege in dem Video die Tat, heißt es. Einer telefonierte per Facetime.
„Wird knallen“
T Stader Clan-Prozess: Tumult nach Provokationen im Gerichtssaal
Als die Kammer die Verhandlung auf Bitten der Verteidiger kurz unterbricht und das Gericht durch die Tür entschwindet, hallen lautstarke Rufe in arabischer Sprache durch den Saal. Die Wachtmeister müssen eingreifen.
Der Grund: Verteidigerin Busse hatte es gewagt, während der Aussage eines Zeugen nicht nur diesen, sondern auch die Zuschauer aus den Reihen der Al-Zeins anzugucken.

Der 34-jährige Angeklagte (Mitte) sitzt zu Prozessbeginn zwischen seinen Anwälten Dinah Busse (links) und Dirk Meinicke im Schwurgerichtssaal in Stade. Foto: Pool/dpa
Das empfanden diese als Provokation. Als die Verhandlung fortgesetzt wird, droht Paarmann den arabischstämmigen, teils muskulösen männlichen Zuschauern: „Sie haben im Gerichtssaal nichts zu sagen. Sie schweigen, sonst müssen Sie raus.“
Vorsitzender Richter wirft Zeugen eine Falschaussage vor
Verteidiger Meinicke bohrt immer wieder nach. Die Zeugen standen hinter der Schaufensterscheibe oder auf dem Bürgersteig, doch von der blutigen Auseinandersetzung will keiner entscheidende Details mitbekommen haben. Sie hätten in der Spülküche oder auch am Dreh-Spieß weiterarbeiten müssen. Außerdem mische man sich in Deutschland nicht ein.
Richter Paarmann wirft Zeugen eine „Falschaussage“ vor. Sie redeten Quatsch. Er sagte: „Es ist sehr unwahrscheinlich, dass Sie gar nichts gesehen haben.“ Meinicke vermutet, dass Zeugen eingeschüchtert worden sind. Einigen stehe die Angst ins Gesicht geschrieben.
Der Prozess wird am Mittwoch, 5. März, ab 9.30 Uhr fortgesetzt.

Mord oder Totschlag, diese Frage muss das Gericht im Stader Clan-Prozess klären. Foto: Vasel