TBauernproteste: Die größten Lügen im Internet

Landwirte demonstrieren mit ihren Trecker. Foto: Christian Charisius/dpa/Symbolbild Foto: Patrick Pleul/dpa
Kein Thema polarisiert derzeit so stark wie die Bauernproteste. In den Sozialen Netzwerken verbreiten sich Hunderte Meldungen rasend schnell. Vieles soll absichtlich Stimmung machen. Sechs Beispiele.
1) Reichstag mit Gülle besprüht?
Im Rahmen der Protestwoche der Landwirtinnen und Landwirte in Deutschland kursieren in den sozialen Medien eine Vielzahl an Videos. Darunter ist auch ein Clip, der angeblich zeigen soll, wie der Reichstag mit Gülle besprüht wird. Stammen die Aufnahmen wirklich aus Berlin?
Bewertung: Nein, die Aufnahmen stammen von einem Bauernprotest in Frankreich im Jahr 2014.
Fakten: Deutlich sind die baulichen Unterschiede zum Reichstagsgebäude zu sehen. In dem Video sind zum Beispiel Gitter vor den Fenstern im Erdgeschoss zu erkennen, am Reichstagsgebäudes gibt es hingegen keine. Weitere Merkmale, wie die Größe der Fenster, beweisen, dass es sich nicht um eine Szene vor dem Deutschen Bundestag handeln kann.
Mithilfe einer Bilderrückwärtssuche lässt sich herausfinden, woher das Video wirklich stammt. Sie führt unter anderem zu einem Youtube-Video in besserer Qualität und mit mehr Details. Zu sehen sind darin eine Menschenmenge und unter anderem eine weiße Flagge mit einem grünen Emblem. Dabei handelt es sich um die französische Bauernvereinigung FNSEA, die dem deutschen Bauernverband ähnelt.
Weitere Ergebnisse ergeben dann den Ort des Videos. Es handelt sich um ein Verwaltungsgebäude in der französischen Stadt Châlons-en-Champagne, die im Nordosten des Landes liegt und Hauptstadt des Departements Marne ist. Google-Street-View-Aufnahmen zeigen die Fassade des Verwaltungsgebäudes, die auch in dem verbreiteten Video zu sehen ist.
Eine Google-Suche ergibt mehrere französische Artikel, die von dem Vorfall berichten. Demnach ereignete sich der Vorfall bereits am 5. November 2014 bei Protesten von Bauern und war längst nicht die einzige Protestaktion an diesem Tag.
Demonstrationen
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2) Hamburger Verkehrskameras wegen Bauernprotesten abgeschaltet?
User sehen in einem Hinweis auf einem Verkehrsportal den Beleg für eine Verschwörung. Bürgerinnen und Bürger können sich online über die Verkehrssituation in Hamburg informieren. Auf ihrer Webseite veröffentlicht die Stadtverwaltung normalerweise auch aktuelle Bilder von Verkehrskameras. Doch aktuell sehen Interessierte dort nur diesen Hinweis: „Aufgrund von technischen Umstellungen und politischen Vorgaben stehen die Kamerabilder aktuell nicht zur Verfügung. Wann wieder Kamerabilder zur Verfügung stehen werden, ist noch nicht absehbar.“
„Politische Vorgaben“? In sozialen Netzwerken wittern User eine Verschwörung und behaupten, die Bilder seien aufgrund des bundesweiten Bauernprotestes abgeschaltet worden. So solle verhindert werden, dass andere Personen die Aktionen mitverfolgen können. Das deutet auch der Moderator in einem Video des österreichischen Online-TV-Senders „Auf 1“ mit Verweis auf Hamburg an. Ist das wirklich der Hintergrund der Abschaltung?
Bewertung: Falsch und irreführend: Hamburg veröffentlicht aktuell keine Bilder der Verkehrskameras aufgrund von Sicherheitsbedenken im Zuge des Ukraine-Krieges. Im März 2022 hatte das Bundesverkehrsministerium zudem mitgeteilt, dass die Kameras der Autobahn GmbH des Bundes derzeit für die Öffentlichkeit nicht zur Verfügung stehen.
Fakten: Die Karte mit dem Hinweis, der in mehreren Posts als Screenshot verbreitet wird, stammt von einem Portal der Stadt Hamburg. Die Deutsche Presse-Agentur hat bei der Stadtverwaltung nachgefragt, was mit den „politischen Vorgaben“ konkret gemeint ist.
Ludger Kühnhenrich, zuständig für das Datenmanagement in der Hamburger Behörde für Verkehr und Mobilitätswende, erklärte: Die Kameras seien wegen Sicherheitsbedenken im Zuge des Überfalls von Russland auf die Ukraine bereits Anfang März 2022 abgeschaltet worden, damit beispielsweise mögliche Truppenbewegungen des Militärs nicht weltweit übertragen werden. „Die Abschaltung des Livestreams hat somit deutlich vor den Protesten der Bauern stattgefunden und ist vollkommen unabhängig davon erfolgt“, teilte Kühnhenrich mit.
Bauernproteste
Bauernproteste: Sternfahrt der Stader Landwirte nach Hamburg
Vor dem Hintergrund des russischen Angriffskriegs in der Ukraine werden derzeit auch keine Live-Bilder deutscher Autobahnen mehr im Internet veröffentlicht. Bereits im März 2022 berichtete die Zeitung „Hamburger Morgenpost“ auf Grundlage einer dpa-Meldung darüber. Das Bundesverkehrsministerium hatte damals auf Anfrage mitgeteilt, dass die Verkehrskameras der Autobahn GmbH des Bundes „aufgrund der aktuellen sicherheitspolitischen Entwicklungen in Europa“ derzeit nicht zur Verfügung stehen. Ein Sprecher der Autobahn GmbH des Bundes bestätigte am 10. Januar, dass sich daran nichts geändert habe.
3) Feuerwehrwagen mit Spruch zu Bauernprotesten ist ausgemustert
Viele Menschen in Deutschland haben sich mit der landesweiten Protestwoche der Bauern gegen Sparpläne der Regierung solidarisiert. In dem Zusammenhang kursiert ein Bild auf Facebook das zeigen soll, dass auch die Feuerwehr auf Seiten der Bauern steht. Auf der Rolltür am Heck eines Tanklöschfahrzeugs ist zu lesen „Leute ohne Ahnung wollen uns regieren, deshalb fahren wir demonstrieren. Ampel, nein DANKE!“ Ein Video soll zudem beweisen, dass auch die amerikanische Feuerwehr auf deutschen Straßen mit den Bauern demonstriert.
Bewertung: Die Behauptungen sind falsch. Beide Feuerwehrfahrzeuge gibt es zwar. Sie sind aber nicht mehr im Einsatz und gehören mittlerweile Privatpersonen.
Fakten: Der Ausschnitt des Fotos des deutschen Feuerwehrwagens ist so gewählt, dass außer dem Fahrzeug selbst kaum etwas zu erkennen ist. Es steht auf einer Straße und ein kahler Baum lässt darauf schließen, dass es zumindest in der gleichen Jahreszeit aufgenommen wurde, in der die Bauernproteste Anfang Januar stattfanden.
Was zu erkennen ist, sind das Kennzeichen und der Funkrufname des Tanklöschfahrzeugs (TLF). Dass beide nicht zusammenpassen, darauf weisen bereits mehrere Nutzer auf der Social-Media-Plattform X (vormals Twitter) unter Posts mit dem gleichen Bild hin: Das Kennzeichen DL wird in der Stadt Döbeln und dem Landkreis Mittelsachsen in Sachsen verwendet.
Zudem handelt es sich hierbei nicht um ein normales Kennzeichen, sondern ein rotes Kennzeichen, umgangssprachlich als „Händlerkennzeichen“ bekannt. Es darf also nicht regulär im Straßenverkehr verwendet werden, sondern zum Beispiel nur für Überführungsfahrten. Es ist also unwahrscheinlich, dass die Feuerwehr für regelmäßige Einsätze nur ein eingeschränktes Kennzeichen nutzt.
Der Kreisfeuerwehrverband Mittelsachsen weist auf dpa-Anfrage zudem darauf hin, dass dem Wagen feuerwehrtechnische Ausrüstung wie eine Feuerwehrleiter im Alubehälter auf der rechten Seite des Daches fehlt. Deshalb vermute man stark, dass es sich hierbei nicht um ein aktives Feuerwehrfahrzeug handelt.
Herkunft des Feuerwehrautos: Auf der Halterung des Kennzeichens ist der Name eines Autohändlers aus Mittelsachsen zu erkennen. Der Autohändler sagte der dpa, der Wagen sei kein aktives Feuerwehrfahrzeug mehr. Man habe alle Hinweise auf die Stadt Rheine entfernt, allerdings nicht gewusst, dass der Funkrufname auch auf die Stadt hinweise.
Der Autohändler gibt an, das Fahrzeug am 8. Januar 2024 - dem Tag eines Bauernprotests in Berlin - für eine Probefahrt einem Kunden übergeben zu haben. Es ist also möglich, dass der Kunde mit dem Fahrzeug an einem Bauernprotest teilgenommen hat. Der Autohändler bestätigte der dpa zudem, dass der Schriftzug gegen die Bundesregierung noch an der Rolltür des Hecks gestanden habe, als das Fahrzeug zurückgegeben wurde. Inzwischen habe er ihn beseitigt. Der Spruch ist also echt, zeigt aber keine Aussage einer deutschen Feuerwehr, sondern die einer Privatperson.
Das amerikanische Feuerwehrauto: Um die These, dass die Feuerwehr sich mit den Bauernprotesten solidarisiere, zu untermauern, hat ein X-User unter dem Foto des deutschen TLF ein Video mit einem weiteren Feuerwehrfahrzeug veröffentlicht. Auf diesem nimmt ein amerikanischer Feuerwehrwagen augenscheinlich an einem Bauernprotest teil. Auch die „Amis“ würden nun mit protestieren, so der X-User. Das Fahrzeug allerdings hat ein deutsches Kennzeichen mit dem „H“ für Oldtimer. Nach Auskunft der Freiwilligen Feuerwehr Falkensee steht dieses Fahrzeug zwar in einer Halle der Feuerwehr, gehört aber einem Privatmann.
Der Privatmann bestätigte auf dpa-Anfrage, dass er bei einem Bauernprotest am 8. Januar 2024 auf der Straße des 17. Juni in Berlin teilgenommen hat - so wie auch andere Spediteure und Privatleute mit ihren Fahrzeugen. Sein Wagen gehöre aber nicht zur aktiven Feuerwehr. Der Oldtimer, der beim Einsatz nach den Anschlägen auf das World Trade Center am 11. September 2001 beteiligt gewesen sei, würde gar nicht deutschen Standards entsprechen. Bei dem Protest habe er auch weder Feuerwehr noch Polizei unter den Beteiligten gesehen. Die Behauptung, die amerikanische Feuerwehr habe mitprotestiert, sei daher „an den Haaren herbeigezogen.“
4) Bauernprotest-Clips mit Gesang aus Fußball-Stadion unterlegt
Schon am Abend vor der deutschlandweiten Aktionswoche gegen die von der Bundesregierung geplanten Subventionskürzungen im Agrarbereich machen Landwirte ihrem Unmut Luft. Mal sollen sie am 7. Januar 2024 an der Ostsee in Wolgast oder in Stralsund „Wir haben die Schnauze voll“ gesungen haben, mal in Berlin. Ein andermal sollen es Menschen aus Sachsen gewesen sein.
Bewertung: Falsch. Das Videomaterial wurde mit der Tonspur eines Fußballspiels unterlegt. Die Filmaufnahmen stammen aller Wahrscheinlichkeit nach aus dem bayerischen Deggendorf.
Fakten: Ein weit verbreitetes Phänomen in sozialen Medien ist es, einen beliebigen Clip mit dem Fan-Gesang „Wir haben die Schnauze voll“ zu unterlegen.
So bekommt plötzlich eine Demonstration im Heilbad Heiligenstadt (Thüringen, Demo-Ort hier) einen hörbaren Ausdruck der geschlossenen Unzufriedenheit. Eine Influencerin drückt damit ihre Laune auf einem Fitness-Gerät aus. Oder ein AfD-Anhänger begleitet ein Video von Bundeskanzler Olaf Scholz im sachsen-anhaltinischen Hochwassergebiet mit den Schmährufen. Eine Seite auf Tiktok zeigt noch viele weitere Beispiele mit immer denselben Rufen.
Die Tonspur stammt aus einer jahrealten Sammlung an Fan-Gesängen des Fußball-Bundesligisten VfL Bochum. Auf dem Musik-Streamingdienst Spotify ist die entsprechende Kollektion seit 2016 abrufbar. Beim Anbieter Amazon zeigt eine Song-Vorschau, dass es sich dabei um denselben Titel wie in den Videos handelt.
Bauernproteste
T Massive Kritik an den Ampel-Galgen im Kreis Stade
Demonstration
T Aufruf zum Widerstand: Kritk an Protest-Plakat von Bauern
5) Erwägt die Bundeswehr einen Einsatz gegen die Proteste der Landwirte?
In zahlreichen deutschen Städten kommt es zu Störungen und Blockaden durch protestierende Bäuerinnen und Bauern. Auf Facebook wird nun ein Video verbreitet, in dem der Generalinspekteur der Bundeswehr, Carsten Breuer, erklärt: „Im Falle einer Alarmierung stehen alle verfügbaren Bundeswehrkräfte sofort zur Unterstützung von Polizeikräften bereit.“ Posts wie dieser erwecken den Anschein, dass sich Breuer so in Bezug auf die Bauernproteste Anfang Januar 2024 geäußert hat.
Bewertung: Falsch. Das Video ist mehr als zwei Jahre alt. Der heutige Generalinspekteur spricht darin von einer möglichen Zusammenarbeit der Bundeswehr mit der Polizei im Falle eines Terroranschlags.
Fakten: Der Ausschnitt stammt aus einer Rede, die Carsten Breuer - damals noch Generalmajor der Bundeswehr - am 6. Oktober 2021 im Rahmen der Anti-Terror-Übung „Geotex 2021“ in Hof hielt. Seine Sätze sind nicht im Zusammenhang mit den Bauernprotesten gefallen. Breuer trat am 17. Mai 2023 sein Amt als Generalinspekteur der Bundeswehr an.
Polizei und Bundeswehr probten bei der Übung in der fränkischen Stadt ihre Zusammenarbeit bei einem möglichen terroristischen Anschlag. Es ging dabei nicht um einen Einsatz gegen Protestierende.
Das wäre nach dem Grundgesetz auch nur in einer Ausnahmesituation wie der Abwehr einer „drohenden Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes“ möglich.
6) Beitrag zu Bauernprotesten stammt nicht von Donald Trump
Donald Trump löst gerne Kontroversen aus. Beliebtes Mittel dazu war lange Zeit sein Account auf der Plattform X (ehemals Twitter). Botschaften, die er dort veröffentlicht, verbreiten sich meist in der ganzen Welt. In einem Facebook-Post entsteht nun der Eindruck, der ehemalige US-Präsident habe sich zu den Bauernprotesten in Deutschland geäußert. „Deutsche Bauern haben sich zum größten Protest in der Geschichte gegen ihre Regierung und das Weltwirtschaftsforum versammelt“, soll er geschrieben haben. Der vermeintliche Beweis soll der Screenshot eines X-Posts mit dem Text sein - ein Foto von Trumps Kopf ist jedenfalls zu sehen. Ist die Nachricht echt?
Bewertung: Der abgebildete Post stammt nicht von Trumps echtem Account.
Fakten: Der Screenshot zeigt keine echten Äußerungen Trumps: Er bildet einen Beitrag auf X ab, der nicht von Trump stammt. Das verrät der Name des Accounts, der im Sharepic nicht ausgeschrieben zu sehen ist: „Donald J. Trump News“. Auf dem Profil werden also in erster Linie Neuigkeiten zu Trump gesammelt. In der Account-Beschreibung steht: „No Affiliation“ (deutsch: Keine Zugehörigkeit), was im Englischen meint, dass zwischen zwei Institutionen kein Zusammenhang besteht. Hier also zwischen dem News-Account und Donald Trump persönlich.
Hätte sich der ehemalige US-Präsident tatsächlich zur deutschen Innenpolitik geäußert, wäre darüber sehr wahrscheinlich von Medien berichtet worden. Entsprechende Berichterstattung lässt sich aber nicht finden. Heißt: Der Post bei X zeigt keine echten Äußerungen von Donald Trump zu den Bauernprotesten.
Der echte Account von Donald Trump auf X lautet „realDonaldTrump“. Dort war er zeitweise gesperrt. Als er nach Aufhebung der Sperre im Sommer 2023 erstmals wieder einen Post auf X veröffentlichte, berichteten Medien darüber. Auf dem echten Account sind keine Posts zu sehen, die mit den Bauernprotesten in Deutschland zusammenhängen. So ist das auch bei seinem Account auf der von ihm mitbegründeten Online-Plattform Truth Social. (dpa)