TDenkmalschützerin: „Beim Abriss der Sternbrücken-Häuser kamen mir die Tränen“

Kristina Sassenscheidt im neuerdings denkmalgeschützten Parkhaus am Rödingsmarkt. Foto: Inga Sommer
Ihre Rettungsversuche sind oft zum Scheitern verurteilt: Kristina Sassenscheidt leitet die Geschicke des Denkmalvereins. Sei es der Kampf um die Köhlbrandbrücke und Sternbrücke - an Beispielen für akut gefährdete Denkmäler fehlt es ihr jedenfalls nicht.
Hamburg. Frau Sassenscheidt, ist die Köhlbrandbrücke noch zu retten?
Wir gehen fest davon aus, dass man sie retten könnte. Wir haben eine Petition ins Leben gerufen und fordern eine ergebnisoffene und unabhängige Prüfung, ob und wie die Brücke erhalten und weitergenutzt werden kann. Denn diese Variante ist bis heute nicht ernsthaft geprüft worden, obwohl die Hamburg Port Authority mehrfach gesagt hat, dass ein Erhalt möglich ist, wenn man die Brücke vom Schwerlastverkehr befreit. Der Hauptgrund für den geplanten Abriss ist eine größere Durchfahrtshöhe, deren Notwendigkeit wir Denkmalschützer, aber auch diverse Hafenexperten und -expertinnen in Frage stellen. Ist es wirklich sinnvoll und erforderlich, geschätzt über eine Milliarde Euro Mehrkosten für einen Neubau auszugeben, nur damit einer von vier Terminals in Hamburg von Großschiffen angefahren werden kann? Wir denken, nein.
Der Senat scheint dennoch wild entschlossen, abzureißen. Was macht Ihnen Hoffnung?
Ich glaube, der Faktor Zeit spielt für die Brücke und generell für Denkmäler. Die Köhlbrandbrücke wird bis zur Fertigstellung einer neuen Querung erhalten bleiben müssen. Es gibt ein zunehmendes Bewusstsein auch für die ökologischen Werte von Bauwerken und eben auch dieser Brücke, die aus großen Mengen Stahl und Beton besteht. Hinzu kommt die hafenwirtschaftliche Entwicklung in Hamburg, die seit Jahren stagniert. Im nächsten Jahr wird die neue Bürgerschaft gewählt. Danach kann die Debatte auch wieder ganz anders verlaufen.
Sie bemühen einen großen Vergleich und sagen, beim Michel käme auch niemand auf die Idee, ihn abzureißen…?
Genau. Wobei: Noch lieber vergleichen wir die Köhlbrandbrücke als Ingenieurbauwerk mit der Golden Gate Bridge oder der Brooklyn Bridge.
Was ist an der Brücke so bedeutend, dass sie auf jeden Fall stehenbleiben sollte?
Sie ist eine ingenieurbautechnische Meisterleistung von internationalem Rang und steht aufgrund ihrer hohen architektonischen Qualität unter Denkmalschutz. Sie ist stadtbildprägend und eines der wichtigsten Hamburger Wahrzeichen. Dass sie sehr vielen Menschen am Herzen liegt, merken wir nicht zuletzt an unserer Petition, die inzwischen mehr als 25.000-mal unterschrieben wurde.
Auch den Abriss der Sternbrücke und die Pläne für den Neubau lehnen Sie ab. Was entgegnen Sie Menschen, die sagen: „Sternbrücke? Ach, die ist doch so hässlich…“
Denen sage ich, dass es im Denkmalschutz nicht um Schönheit geht, sondern um geschichtliche Werte. Im Fall der Sternbrücke geht es um Stadtentwicklungsgeschichte, um Verkehrsgeschichte, um die historische Verbindung zwischen Hauptbahnhof und dem Altonaer Bahnhof. Das Besondere ist, dass die Brücke in den 1920er Jahren zwischen die bestehenden Gründerzeitgebäude gebaut wurde, das war eine unglaubliche Leistung. Da fragt man sich schon: Wenn schon eine neue Brücke, warum kriegt man das nicht genauso behutsam hin wie die Ingenieure vor über 90 Jahren, sondern reißt jetzt alle angrenzenden Altbauten ab und fällt zahlreiche Bäume?
Sie finden die Sternbrücke schön?
Das ist definitiv eine schöne Brücke. Ich liebe diesen Ort. Ein Ort, wo Hamburg unglaublich großstädtisch ist, der könnte in London oder Paris liegen. Die Brücke und ihre Umgebung haben Patina, eine Aura und gerade abends eine sehr besondere Lichtstimmung.
Der Abriss der umgebenden Häuser hat längst begonnen. Tut es der professionellen Denkmalschützerin auch persönlich weh, das zu sehen?
So sehr Fachfrau kann und will ich nie werden, dass mir das nicht wehtut. Tatsächlich habe ich mich vor eines der Gründerzeitgebäude direkt an der Brücke gesetzt, als es abgerissen wurde. Ich wollte es eigentlich nur für die sozialen Medien dokumentieren – und dann sind mir echt Tränen gekommen, weil ich das so schrecklich fand. Das ist einfach ein brutaler Akt der Stadtentwicklung.
Fehlt Entscheidern bei Stadt und Bahn die Sensibilität für den Wert solcher Bauwerke?
Um die Brücke fand ein Kulturkampf statt: Auf der einen Seite Menschen, die sich für Geschichte und Atmosphäre dieses urbanen Ortes einsetzen und natürlich auch für die Musik- und Clubkultur drum herum. Auf der anderen Seite die Logik von Bahningenieuren und Verkehrsplanern mit ihren Normen und Pkw-Zahlen. Das hat schon mit Geschichtsvergessenheit zu tun, auch im Senat. Und mit Arroganz der Macht.
Es gibt das Wort von der Freien und Abrissstadt Hamburg. Geht Hamburg besonders rigoros mit seiner historischen Bausubstanz um?
Hamburg ist rigoros, ich könnte aus dem Stegreif zig Beispiele nennen. Aber natürlich gibt es europaweit in Großstädten ähnliche Probleme, weil der Entwicklungsdruck hoch ist.
Ist Denkmalsschutz in Wahrheit immer dann nichts wert, wenn sich mit der Neubebauung mehr Geld verdienen lässt?
Ja, leider rechnet es sich oftmals noch, Altes abzureißen und Neues zu bauen. Die Politik muss deshalb die bauwirtschaftlichen Rahmenbedingungen deutlich bestandsfreundlicher gestalten. Etwa durch Steuererleichterungen bei Erhalt. Aber auch das Bauordnungsrecht ist viel zu stark auf Neubau ausgerichtet. Es ist deswegen oft schwierig, einen Altbau an aktuelle Regelwerke anzupassen, etwa bei Brand- oder Schallschutz.
Man sollte denken, im Denkmalschutz zeige sich der staatliche Wille, ein Bauwerk zu schützen, um es für die Nachwelt zu bewahren. Immer wieder hebt die Politik dann aber den selbst vergebenen Schutzstatus wieder auf. Wie empfinden Sie diesen Widerspruch?
Das ist tatsächlich eine unserer größten Herausforderungen. Und deswegen ist unser Verein als wichtigste politisch unabhängige Stimme für Denkmalschutz in Hamburg auch so unverzichtbar. Leider lässt die Stadt sogar Denkmäler verfallen, die ihr selbst gehören.
Einwand: Eine Stadt muss sich doch entwickeln können. Wenn nichts abgerissen würde, sähe Hamburg in 100 Jahren noch so aus wie vor 100 Jahren. Ist das kein Argument?
Nein. Nur zwei bis drei Prozent aller Bauwerke in Hamburg stehen unter Schutz. Gerade eine Stadt wie diese, die nicht zu den ärmsten Städten in Deutschland gehört, sollte daher in der Lage sein, mit ihrer Baukultur sorgsam umzugehen.
Ist Denkmalschutz der Bevölkerung tatsächlich wichtig? Oder ist das zumeist eher ein Thema für die Fachöffentlichkeit?
Die öffentliche Wertschätzung, insbesondere für die älteren Gebäude, ist in Hamburg sehr hoch. Ich glaube, das wäre noch ausgeprägter, wenn der Denkmalschutz konsequenter umgesetzt würde und es mehr Beteiligung der Bevölkerung geben würde, so wie zum Beispiel in der Schweiz. Politisch ist Denkmalschutz zu wenig wirksam, und genau daran arbeiten wir.
Warum sind Sie Denkmalschützerin geworden?
Ich bin in Hamburg-Eppendorf aufgewachsen und war immer schon ein Altbau-Fan, deswegen habe ich auch Architektur studiert. Als ich mitbekam, wie immer wieder Gebäude abgerissen wurden, die mir am Herzen lagen, hat mich das wirklich verzweifelt gemacht. Vor meinem Studium war ich vor allem Gründerzeit-Fan, aber der Blick verändert sich: Inzwischen finde ich auch viele jüngere Gebäude aus den 80er oder 90er Jahren toll. Mit Neubauten kann ich meistens allerdings immer noch nicht so viel anfangen. Die müssen wohl erst mal 30 Jahre alt werden (lacht).
Sie haben zunächst im Denkmalschutzamt gearbeitet. Warum der Wechsel zum Verein?
Im Denkmalschutzamt stößt man sehr schnell an kommunikative Grenzen. Wenn es politisch wird, also Interessen anderer Behörden eine Rolle spielen und Konflikte auftreten, sind wir als bürgerschaftlicher Verein deutlich freier als ein Amt.
Ist der Job mehr Frust oder Freude?
Eine gewisse Frustrationstoleranz muss man schon entwickeln. Aber: Grundsätzlich macht mir die Arbeit sehr viel Freude. Das hat vor allem mit der positiven Stimmung im Verein zu tun, mit unserem tollen Vorstand, mit unseren engagierten Arbeitsgruppen und Mitgliedern.
Tatsächlich wird ja nicht alles abgerissen. Was betrachten Sie als Ihre größten Erfolge?
Um ein Denkmal zu retten, müssen sich ja immer Menschen auf allen möglichen Ebenen dafür engagieren. Mein bislang größtes Erfolgserlebnis lag noch vor meiner Zeit im Denkmalverein. Das war der Erhalt des Gängeviertels, für den ich hinter den Kulissen sehr engagiert war. Die ganze Debatte damals war extrem wichtig, und ich glaube, sie hat wirklich etwas bewegt in den Köpfen vieler Hamburger und Politiker. Der jüngste Erfolg, und da haben sich auch viele gemeinsam eingesetzt, ist vermutlich der Erhalt des Café Seeterrassen in der denkmalgeschützten Parkanlage Planten un Blomen.
Außer Köhlbrand- und Sternbrücke: Um welche Bauwerke fürchten Sie in Hamburg aktuell am meisten?
Die Norderelbbrücke. Die Bahn hat gerade angekündigt, die historische Eisenbahnbrücke aus den 1920er Jahren abzureißen und durch einen Neubau zu ersetzen. Dabei geht das Denkmalschutzamt von der Erhaltungsfähigkeit aus. Eigentlich soll die Bahn deshalb noch eine Sanierungsvariante prüfen, doch zuletzt war davon keine Rede mehr. An dem Thema sind wir dran, denn hier ist wieder ein wichtiges Ingenieurbauwerk bedroht.
Gibt es weitere Sorgenkinder?
Man muss sich immer Sorgen machen um die jüngsten Denkmäler, weil deren gesellschaftliche Anerkennung noch nicht so groß ist. Also alles aus den 70ern, auch mal aus den 80er und 90er Jahren, wo viele sagen: Was soll daran denn erhaltenswert sein?
Sie waren 2008 eine von zwei „Kanzlerkandidatinnen“ der Satirepartei Die Partei. Wie kam’s dazu?
Ich war immer schon „Titanic“-Abonnentin und es war Ehrensache, mich für Die Partei zu engagieren – wobei ich nicht mit einer so steilen politischen Karriere gerechnet hatte. Ich habe damals vor allem die wichtige Erfahrung gemacht, dass mir Öffentlichkeitsarbeit Spaß macht. Allerdings ging das Ganze nur ein paar Wochen.
Hilft Satire bei der Tätigkeit als Denkmalschützerin?
Manchmal ja. Wir haben als Denkmalverein auf Facebook mal zu einem Ideenwettbewerb für die neue Sternbrücke aufgerufen, und ein befreundeter Architekt hat in die Brücke ein Kreuzfahrtschiff oder ein gebratenes Hähnchen montiert, um damit zum Ausdruck zu bringen, wie absurd diese Neubaukonstruktion der Bahn ist. Das ging damals viral, ganz viele Leute haben dann quatschige Bildmontagen gepostet und es war total lustig. Manchmal ist es halt besser, zu lachen als zu weinen.
Zur Person
Kristina Sassenscheidt ist eine Hamburger Deern, aufgewachsen in Eppendorf. Sie studierte Architektur in Berlin, baute anschließend die Öffentlichkeitsarbeit im Hamburger Denkmalschutzamt auf. Nach der Elternzeit wechselte die Diplom-Ingenieurin vom behördlichen zum privaten Denkmalschutz, engagierte sich für die Genossenschaft Fux eG und für den Erhalt der ehemaligen Viktoria-Kaserne in Altona. 2016 wurde Sassenscheidt Vorsitzende des Denkmalvereins Hamburg, drei Jahre später übernahm sie dort den neu geschaffenen Posten als hauptamtliche Geschäftsführerin. Unter ihrer Führung ist der Verein in der Öffentlichkeit präsenter denn je, die Zahl der Mitglieder hat sich auf etwa 800 vervierfacht. 2023 erhielt die 46-Jährige den Deutschen Preis für Denkmalschutz für ihren Podcast „Denkmal im Wandern“ (mehr als 40.000 Nutzer). Sassenscheidt hat einen neunjährigen Sohn und lebt mit ihrer Familie in Altona Nord.
Persönliches: Bitte vervollständigen Sie...
Das schönste Gebäude der Welt … gibt es für mich nicht, aber zuletzt sehr beeindruckt hat mich das Atomium in Brüssel mit seinem hinreißenden Retro-Futurismus aus den 1950er Jahren.
Das schönste Denkmal in Hamburg ist für mich … die Köhlbrandbrücke.
Sofort unter Denkmalschutz stellen würde ich in Hamburg … Karstadt Osterstraße.
Ich könnte gut verzichten auf … so einige Neubauten.
Längst mal wieder wollte ich … vom Fernsehturm runtergucken.
Kaputtlachen kann ich mich über … die Sprüche von unserem neunjährigen Sohn.
Der beste Rat meines Vaters war … „Um beruflich Erfolg zu haben, braucht man die richtige Mischung aus Leidenschaft und Hartnäckigkeit.“
Mein Partner mag an mir besonders, … dass ich ihm immer wieder neue Impulse gebe.