TDer ewige Dirk Leun feiert 60. Geburtstag: „Ein Glücksfall für den BSV“

Dirk Leun wird von seinen Weggefährten nicht nur wegen seiner sportlichen Expertise geschätzt. Foto: Jan Iso Jürgens
Kein Trainer im deutschen Bundesliga-Handball ist länger im Amt als BSV-Coach Dirk Leun, der heute 60 wird. Wie er zum Trainer-Dino wurde, wie er Menschen prägte, warum er der perfekte Telefonjoker wäre. Sein Leben in sieben Episoden.
Berufung an der Seitenlinie
Dirk Leun wurde im hessischen Lich geboren und wuchs auf einem kleinen Bauernhof in Heuchelheim an der Lahn auf, wo er mit Til Schweiger zur Schule ging.
Leun spielte zunächst Fußball, aber das machte ihm keinen Spaß, weil auf dem großen Feld zu wenig passierte. Beim Handball war das anders. Er spielte in der Oberliga, aber seine Berufung fand er an der Seitenlinie.

Clarissa Wunsch-Gros spielte zehn Jahre unter Leun. Foto: privat
Clarissa Wunsch-Gros: „Dirk hat uns 1987 beim TV Hüttenberg in der C-Jugend übernommen. Es war seine erste Trainerstation und wir waren gleich sehr erfolgreich. In der A- und B-Jugend wurden wir als Dorfverein Deutscher Meister.
Vielleicht lag es daran, dass wir mehr gemacht haben als andere. Wir haben bis zu sechs Mal in der Woche trainiert, sogar an Karfreitag und Silvester. Doch das war kein Problem für uns. Sein Training war sehr durchdacht. Dirk hat sich überall etwas abgeschaut - beim skandinavischen Handball oder bei Doc Gerlach in Lützellinden, wo er Jugendkoordinator war.
Wir haben kaum Spiele verloren. Aber ich werde nie vergessen, wie wir nach einem hohen Sieg den Anschiss unseres Lebens bekommen haben. Für Dirk war nicht entscheidend, dass wir gewonnen haben, sondern wie wir gespielt haben. Im ersten Moment war das hart, aber wir haben es akzeptiert, weil wir mit ihm so erfolgreich waren.
Diese zehn Jahre haben mich sehr geprägt. Meine Mutter hat immer gesagt: Der Dirk hat dich miterzogen. Noch heute gehöre ich zu den diszipliniertesten Menschen in meinem Bekanntenkreis.“
Reporterleben in Wetzlar
Dirk Leun brach sein BWL-Studium ab. Seine wahre Leidenschaft war der Handball. Er trainierte verschiedene Vereine, arbeitete für den hessischen Verband und den DHB. Und, was die wenigsten wissen: Er verdiente sein Geld auch als Journalist bei der Lokalzeitung in Wetzlar.

Alexander Fischer leitete die Sportredaktion der „Wetzlarer Neue Zeitung“. Foto: privat
Alexander Fischer: „Mitte der Neunziger kam der Dirk als freier Mitarbeiter zu mir in die Sportredaktion. Er berichtete am Wochenende über die Bezirksoberliga, baute Zeitungsseiten und war um 23 Uhr der Letzte, der die Redaktion verließ. Seine Berichte hatten Hand und Fuß und deshalb - das darf man eigentlich nicht laut sagen - mussten wir sie nie gegenlesen.
Ich habe in dieser Zeit einen Menschen erlebt, der im Redaktionstrubel immer ruhig, besonnen und professionell war, der auch etwas von Kultur, Theater und Büchern verstand und überhaupt sehr gebildet war. Wenn ich bei Jauch auf dem Stuhl säße, würde ich Dirk als Telefonjoker nominieren.
Wir haben uns nicht nur als Kollegen gut verstanden. Ich weiß noch, wie ich Gast auf seiner Hochzeit war und dort die Band mit dem verrückten Namen U-Bahn-Kontrolleure in tiefgefrorenen Frauenkleidern spielte. So etwas vergisst man nicht. Ich habe es sehr bedauert, dass Dirk weggegangen ist.“Dirk Leun wird 60
Ein Vertrag auf Lebenszeit
Die Trainersuche im Jahr 2008 war groß angelegt. Der BSV sprach auch mit Kandidaten aus den Niederlanden und Dänemark, doch Geschäftsführer Peter Prior und Gesellschafter Michael Schmidt entschieden sich für den Mann aus Heuchelheim.

Michael Schmidt (Mitte), hier mit den heutigen BSV-Geschäftsführern Timm Hubert (links) und Peter Prior, stammt wie Dirk Leun aus Hessen. Foto: Jan Iso Jürgens
Michael Schmidt: „Wir haben uns mit Dirk auf halber Strecke in Kassel getroffen und unsere Vision mit ihm besprochen. Wir wollten einen Trainer, der nicht nur den Bundesliga-Handball im Blick hat, sondern auch die Nachwuchsförderung. Das Gespräch verlief positiv.
Wir hatten sofort einen guten Draht zueinander. Denn ich komme aus Gießen und Dirk aus dem Vorort Heuchelheim. Dort hat er seine Schulhefte im Schreibwarenladen meiner Schwägerin gekauft. Nach ein paar Tagen Bedenkzeit waren wir uns einig.“
Am 12. März 2008 verkündete das TAGEBLATT den Namen des neuen Trainers: Dirk Leun, damals 43 Jahre alt.
Michael Schmidt: „Dirk wohnte zuerst in einer kleinen Wohnung am Petriplatz. Wenn es passte, fuhr er nach Hessen, um etwas Zeit mit seiner Familie zu verbringen. Aber das konnte kein Dauerzustand sein.
Wir suchten eine Bleibe für die Familie und gaben Dirk einen unbefristeten Vertrag. 2011 wurden wir fündig. Ich habe eine denkmalgeschützte Villa in der Stader Straße gekauft und renoviert. Mit vier Kindern braucht man Platz.
Dirk und der Verein wussten, was sie aneinander hatten. Er hat ein sehr gutes Händchen dafür, Spielerinnen zu integrieren und Talente in die Mannschaft einzubauen. Und wo gibt es schon einen Bundesligatrainer, der gleichzeitig Jugendmannschaften trainiert?“
Was damals wohl niemand ahnte: Es war bis heute die letzte Trainersuche beim BSV. Leun ist damit der dienstälteste Trainer im deutschen Bundesliga-Handball.
Michael Schmidt: „Eine ernsthafte Situation, in der wir einen neuen Trainer gesucht haben, gab es nie. Wenn etwas nicht gepasst hat, haben wir mit ihm immer eine gute Lösung gefunden. Dirk ist ein Glücksfall für den BSV.“
Liebevoller Familienvater
Dirk Leun ist Vater von Lena (27), Mia (24) und den Zwillingen Finn und Jakob (beide 21), die heute für Ludwigshafen beziehungsweise Aue in der 2. Bundesliga spielen.
Finn Leun: „Wir waren noch sehr jung, als Papa nach Buxtehude ging. Wir haben ihn vermisst. Aber unsere Eltern haben das gut geregelt. Durch den Umzug musste ich zwar meine Freunde zurücklassen, aber ich habe mich schnell in Buxtehude eingelebt.
Mein Vater ist ein sehr liebevoller Mensch, mit dem man viel Spaß haben kann. Nur manchmal war es so wie am Spielfeldrand: Mein Bruder und ich waren zwar ruhige Zeitgenossen, aber wenn wir mal über die Stränge schlugen, wurde er laut. Das gehört dazu. Im Dänemark-Urlaub: Dirk Leun mit seinen Kinder Finn, Mia, Lena und Jakob (von links).
Foto: privat
Dass mein Bruder und ich in der zweiten Liga spielen, haben wir natürlich auch Papa zu verdanken. Wir waren als Kinder oft bei seinen Spielen. Doch es war unsere eigene Entscheidung, mit dem Handball anzufangen. Heute reden wir oft mit Papa über Handball und bekommen auch Tipps von ihm.“
Siege und Niederlagen
Dirk Leun hat dem BSV im DHB-Pokal die ersten nationalen Titel der Vereinsgeschichte beschert. Doch eine Meisterschaft fehlt in seiner Vita. Das liegt auch am Thüringer HC und Trainer Herbert Müller, der sich wie Leun zu den Dinosauriern der Liga zählt.

THC-Trainer Herbert Müller gewann zwei Meisterschafsfinals gegen den BSV und Dirk Leun. Foto: Jan Iso Jürgens
Herbert Müller: „Ich glaube, Dirk hat am Anfang etwas komisch geguckt, weil ich ein Trainer bin, der sehr offensiv und aktiv coacht. Er dagegen ist etwas ruhiger, kann aber auch ausbrechen wie ein Vulkan. Mit der Zeit haben wir uns besser kennengelernt und gemerkt, dass da was Gescheites dahintersteckt. Wir sind beide handballverrückt und tun alles, um den Damenhandball voranzubringen.
Die Meisterschaftsfinals 2011 und 2012 gegen Buxte haben uns beide geprägt. Dirk war nach den knappen Niederlagen natürlich niedergeschlagen, aber ich habe ihn als fairen Sportsmann erlebt. Im Spiel geraten wir auch mal aneinander, aber das ist nichts Wildes. Wir haben großen Respekt voreinander. Als Buxte den Pokal gewonnen hat, habe ich es Dirk gegönnt. Mit langjährigen Weggefährten darf man sich freuen.“
2015 war Leun als Bundestrainer im Gespräch. Drei Wochen dachte er über das Angebot nach - dann kam die Absage. Leun wollte in Buxtehude bleiben.
Herbert Müller: „Ich hätte ihn sehr gerne als Bundestrainer gesehen. Gerade durch den WM-Titel mit den deutschen Juniorinnen 2008 hat er bewiesen, dass er mit Auswahlmannschaften arbeiten kann. Mit seiner Art und seinem Fachwissen wäre er ein geeigneter Kandidat gewesen.“
Akribisch und verständnisvoll
Isabell Klein war in Buxtehude Identifikationsfigur und Mannschaftskapitänin. Wenn sie an Leun denkt, dann vor allem an einen akribischen Trainer und verständnisvollen Menschen.

Isabell Klein spielte neun Jahre in Buxtehude und war unter Leun Mannschaftskapitänin. Foto: Jan Iso Jürgens
Isabell Klein: „Vertrauen ist im Sport ein großes Thema. Und das hat mir Dirk zu 100 Prozent geschenkt. Er hat honoriert, was ich für die Mannschaft geleistet habe und mich zur Kapitänin gemacht. Dafür bin ich ihm sehr dankbar. Aber nicht nur dafür.
Wenige Monate nach der Geburt von Colin bin ich wieder ins Training eingestiegen und durfte meinen Sohn im Mannschaftsbus zu einem Vorbereitungsturnier mitnehmen. Es gibt Trainer, die davon nicht begeistert sind, weil das die Mannschaft ablenken könnte.
Aber Dirk war entspannt, er hatte Colin oft auf dem Arm. Da kam der vierfache Familienvater in ihm durch. Und wenn wir auswärts gespielt haben, hat sich Claudi, seine Frau, um ihn gekümmert. Colin war noch kein halbes Jahr alt, als er zum ersten Mal bei ihr übernachtete. Besser konnte es dem Kind nicht gehen.“
Zwischen Schule und Halle
Seit 2001 sind Dirk und Claudia Leun verheiratet. Wie der Bundesligatrainer und die 52-jährige Grundschullehrerin ihren Alltag regeln.

Claudia Leun, hier mit Tochter Lena, hat früher selbst Handball gespielt. Foto: privat
Claudia Leun: „Wir haben uns durch den Handball kennengelernt, damals beim TV Hüttenberg. Seit 1996 sind wir ein Paar. Unsere Partnerschaft ist sehr harmonisch. Nur zeitlich ist es nicht immer einfach.
Wenn ich um 16 Uhr nach Hause komme, ist Dirk meistens schon beim Training. Wenn ich in der Schule Sommerferien habe, beginnt kurz darauf die Saisonvorbereitung beim BSV. Und am Wochenende ist Dirk oft bei Auswärtsspielen.
Aber das akzeptiere ich, gerade wenn man seinen Job mit so viel Leidenschaft ausübt und sich den Großteil des Tages mit Handball beschäftigt.
Die Zeit, die wir zusammen haben, versuchen wir so gut wie möglich zu nutzen. Wenn es passt, fahren wir für ein paar Tage ans Meer oder gehen mittags etwas essen - zum Beispiel ins Pfeffertörtchen am Petriplatz oder Dirk kocht sein Fischcurry. Überhaupt habe ich das Glück, dass er das Kochen übernimmt.
Ich glaube, Dirk wird immer etwas mit Handball zu tun haben. Aber noch einmal umziehen? Kann ich mir nicht vorstellen. Wir lieben Buxtehude. Auf eine Fernbeziehung haben wir keine Lust mehr.“