TEinmalig im Landkreis Stade: Acht Kirchengemeinden unter einem Dach

Susanne Kuhlmann aus Krummendeich und Rolf Brandt aus Assel leiten den Vorstand der ersten Gesamtkirchengemeinde im Landkreis Stade. Foto: Susanne Helfferich
So ein Projekt hat es noch nicht gegeben - und es ist ein steiniges. In Kehdingen haben sich Anfang 2024 acht Kirchengemeinden zusammengetan. Wie lief das erste Jahr?
Kehdingen. Drei Jahre hatten sich die acht Kirchengemeinden - Balje, Krummendeich, Freiburg, Oederquart, Hamelwörden, Drochtersen, Krautsand und Assel - auf die Fusion vorbereitet. Die Gesamtkirchengemeinde soll sinkende Mitgliederzahlen abfedern und Verwaltungskosten reduzieren. Doch sie ist für die Ehrenamtlichen in den Ortskirchengemeinden eine große Herausforderung. Vor einem Jahr war das Hauptproblem, dass es für die acht Gemeinden nur einen Pastor gab. Heute fordert insbesondere die Bürokratie die Ehrenamtlichen.

Über viele Monate war Jan-Peter Schulze der einzige Pastor der neuen Gesamtkirchengemeinde Kehdingen. Foto: Susanne Helfferich
„Wir sind in einer schwierigen Gesamtsituation gestartet“, erinnert die Krummendeicherin Susanne Kuhlmann, Vorsitzende des Gesamtkirchenvorstands, „wir hatten mit Jan-Peter Schulze in Drochtersen nur einen Pastor und 2,75 vakante Pfarrstellen für Assel und ganz Nordkehdingen.“ Das sei über Vakanz- und Einzelvertretungen, etwa bei Taufen oder Beerdigungen, sowie ehrenamtliche Prediger, Lektoren und Prädikanten ganz gut aufgefangen worden.
Hamelwördener Pfarrhaus ist seit August bewohnt
„Aber man darf nicht unterschätzen, dass die Kirchenmitglieder gerade bei Beerdigungen oder Familienfesten den persönlichen Kontakt suchen und sich ungern auf eine Vertretung einlassen“, erklärt Kuhlmanns Stellvertreter Rolf Brandt aus Assel. Heute ist die Situation eine ganz andere: Im August zog das Pastoren-Ehepaar Sonja und Philipp Sapora ins Hamelwördener Pfarrhaus. Die beiden sind für den Nordkehdinger Bereich zuständig. Und auch für Assel zeichnet sich eine Lösung ab.

Die neuen Pastoren in der Gesamtkirchengemeinde Kehdingen: Sonja und Philipp Sapora. Foto: Susanne Helfferich
Verwaltungstechnische Abläufe dominierten die Arbeit. „Die fressen mitunter so viel Zeit, dass wir mit den anderen Sachen nicht vorankommen“, gesteht die Gesamtkirchenvorstandsvorsitzende. Ihr Stellvertreter bestätigt: Die Umsetzung der Gesamtkirchengemeinde berge so viele Themen, „wenn man die dann nicht abarbeiten kann, weil die Bürokratie überbordend ist, bewegen wir uns manchmal wie im Hamsterrad“.
Das Problem mit dem Kirchensiegel
Viele Vorgaben seien für Einzelgemeinden gemacht, und manche funktionierten nicht in der Gesamtkirchengemeinde, erklärt Kuhlmann. Als Beispiel nennt sie das Kirchensiegel. Jede Kirchengemeinde habe üblicherweise ein eigenes, das im zur Gemeinde gehörenden Kirchenbüro liegt. Damit könne etwa die Kirchenmitgliedschaft besiegelt werden, wenn jemand in einer anderen Gemeinde Taufpate oder Trauzeuge ist. Nun habe aber die Gesamtkirchengemeinde nur ein Kirchenbuch und nur ein Kirchenbuchsiegel, aber vier Kirchenbüros und weite Wege.
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So gebe es einige Unklarheiten, die aber selten mit ein, zwei Anrufen erledigt sind. Der Vorstand muss sich vielen Fragen stellen: Wie gehen die Gemeinden mit leerstehenden Pfarrhäusern um? Wie wird Nachhaltigkeit umgesetzt? Gebäudebedarfspläne müssen geschrieben, Ausschüsse für Bau, Finanzen und Konfirmandenarbeit müssen gebildet, Friedhofsverordnungen angepasst und Sekretariate mit unterschiedlichen Computerprogrammen zusammengeführt werden.
Zwei Vertreter pro Ortskirche sitzen im Vorstand
Mit der Kirchenvorstandswahl im März wurden unabhängig von der Größe der Ortskirchengemeinden je zwei Vertreter aus den Einzelgemeinden plus die Pastoren für den Gesamtkirchenvorstand benannt. Anfangs habe sich der Vorstand alle vier Wochen zu Sitzungen getroffen. Doch 70 Prozent der Zeit sei für Verwaltungsarbeit draufgegangen, so die Vorsitzenden. Darum wurde ein Verwaltungsausschuss mit Susanne Kuhlmann, Rolf Brandt und Pastor Jan-Peter Schulze gebildet, die eben auch die Prokura hatten, Unterschriften zu leisten, um die große Sitzung zu entlasten und Zeit für die eigentlichen Themen zu haben.
So müssen innerhalb der Gesamtkirchengemeinde noch Satzungen harmonisiert werden, etwa die Friedhofsordnungen. Die seien zwar angeglichen, aber bei den Bestattungsformen unterschiedlich. In diesem Jahr sollen die Gebührenordnungen für die Friedhöfe angepasst werden. Neben dem Verwaltungsausschuss wurden auch Friedhofsausschuss, Bauausschuss, Öffentlichkeitsausschuss und ein Homepageausschuss gebildet.
Jugendausschuss muss noch gebildet werden
Noch gibt es keinen Ausschuss für die Jugendarbeit. „Das sind Themen, die durch die Masse der Verwaltungsarbeit zunächst hinten runtergefallen sind“, räumt Rolf Brandt ein. „Doch wir benötigen diesen Jugendausschuss dringend. Denn die Jugend ist unsere Basis. Wenn wir die nicht mit unserer Arbeit erreichen, können wir einpacken.“
Kuhlmann betont: „Auch wenn wir in diesem Bereich noch keinen Ausschuss gebildet haben, hat sich hier etliches getan.“ Neben der bewährten Jugendarbeit von Diakon Andreas Cohrs in Südkehdingen, habe Volker Austein in Nordkehdingen die Schatzkiste-Kirche für Kinder entwickelt. Außerdem startet am 25. Januar in Balje das neue Kindergottesdienstformat „Kirche Kunterbunt“ unter der Leitung von Pastorin Sapora mit einem ehrenamtlichen Team.
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Die Perspektive ist gut: Drei Pfarrstellen sind besetzt und die vakante Position in Assel wurde in eine Probedienststelle umgewandelt, auf die sich Probedienstler direkt aus der Akademie Loccum bewerben können. Brandt: „Die Hoffnung ist sehr groß, dass diese Stelle im Sommer besetzt werden kann. Die Gemeinde dürstet nach einem Gesicht.“
Außerdem sei eine Assistenz der Gemeindeleitung ausgeschrieben. Sie soll auffangen, was Ehrenamtliche nicht mehr leisten können, etwa Sitzungen vorzubereiten und zu protokollieren. Die Stelle ist auf vier Jahre ausgelegt und wird aus dem Programm „Attraktives Gemeindebüro“ mit Mitteln aus Landeskirche, Kirchenkreis und der Gemeinde finanziert.
Vorstandsteam sieht sich als Pioniere
„Wir sind mit der Gesamtkirchengemeinde Pioniere“, sagt Kuhlmann, aus ihren Erfahrungen könne die Landeskirche profitieren. Die wolle schließlich, dass Gemeinden sich zusammentun. Dass man da aber auch handlungsfähig bleiben muss, was eventuell erfordere, von bestimmten Bestimmungen abzuweichen und neu zu überlegen - diese Einsicht vermisst die Kirchenvorstandsvorsitzende an manchen Stellen.
„Wir sind in regelmäßigem Austausch mit dem Superintendenten Marc Wischnowsky und auch dem Kirchenkreis“, sagt Rolf Brandt, „aber vielleicht müsste es einen Ausschuss in der Landessynode geben, der sich um solche Punkte kümmert.“ Schließlich solle Kirche eine lebendige Institution für die Menschen vor Ort sein und entsprechende Angebote schaffen, so Kuhlmann.
Um dafür den Weg zu ebnen, haben die Kehdinger Kirchen-Pioniere im letzten Jahr viel Energie in ihre neue Gemeinde gesteckt und sind mit gutem Beispiel vorangeschritten - auch, wenn der Weg noch einige Unwägbarkeiten in der Zukunft bereithält.