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Norddeutschland

TGegen den Trend: Dieses junge Mediziner-Paar lebt das Landarzt-Abenteuer

Samantha und Julian Henderson bereuen es nicht, sich als Hausärzte in Brake niedergelassen zu haben.

Samantha und Julian Henderson bereuen es nicht, sich als Hausärzte in Brake niedergelassen zu haben. Foto: Böker

Hausärzte sind für ländliche Gegenden meist schwer zu gewinnen. Samantha und Julian Henderson haben sich ganz bewusst in einer Hausarzt-Praxis in Brake niedergelassen. Was hat sie dazu gebracht? Und was sind Ihre Erfahrungen?

Von Anna Böker Samstag, 11.05.2024, 17:50 Uhr

Brake . Es ist ein Dilemma: Immer weniger junge Ärzte in Deutschland entscheiden sich dazu, eine Hausarztpraxis auf dem Land aufzumachen. Gleichzeitig sind viele Mediziner alt und gehen in absehbarer Zeit in Rente. Julian und Samantha Henderson sind hingegen jung, und sie haben sich getraut: Seit 2022 betreiben sie eine Hausarztpraxis im Zentrum von Brake.

Ein kniffeliger Fall für Doktor Henderson

Es ist Freitagmittag, 13 Uhr: Dr. Julian Henderson müsste eigentlich schon längst auf dem Weg zum Pflegeheim sein, doch in seiner Praxis befindet sich noch ein kniffliger Fall: Ein Patient klagt über starke Bauchschmerzen, und es muss entschieden werden, ob der Mann ins Krankenhaus eingeliefert werden soll oder nicht.

Gemeinsam mit seiner Frau Samantha und seinem Kollegen Dr. Jörn Glock brütet der 36-Jährige. „Bauchschmerzen sind sehr schwierig. Das kann nichts sein oder aber eine lebensbedrohende Entzündung, die eine Operation erfordert“, erläutert Dr. Julian Henderson.

Nach der gemeinsamen Konsultation ist in diesem Fall klar: Ein Darmabschnitt ist entzündet, und der Patient muss Antibiotika einnehmen. Ein Krankenhaus-Aufenthalt kann noch mal abgewendet werden, doch der Patient soll sich nach dem Wochenende erneut vorstellen.

Arzt hat eine 70-Stunden-Woche

Fälle wie dieser, die den Zeitplan durcheinanderwirbeln, gebe es oft, sagt Julian Henderson. Das Leben als Hausarzt auf dem Land sei nicht einfach: „Man muss dafür geboren sein und das wirklich gerne machen“, so der Mediziner, der eine 70-Stunden-Woche hat.

Zu seinen Aufgaben zählt die Versorgung von Termin-Patienten und akuten Fällen. Am Tag kommen 50 bis 70 Patienten in die Praxis. Außerdem besucht Julian Henderson Pflegeheime, und zu Palliativ-Patienten kommt er auch nach Hause.

Darüber hinaus leistet er zweimal im Monat den kassenärztlichen Notdienst, und ein- bis zweimal im Monat übernimmt er eine 24-Stunden-Bereitschaft im Rettungsdienst.

„Ich wollte immer Hausarzt werden“

Wieso tut sich ein junger Mann das an? „Ich wollte immer Hausarzt werden. Ich wollte mit den Leuten reden und längerfristig für Patienten da sein, von der Pubertät bis ins hohe Alter.“ Es mache großen Spaß, Patienten in allen Lebenslagen zu begleiten. „Ich bin Arzt aus Leidenschaft“, sagt Julian Henderson. Deshalb hat er auch kein Problem damit, mal an einem Feiertag zu einem Patienten zu fahren.

Wichtig war dem jungen Arzt jedoch, dass er das nicht allein machen muss – mit seiner Frau Dr. Samantha Henderson hat er eine verlässliche Partnerin an seiner Seite. Hinzu kommt Dr. Jörn Glock, der ehemalige Chef-Arzt der Inneren Medizin des St. Bernhard Hospitals in Brake; die drei betreiben jetzt eine Gemeinschaftspraxis.

Von der Uni in Oxford nach Brake

Aufgewachsen ist Julian Henderson in Oldenburg, dort hat er 2007 sein Abitur gemacht. Danach folgten das Studium der Humanmedizin in Oxford und Stationen als Assistenzarzt in Großbritannien. 2015 kehrte er dann zurück nach Deutschland. Zunächst arbeitete er am Klinikum Oldenburg, dann folgte der Weg nach Brake. Hier arbeitete er zuletzt als Oberarzt in der Notaufnahme.

Während der Vorlesungen funkte es

Seine berufliche als auch private Partnerin Samantha lernte Julian Henderson in Oxford im Studium kennen. „Samantha war in der Pathologie-Vorlesung immer als Erste da. Sie war immer pünktlich, und irgendwann bin ich dann auch zehn Minuten früher gekommen, um mit ihr reden zu können“, erinnert sich der Hausarzt. Die beiden denken oft das Gleiche.

Inzwischen hat Julian Henderson mit der Britin drei Kinder im Alter von drei, fünf und sieben Jahren. Die Familie wohnt in Brake. „Das Schwierige ist der Spagat zwischen Familie, guter Medizin und Selbstschutz“, verrät Julian Henderson. Manchmal, wenn es nicht anders geht, nehme er seinen Sohn sogar mit zu Hausbesuchen. „Die meisten älteren Menschen finden das gut. Ich frag‘ immer vorher. Mein Sohn bekommt dann von den Leuten einen Kakao.“

Bürokratie ist die große Herausforderung

Doch noch eine weitere Sache stellt die drei Mediziner der Braker Hausarztpraxis vor Probleme: die Bürokratie. „Mindestens ein Drittel meiner Zeit verbringe ich mit Bürokratie. Es gibt zum Beispiel ganz viele Vorschriften für Rezepte. Wenn man im Krankenhaus gelernt hat wie ich, kennt man das nicht. Man muss fast Jura studiert haben, um das zu verstehen.“

Auch das System der Abrechnung sei sehr kompliziert. „Eigentlich ist man Arzt, aber wenn man Hausarzt wird, ist man auch Unternehmer“, bemerkt der Mediziner.

Die Bürokratie sei ein wesentlicher Grund, aus dem junge Ärzte kein Hausarzt mehr werden möchten. „Die möchten angestellte Ärzte sein, da bekommt man am Ende des Monats sein Gehalt, man macht seine Stunden und gut ist“, fasst Julian Henderson zusammen.

Der Feierabend bei den Hendersons sieht dagegen oft so aus: „Wenn die Kinder im Bett sind, lesen wir Befunde und wir schreiben Gutachten, Kur-Anträge, Rentenanträge“, erzählen Julian und Samantha Henderson.

Das sind die schönen Seiten des Berufs

Doch es gibt auch schöne Erlebnisse: „Jemand hat uns mal Eier geschenkt und jemand anderes hat uns Kuchen mitgebracht. Darauf sind wir zwar nicht angewiesen, aber das macht Spaß, wenn man gutes Feedback von den Patienten bekommt“, sagt Julian Henderson. In Brake schätze er außerdem die kurzen Wege: „Ich kann im Krankenhaus anrufen und sagen ‚hey, der Patient hat das und das´, und dann nehmen die den noch auf.“ In Großstädten habe er so etwas vermisst.

Praxis nimmt noch Patienten auf

Die Praxis nimmt übrigens noch Patienten auf. Einzige Voraussetzung ist ein Wohnsitz in Brake. Oberstes Gebot der Praxis ist, dass sich die Mediziner für jeden Patienten so viel Zeit nehmen, wie nötig ist. Für die Zukunft wünscht sich das Ärzte-Paar, dass alles so weiter läuft wie bisher. Die Braker und Brakerinnen seien direkt und ehrlich, das schätzt das Paar sehr.

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