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TGraffiti als Beruf: Dieser Stader sprayt für Amazon und die EVB

Hinter dem bunten Motiv einer EVB-Kampagne zwischen Heeslingen und Zeven steckt ein Künstler aus Stade: Leonard Cordes

Hinter dem bunten Motiv einer EVB-Kampagne zwischen Heeslingen und Zeven steckt ein Künstler aus Stade: Leonard Cordes Foto: Brunkhorst

Viele sind erstaunt, wenn sie erfahren, dass man mit Graffiti seinen Lebensunterhalt verdienen kann. Für Leonard Cordes aus Stade ist das längst Realität.

Von Stina Brunkhorst Dienstag, 04.11.2025, 13:50 Uhr

Zeven. Schon als Jugendlicher entdeckte er seine Leidenschaft für die Spraydose - heute lebt er davon, gestaltet Aufträge in ganz Deutschland und versucht, Arbeit, Reisen und Familie in Einklang zu bringen.

Beim Online-Gespräch stellt sich der Graffitikünstler schlicht als „Leo“ vor. Er sitzt im Transporter, trägt Tanktop und AirPods, spricht im lockeren Ton. Der 31-Jährige aus Stade zeigt sich ungekünstelt - direkt aus seinem Arbeitsalltag heraus.

Schon vor 16 Jahren begann er, erste Flächen zu besprühen. Inspiriert habe ihn der deutsche Graffiti-Film „Wholetrain“ mit Elyas M‘Barek, der das Milieu der Graffiti-Sprayer zum Thema hat. „Das war schon prägend“, erzählt er. Mit 15 habe er am Stader Bahnhof seine erste legale Fläche bekommen. „Das war so der Einstieg“, erinnert er sich, „so kamen dann die ersten Kontakte und Aufträge zustande.“

Vom Hobby zum Beruf

Das Sprayen hat sich Cordes selbst beigebracht. 2013 gründete er mit einem Freund die Firma „Wandkollegen“. Seine kreative Ader, sagt er, habe er von seinem Vater, der früher in einer Werbeagentur arbeitete und heute ein Autohaus führt.

Statt einer klassischen Künstlerlaufbahn schlug Cordes vor diesem Hintergrund zunächst einen anderen Weg ein: Nach dem Abitur absolvierte er eine Ausbildung zum Kfz-Mechatroniker, später folgten ein Bachelor in Brandmanagement und ein Master in Automobilökonomie.

Schon während des berufsbegleitenden Masterstudiums sprühte er drei Tage die Woche. „Das Autohaus meines Vaters war immer mein Back-up“, sagt er. Dieser „Background“ habe ihm neben der Selbstständigkeit Sicherheit gegeben, die er sehr zu schätzen weiß.

„Viele sind überrascht, dass man davon leben kann“

Manchmal werde Cordes gefragt, ob er das „freiwillig aus Spaß und Tollerei“ mache, erzählt er schmunzelnd. Viele seien überrascht, dass Graffiti für ihn ein Vollzeitjob ist. Seit sieben Jahren lebt er vollständig von seiner Kunst, mit Aufträgen in ganz Deutschland und einem Kalender, der oft Monate im Voraus gefüllt ist.

Inzwischen arbeiten die Wandkollegen zu dritt, bilden Azubis zu Mediengestaltern aus und betreuen regelmäßig Praktikanten. Im Sommer arbeiten sie überwiegend draußen, im Winter meist in Innenräumen - und notfalls auch draußen, geschützt durch Zelte und Planen.

Die Bandbreite reicht von Parkhäusern und Brücken über Hotellobbys bis zu Jugendzentren oder einem Finanzamt.

Die Resonanz der Leute sei durchweg positiv, wofür er dankbar ist. „Straßenbauer machen eigentlich viel wichtigere Sachen und werden angepöbelt - wir malen nur bunt an und bekommen Applaus.“ Mit dieser Gelassenheit nimmt er sich selbst nicht zu ernst und genießt die Freude an seiner Arbeit.

Ein Blick hinter die Fassade: Ein eng getakteter Alltag

Cordes reflektiert auch die Herausforderungen seiner Selbstständigkeit. Er arbeitet zehn bis zwölf Stunden, oft sieben Tage die Woche. Viele Aufträge führen ihn nach Hannover, Berlin oder andere Städte.

„Man kann nicht jede Nacht zuhause bleiben, da verpasst man schon was“, sagt Cordes - und meint damit seine Familie, die zuhause auf ihn wartet. Berufs- und Privatleben bleiben ein Balanceakt, den er bewusst in Kauf nimmt, weil er die Flexibilität seiner Selbstständigkeit schätzt.

Gleichzeitig sorgt er für Auszeiten: „Im Sommer mache ich einmal lange Urlaub und einmal im Winter - das ist so mein Familienkonzept.“ Dann nimmt er sechs bis acht Wochen am Stück frei und reist mit seiner Partnerin, der zwölfjährigen Tochter und dem einjährigen Sohn. „Wenn ich an meine Kindheit denke, erinnere ich mich gerne an die Reisen, die wir als Familie gemacht haben. Das ist das Schönste, was man irgendwie so mitgeben kann.“

Vom Auftrag zum fertigen Bild

Cordes versteht sich als Auftragsarbeiter, dessen oberstes Ziel es ist, die Vorstellungen der Kunden umzusetzen. Meist bringen die Kunden erste Vorschläge mit, die Cordes mit seinem Team konkretisiert. Doch ganz ohne eigene Gestaltung gehe es nicht: „Einen gewissen Grad an Kreativität und räumlicher Vorstellungskraft muss man natürlich haben, damit man weiß, was man wie anbringen kann, damit es gut aussieht“, erklärt er.

„In der Regel gibt es ein bis zwei Korrekturschleifen - man kennt irgendwann so ein bisschen seine Pappenheimer“, sagt er. Der Ablauf selbst ist immer ähnlich: reinigen, grundieren, gestalten, versiegeln. Die Dauer und die Kosten hängen von Größe und Komplexität des Motivs ab - einen festen Quadratmeterpreis gibt es nicht. Manche Werke sind in zwei Stunden fertig, an anderen arbeitet der Stader bis zu zwei Wochen.

Zu den größten Auftraggebern gehören Amazon und die EVB. Für die Kampagne mit den Stromkästen bekam er die Standorte genannt und die Berufsrichtungen, die dargestellt werden sollten - vom Busfahrer über die Zugführerin bis zum Mechaniker.

Seine Inspiration für seine Werke holt er sich „von bis“, wie er sagt - aus verschiedenen Medien, Gesprächen, der Umgebung und vor allem darin, „den Geist der Leute zu treffen und ein bisschen Fingerspitzengefühl zu haben“. Am liebsten arbeitet er realistisch: „Der Realismus und das Technische faszinieren mich schon, das macht Spaß“, erklärt er.

Routine kennt er nicht

Was ihn an seiner Arbeit am meisten begeistert, ist die Mischung aus Kreativität, Freiheit und Abwechslung. Cordes ist viel draußen, arbeitet selbstständig und betrachtet jeden Auftraggeber als eine Art neuen Chef.

„Am meisten begeistert mich, dass ich diese Flexibilität habe und immer was Neues sehe - das ist zwar dieser Standardspruch, aber es ist einfach so“, sagt er. Cordes hat sein Hobby zum Beruf gemacht - und genau das macht ihn zufrieden. „Man sieht, was man geschafft hat, wenn man am Ende des Tages ein Bild fertigstellt.“

Herausforderungen und Zukunft

Die Digitalisierung betrachtet Cordes pragmatisch. KI nutzen seine Kunden teilweise für Entwürfe, sodass er weiß, woran er sich orientieren soll. VR-Brillen nutzt Leo Cordes für große Motive auf großen Flächen. „Letztendlich bin ich die ausführende Kraft. Bis da der erste Roboter kommt, der die Wände ansprüht, dauert es hoffentlich noch fünf, sechs Jahre.“

Graffiti-Sprayer und Unternehmer Leonard Cordes, der die EVB-Kästen in der Region gestaltet hat.

Graffiti-Sprayer und Unternehmer Leonard Cordes, der die EVB-Kästen in der Region gestaltet hat. Foto: Brunkhorst

Zudem beschreibt er den Erfolg als zweigeteilt: „Zum einen werden wir gebucht, weil es gut aussieht, zum anderen wegen des Respekts davor, dass es nicht übersprüht wird“, sagt er.

Während Werbeplakate oft sofort übermalt werden, hätte das Graffiti-Handwerk einen anderen Effekt, vor allem auf andere Sprayer. Die Werke prägen nicht nur das Stadtbild, sondern auch die Wahrnehmung von Graffitikunst als ernsthafte, respektierte Form der Gestaltung im öffentlichen Raum.

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