TGraue Brühe in der Oste: Baustopp nach Havarie an Suedlink-Bohrstelle

Die Verfärbung des Wassers rührt von der Verunreinigung der Oste mit Spülflüssigkeit an der Bohrstelle bei Osterheeslingen her. Foto: Anglerverband
„Nicht schon wieder“, wird nicht nur Anglern durch den Kopf gegangen sein, als sie dieser Tage entdeckten, dass die Oste bei Weertzen immer wieder gräulich schimmerte. Das hat Konsequenzen.
Weertzen. Anfang Mai begannen die Arbeiter der belgischen Firma De Romein bei Wense mit dem Mammutprojekt der deutschen Energiewende. Unter der Kreisstraße Wense-Heeslingen bohrten sie den ersten Suedlink-Tunnel im Landkreis Rotenburg. Beim Bohren und Spreizen der Unterführung wird auch gespült und gepresst. Die Flüssigkeiten sind entweder unschädlich oder werden aufgefangen. An jedem Bohrloch steht eine mobile Kläranlage, schließlich legt der Übertragungsnetzbetreiber und Suedlink-Verantwortliche Tennet großen Wert auf Umweltschutz.
Nun bohrt und spreizt jedoch nicht Tennet, sondern auf dem Suedlink-Abschnitt zwischen Farven und Vareler Heide die Firma De Romein. 56-mal müssen die Spezialisten die Bohrmaschine ansetzen, um Straßen und Fließgewässer zu untertunneln und Leerrohre für die Stromkabel einzuziehen.
Offenbar kam es während der Arbeiten im Verlauf der zurückliegenden Wochen mehrfach zu Verunreinigungen der Oste. So sollen ansässige Angler, die ein wachsames Auge auf die Gewässer haben, in der Nacht zu Dienstag bereits zum dritten Mal binnen vier Wochen eine Verfärbung des Oste-Wassers gemeldet haben.

Bei der Bohrung nördlich von Weertzen unter der Oste hindurch ist es dieser Tage zum Austritt von Spülflüssigkeit in die Oste gekommen. (Archivbild) Foto: Kratzmann
Wie berichtet, begaben sich Mitarbeiter des Kreises in der Nacht zu Dienstag an die Oste zwischen Osterheeslingen und Weertzen. Dort war das Wasser großflächig weiß eingefärbt. Überdies stellte der Kreismitarbeiter eine weiße Sedimentablagerung fest. Proben ergaben laut Landkreis Rotenburg zunächst keine Hinweise auf wassergefährdende Stoffe. Weitere Untersuchungsergebnisse kündigt die Kreisverwaltung für nächste Woche an.
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Massive Kritik des Anglerverbands an Bauherr Tennet
Zu einem Fischsterben ist es augenscheinlich nicht gekommen. Gleichwohl hat der Kreis verfügt, die Bohrarbeiten in diesem Bereich bis auf weiteres ruhen zu lassen und einen Gewässerökologen hinzuzuziehen.
Dennoch üben die Angler massive Kritik. Die richtet der Anglerverband Niedersachsen an die Adresse von Tennet. Die Angler an Oste, Bade und Aue haben eine kurze Lunte. Vor einem Jahr war es zum verheerenden Fischsterben in etlichen Flüssen und Bächen nicht nur im Norden des Kreises gekommen.
Die Mitglieder der Angelvereine an der Oste im Raum Zeven fürchten ebenso wie Ralf Gerken, der Naturschutzexperte des Anglerverbands, weitreichende ökologische Schäden infolge der Verunreinigungen.
Laut Verbandsangaben waren am Montag erhebliche Mengen Bentonit bei den Bohrungen zwischen Osterheeslingen und Weertzen in die Oste gelangt. Der Fluss habe sich daraufhin auf etwa 15 Kilometer Länge in „eine graue Brühe verwandelt“. Am Donnerstag stellten auch Bremervörder Angler eine Verfärbung der Oste fest.
Das tonartige Mineral Bentonit wird bei den Horizontalbohrungen verwendet. Laut Tennet ist das Material unschädlich und biologisch abbaubar.
Gleichwohl befürchtet Ralf Gerken Schäden für die Gewässerökologie infolge des „unkontrollierten Austritts des Bentonit-Wasser-Gemischs“. Denn in den strömungsberuhigten Bereichen der Oste habe die Masse das Sediment überlagert - insbesondere die Kiessubstrate. In dieses Substrat legen bedrohte Fischarten wie Lachs, Meerforelle und Neunauge ihre Eier.
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In Sorge um Jungfische und Fischbrut in der Oste
Gerken betont: „Dank der jahrzehntelangen Artenschutzbemühungen unserer Vereine ist die Oste Niedersachsens Lachs- und Meerforellenfluss Nummer eins. Dass sie nach dem großen Fischsterben im August 2023 jetzt noch einmal geschädigt wurde, ist dramatisch.“ Zu Befürchtungen gibt seiner Ansicht nach auch Anlass, dass Angler in diesen Tagen im Uferbereich des Flusses Jungfische und Fischbrut mit gräulichen Ablagerungen auf den Körpern entdeckt haben.
Der Anglerverband verlangt nach einem Fachgutachten, um nachzuweisen, ob Fischnährtiere wie Insektenlarven, Krebse und Muscheln Schaden genommen haben. Die Angler liegen damit auf Linie des Landkreises, der ebenfalls die Gewässerökologie begutachtet wissen will.
Verbandsexperte Gerken verweist darauf, dass eine starke Konzentration von Bentonit in der Oste und eine länger anhaltende Belastung damit sehr wohl zu Fischsterben führen, Kiemenschäden verursachen, Kleinstlebewesen im Wasser töten und Lebensraumstrukturen nachhaltig schädigen können. Insofern sei die Behauptung von Tennet, Bentonit sei unschädlich, eine „unakzeptable Verharmlosung einer Umweltstraftat“.
Der Anglerverband erhebt in diesem Zusammenhang die Anschuldigung, dass die Baufirma den von Polizei und Wasserbehörde des Kreises verhängten Baustopp zunächst nicht befolgt habe. Die Einleitungen seien erst Stunden später nach wiederholter Intervention des Anglerverbands und der Angelvereine tatsächlich beendet worden. Die Polizei hat ein Strafverfahren wegen fahrlässiger Gewässerverunreinigung eingeleitet.
Material auch in Trinkwasserschutzgebieten im Einsatz
Tennet indes weist die vom Anglerverband erhobenen Vorwürfe zurück und bekennt zugleich, die vom Verband geäußerten Bedenken „sehr ernst“ zu nehmen. Tennet-Pressesprecher Mathias Fischer nimmt auf Nachfrage ausführlich Stellung zu dem Vorfall: Das Ton-Schlammgemisch werde bei Horizontalbohrungen unter Druck in das Bohrloch gepumpt, um den Bohrkopf zu kühlen und das abgebohrte Material abzutransportieren.
Mathias Fischer unterstreicht schriftlich, dass das eingesetzte natürliche Tonmineral für „die landwirtschaftliche Nutzung als ökologisch unbedenklich zertifiziert“ sei und auch in Grundwasserschutzgebieten zum Bohren von Trinkwasserbrunnen eingesetzt werde.
Zu einem Austritt der Spülflüssigkeit könne es kommen, wenn der Bohrkopf auf Hindernisse oder besonders lockere Bodenstrukturen trifft und sich die Spülflüssigkeit einen Weg an die Oberfläche sucht, schreibt Fischer.
Im vorliegenden Fall sei es zum sogenannten Ausblasen der Spülflüssigkeit etwa 60 Meter flussabwärts der Bohrstelle bei Osterheeslingen gekommen. Mit der Suche nach der Austrittsstelle sei unmittelbar begonnen worden, nachdem der Kreis am Dienstagmorgen den Baustopp verfügt hatte. Laut Fischer sei die Suche angesichts der üppigen Vegetation ein aufwendiges Unterfangen gewesen.
Noch während der Suchtrupp unterwegs war, wurde laut Fischer in Abstimmung mit dem Vertreter der Wasserbehörde das Bohrgestänge aus dem Bohrloch gezogen und die Austrittstelle des Bentonits mit dem Einziehen eines PVC-Rohres abgedichtet. Der Pressesprecher liefert damit eine Begründung für das verzögerte Ende der Einleitungen des Gemischs in die Oste.
Mathias Fischer verweist auf den engen Kontakt zu Kreis, Polizei, Angelverein und dem Heeslinger Bürgermeister. Und er versichert, Tennet werde einen Gewässerökologen engagieren. Auf Basis der vom Gutachter gewonnenen Erkenntnisse werde ein Sanierungskonzept in Abstimmung mit den Anglern erarbeitet, lautet die Ankündigung.