THabeck bei Glencore: Wütender Protest auf der Straße – Beifall im Betrieb

In einer dieser Limousinen sitzt Robert Habeck. Die Demonstranten begrüßten ihn mit Pfiffen und Buh-Rufen. Foto: Glückselig
Demonstranten begrüßen den Wirtschaftsminister in Nordenham mit Pfiffen und Buh-Rufen. Nicht nur Bauern sind unter ihnen. Für die Industrie hat Habeck gute Nachrichten, für die Landwirte nicht.
Nordenham/Bremen. Die vierspurige Martin-Pauls-Straße ist eine der Hauptverkehrsadern Nordenhams. Am Montagnachmittag quält sich der Verkehr über nur noch zwei Fahrspuren. Die beiden äußeren Fahrstreifen blockieren auf einer Länge von mehreren hundert Metern Landwirte mit ihren Traktoren.
Trecker-Konvois gehören fast zum gewohnten Straßenbild, seit die Landwirte gegen Subventionskürzungen auf die Barrikaden gehen. Der Protest der Bauern richtete sich dabei bislang gegen die gesamte Ampelregierung. Am Montagnachmittag in Nordenham hat er dagegen einen ganz konkreten Adressaten: Bundeswirtschaftsminister und Vizekanzler Robert Habeck hat sich zu einem Besuch der Zinkhütte von Glencore angesagt. Die Landwirte empfangen ihn mit Buhrufen, Pfiffen, Trillerpfeifen und rote Seenot-Fackeln.
Egbert Buiter, Versammlungsleiter für die Bauern, schätzt, dass es mindestens 200 Fahrzeuge sind, die den „Spalier“ für Robert Habeck bilden. Ob der Minister tatsächlich mit dem Auto kommt und dann zwangsläufig die Martin-Pauls-Straße passieren muss, oder ob er in einem Helikopter zu Glencore geflogen wird, das ist am früheren Nachmittag noch offen. „Wir hoffen, dass er hier durch kommt. Und dann werden wir ordentlich Krach machen“, sagt der Landwirt aus Butjadingen. Und genau so wird es später auch kommen.

Die Demonstranten bilden vor ihren Traktoren ein Spalier für den Minister. Polizisten gewährleisten die Sicherheit aller Beteiligten. Foto: Glückselig
Auch viele Gewerbetreibende sind bei der Aktion dabei
Nicht nur Bauern aus der Wesermarsch sind bei dem Protest dabei. Auch Landwirte aus dem Cuxland, dem Ammerland und Friesland sind angereist. Dazu haben sich zahlreiche andere Gewerbetreibende mit ihren Fahrzeugen gesellt.
Es sind längst nicht mehr nur die Kürzungen beim Agrardiesel, die die Menschen auf die Palme bringen. Daniela Hoffmann (39) aus Sarve ist eine der Mitorganisatorinnen der Demo. Warum? Die Pflegefachkraft ist wütend auf die Ampel-Koalition. Ihre Eltern hatten einen Bauernhof, erzählt sie. Sie wisse daher, wie es in der Landwirtschaft zugeht. „Die Subventionskürzungen haben für mich den Ausschlag gegeben“, sagt Daniela Hoffmann zu ihrem Engagement für den Protest. Doch es komme noch viel mehr dazu: „Die Situation in der Pflege, im Gesundheitswesen, an den Schulen, die versteckten Steuererhöhungen“, listet sie auf, was ihr alles nicht passt.

Die protestierenden Landwirte ließen auch bei dem Protest am Montag in Nordenham kein gutes Haar an der Regierung. Foto: Glückselig
Auf der von der Martin-Pauls-Straße abzweigenden und gesperrten Blexersander Straße haben die Protestler einen Anhänger als Bühne für eine Kundgebung aufgebaut. Als Vorsitzender des Rates der Stadt Nordenham tritt Dr. Tilman Kaethner als Erster vors Mikrofon. „Wir müssen als Bürger zusammenstehen und aufzeigen, wo die Grenze ist“, sagt er. Die Wirtschaftspolitik vernachlässige die Belastbarkeit der Gesellschaft. Lasten seien nicht fair verteilt, so Tilman Kaethner. Der CDU-Politiker, der betont, dass es ihm an diesem Nachmittag nicht um Parteienzugehörigkeiten gehe, richtet einen Appell an die Politik: „Macht bitte nicht so weiter.“
Erboste Zwischenrufe bei Rede der Grünen-Bundestagsabgeordneten
Christina-Johanne Schröder, grüne Bundestagsabgeordnete aus der Wesermarsch, schlägt als nächster Rednerin die Wut einiger Protestler wie eine volle Breitseite entgegen. Ihr Redebeitrag wird immer wieder von erbosten Zwischenrufen unterbrochen. Landwirt Douwe Wittbard, der die Kundgebung moderiert, muss einschreiten, damit die Stimmung nicht kippt. Die Deeskalation gelingt, die Situation ist schnell bereinigt. Die Kundgebung bleibt friedlich - so wie die gesamte Protestaktion. Das bestätigt am Abend auch die Polizei.
Für den Mittelstand spricht Christian Osthaus, Chef eines metallverarbeitenden Betriebes in Schwanewede (Landkreis Osterholz). „Wir haben dieselben Probleme. Die überbordende Bürokratie erdrückt uns“, sagt er, „wir tun alles, aber es reicht nicht“.
Dann kommt Bewegung in die Menge, weil die Versammlungsleiter die Information erhalten haben, dass gleich Robert Habeck eintreffen wird. Nun ist es nicht mehr nur ein Fahrzeug-, sondern ein Spalier aus hunderten Menschen, der sich entlang der Martin-Pauls-Straße gebildet hat. Schwarze Limousinen, eskortiert von Polizeifahrzeugen, rollen über die Straße.

Habeck mit Nordenhams Bürgermeister Nils Siemen (Mitte) und Thomas Hüser, Geschäftsführer von Glencore. Foto: Sina Schuldt/dpa
Beifall bei Glencore, Pfiffe auf der Straße
Die Protestler halten sich an die von Douwe Wittbard geäußerte dringende Bitte, die Fahrzeuge nicht zu blockieren. Der Wirtschaftsminister kann ungehindert passieren. Doch es wird laut. So groß der Beifall ist, mit dem Robert Habeck wenig später bei Glencore empfangen wird, so deutlich ist der Protest, den er hier draußen auf der Straße erfährt.
Während die Demonstranten bis zum Abend draußen die Stellung halten, ehe sich der Protest auflöst, hat eine vierköpfige Delegation von Landwirten noch die Möglichkeit, persönlich mit Robert Habeck zu sprechen. „Es war ein konstruktives Gespräch“, zieht Egbert Buiter ein positives Fazit von diesem Gespräch und der gesamten Aktion.

Robert Habeck (Grüne) besucht die Nordenhamer Zinkhütte. Foto: Sina Schuldt/dpa
Grünes Licht für „grünen Stahl“ in Bremen
Jubel dagegen in Bremen. Die Worte von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck gehen fast im Applaus unter. „Es ist alles geklärt“, ruft der Grünen-Politiker bei einer Betriebsversammlung zuvor im Bremer Stahlwerk. „Alle Fragen sind beantwortet, alles Einvernehmen ist hergestellt.“ Mit 1,3 Milliarden Euro Staatshilfe soll die Umstellung auf klimaneutral produzierten Stahl an den Standorten von ArcelorMittal in Bremen und Eisenhüttenstadt gefördert werden.
Noch fehle mit der Notifizierung zwar die letzte Zusage aus Brüssel, doch die Belegschaft könne sich auf die Förderung verlassen. Dieser Schritt sei nicht wie bei einer Schul- oder Gesellenprüfung zu vergleichen, versicherte Habeck. „Sondern davor wird alles geklärt.“ Das Bundeswirtschaftsministerium übermittle die notwendigen Unterlagen seit diesem Montag nach Brüssel. „Das Projekt wird genehmigt werden.“
„Stahl ist Zukunft“ - Förderzusage für Stahlwerke
Auf diese Worte wartete Bremen mehr als zwei Jahre lang. „Stahl ist Zukunft“, skandierten die Beschäftigten im Chor, als sie die erlösende Nachricht hören. „Bremen hat ein Herz aus Stahl.“ Mit Sorgen blickten sie zuletzt auf andere große Stahlkonzerne in Deutschland, die schon mit den Planungen für grünen Stahl begonnen haben. Die EU-Kommission hatte zuvor eine Genehmigung für die Stahlhersteller Salzgitter AG, Thyssenkrupp Steel Europe in Duisburg und Stahl-Holding-Saar im Saarland erteilt. Das ist die Voraussetzung dafür, dass sich Bund und Land an den Umrüstungskosten beteiligen können.
Mit der Förderzusage für die Hütten in Bremen und Eisenhüttenstadt sei rund ein Drittel der deutschen Stahlindustrie „auf den Pfad der Dekarbonisierung“ gebracht, sagte Habeck. An den Standorten sollen rund sieben Milliarden Euro investiert werden.

Das Stahlwerk von ArcelorMittal in Bremen soll auf die Produktion von grünem Stahl umgestellt werden. Foto: Sina Schuldt/dpa
Nun liegt es an ArcelorMittal, seine Produktion auf klimaneutral produzierten Stahl umstellen. Dafür sollen die Hochöfen stillgelegt und durch eine sogenannte Direktreduktions-Anlage (DRI) ersetzt werden. Diese Anlage arbeitet mit umweltfreundlichem Wasserstoff. Außerdem sollen elektrisch betriebene Schmelzöfen die herkömmlichen Stahlkonverter ablösen. Der Konzern will in der zweiten Hälfte der 2020er-Jahre mit der Herstellung von klimaneutralem Stahl beginnen - so zumindest der Plan.
ArcelorMittal: Wie es in Bremen weitergeht
Eine klare Zusage des Konzerns blieb am Montag aber aus. Erst nach einem Jahr Feinplanung will ArcelorMittal eine endgültige Entscheidung zur Umrüstung treffen. Voraussetzung dafür seien wettbewerbsfähige Strompreise und ausreichend Wasserstoff, sagte Reiner Blaschek, CEO ArcelorMittal Europe. „Eins wollen wir sicher nicht: Den Scheck zurückzugeben oder eben auch das Projekt nicht umzusetzen. Sonst hätten wir uns das Ganze auch sparen können.“
Formal seien Unternehmen zwar nicht gezwungen, Fördergelder auszugeben, sagte Habeck. „Wenn ihr das Geld nicht ausgebt, dann gucke ich dumm aus der Wäsche.“ Er sei aber zuversichtlich und werte die Aussagen von ArcelorMittal als Signal, die Umstellung auf klimaneutralen Stahl angehen zu wollen.
Derzeit ist das Stahlwerk für die Hälfte der CO₂-Emissionen im Land Bremen verantwortlich. Der Umbau der Hütte ist eines der größten Projekte Bremens auf dem Weg zur Klimaneutralität, die das Land bis 2038 erreichen will. „Von dem heutigen Tag geht das klare Signal aus: Auch in 10, 20 und 50 Jahren wird Bremen ein Herz aus Stahl haben. Und das ist eine richtig gute Nachricht“, sagte Bremens Regierungschef Andreas Bovenschulte (SPD). „Wir werden diesen Transformationsprozess als Land unterstützten mit rund einer Viertelmilliarde Euro. “
ArcelorMittal ist ein wichtiger Stahlhersteller in Deutschland. Allein in Bremen arbeiten rund 3500 Menschen für den Konzern, auch in der Region hängen viele Arbeitsplätze an der Stahlproduktion. Das Unternehmen stellt dort bis zu 3,7 Millionen Tonnen Rohstahl pro Jahr her. Weitere Standorte befinden sich in Eisenhüttenstadt, Hamburg und Duisburg. In Sandersdorf-Brehna (Sachsen-Anhalt) ist zudem eine Niederlassung von ArcelorMittal Construction.