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24-Stunden-Reportage

THacken-Helmut: Buxtehuder Schuhmacher fertigt mehr als Mode

Zwei seltene Handwerker unter sich: Schuhmachermeister Udo Alpers (links) repariert dem Schmied Cuma Cengiz die Lederschürze.

Zwei seltene Handwerker unter sich: Schuhmachermeister Udo Alpers (links) repariert dem Schmied Cuma Cengiz die Lederschürze. Foto: Thomas Sulzyc

Nur noch sechs Schuhmacherbetriebe gibt es im Landkreis Stade. In Buxtehude führt Hacken-Helmut das alte Handwerk fort. Warum Risse oder Löcher beliebte Sneakers noch längst nicht zur Wegwerfware machen.

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Von Thomas Sulzyc
Montag, 08.07.2024, 11:50 Uhr

Buxtehude. Welchen Seltenheitswert Schuhmacher mittlerweile haben, zeigt das: Die beinahe allwissende Internet-Suchmaschine Google wirkt irritiert, wird sie nach dem ehrwürdigen Handwerk gefragt: „Meintest Du Schumacher?“, antwortet Google auf die Suchanfrage „Schuhmacher“. Offensichtlich sind Anfragen nach dem früheren Formel-1-Rennfahrer Michael Schumacher weitaus häufiger als nach einem Fachmann für Schuhreparaturen.

Das Schuhmacherhandwerk ist selten geworden - und nur noch wenige beherrschen es. Zwei von ihnen sind Udo Alpers (60) und seine Frau Sabine Henning-Alpers (60). Er ist Meister, sie Gesellin. Zusammen betreiben sie in Buxtehude die Schuhmacherei mit dem griffigen Namen Hacken-Helmut. Was passiert in der Werkstatt zwischen 12 und 13 Uhr?

Dieser Kunde überrascht in der Werkstatt

Seit 44 Jahren existiert die Schuhmacherei Hacken-Helmut - zu Beginn kurzzeitig in Wohnste bei Sauensiek, dann an der Straße Zwischen den Brücken unmittelbar an der Buxtehuder Altstadt. Seit 1990 ist Udo Alpers Schuhmachermeister, aber an einen solchen Auftrag kann er sich nicht erinnern: Ein Schmied betritt seinen Laden und bittet ihn, die Riemen an seiner Lederschürze zu reparieren.

Zwei seltene Handwerker unter sich: Schuhmacher und Schmied. Udo Alpers ist ein Experte für Lederverarbeitung - und nimmt sich der Lederschürze an. Die Reiterei zumindest ist dem Schuhmacherhandwerk nicht fremd: Hufschuhe geben Kunden gelegentlich zur Reparatur ab. „Oder auch Reitstiefel, die kosten mehrere Hundert Euro“, sagt Sabine Henning-Alpers.

Unterschied Schuhmacher und Schuster

Er sei Schuhmacher - nicht Schuster, sagt Udo Alpers, während er den Riemen näht. Der Unterschied: Der Schuhmacher fertigt Schuhe, der Schuster repariert Schuhe. Selbstverständlich repariert auch Udo Alpers Schuhe - aber er besitzt die immer seltener werdende Fähigkeit, Schuhe herzustellen. Er zeigt einen eleganten Herrenschuh aus Leder. Mit den eigenen Händen gefertigt, sein Meisterstück.

Früher habe die Schuhmacherei Hacken-Helmut zusätzlich Westernstiefel verkauft, erzählt Sabine Henning-Alpers. Wandbretter im Ladengeschäft, wie zur Präsentation der edelsten Stücke in einer Boutique, erinnern heute noch daran. Aber der Handel damit sei seit etwa zehn Jahren vorbei. Die Konkurrenz der größeren Händler, die günstigere Preise bieten konnten, war zu übermächtig.

Schuhmacher schenkt Sneakers ein neues Leben

Das ist heute Mode: Sneakers. Sportliche Schuhe aus Kunststoff sind die Fußbekleidung zu jedem Anlass: Junge und Alte tragen sie, im Beruf und in der Freizeit. Sneakers haben oft eine geringe Lebensdauer. Ihre Beliebtheit steht im Widerspruch zu dem Nachhaltigkeitsprinzip, dem sich nahezu jede Wirtschaftsbranche zumindest öffentlich verschreibt: dem schonenden Umgang mit Ressourcen.

Reparieren statt wegwerfen: Schuhmachermeister Udo Alpers befestigt mit Nägeln den Absatz am Schuh.

Reparieren statt wegwerfen: Schuhmachermeister Udo Alpers befestigt mit Nägeln den Absatz am Schuh. Foto: Thomas Sulzyc

Sneakers sind oft Wegwerfware. Dass es anders geht, zeigt Schuhmachermeister Udo Alpers an einem Schuh des beliebten Sportartikelherstellers Nike. Der Zeh stößt durch das Meshgewebe, ein leichter Stoff mit netzartiger Optik. Das Material muss vorbehandelt werden - der Meister weiß wie. Dann legt er einen Flicken aus Leder unter das Gewebe und befestigt ihn mit Klebstoff. Zuvor schärft er das Leder aus - für einen glatten Übergang. „Ist ein bisschen fummelig“, sagt der Meister. Aber der Schuh erhält ein neues Leben.

Wegwerfmentalität: Kunden holen Schuhe nicht ab

Reparatur statt neu kaufen. Das denkt sich auch eine Kundin, die den Laden betritt. „Ich habe die Schuhe drei Mal getragen und die Ledersohle ist durch“, sagt sie. Wegwerfen sei keine Option. „Nicht bei 250-Euro-Schuhen!“ Wie alle anderen Kunden und Kundinnen auch, zahlt sie im Voraus. Das ist so üblich bei Hacken-Helmut.

Bis zu 40 Paar Schuhe im Jahr, so die Erfahrung aus der Vergangenheit, hätten Kunden und Kundinnen nicht abgeholt, obwohl sie eine Reparatur beauftragt haben. Das sei der Grund für die Vorkasse. Udo Alpers zeigt auf ein Regal, in dem Schuhe lagern, die vergeblich auf ihren Besitzer warten. „Nach zwei Jahren holt keiner die Schuhe ab“, sagt er dazu.

So entstand der Name Hacken-Helmut

Hacken-Helmut - das ist griffig mit Bezug zur Branche, hat Humor, ist leicht zu merken. Gut für das Marketing. Wie kam es eigentlich zu dem Firmennamen? Die Antwort weiß Sabine Henning-Alpers, sie war vor 44 Jahren bei der Namensgebung dabei. Hacken-Helmut ist ihr Vater Helmut Henning, der den Schuhmacherbetrieb gründete. Ein Großhändler habe damals den Firmennamen vorgeschlagen - und so kam es dann auch. „Als Teenager fand ich den Namen erst peinlich“, erinnert sich Sabine Henning-Alpers. Aber das änderte sich mit der Zeit.

Seit 44 Jahren existiert der Schuhmacherbetrieb Hacken-Helmut: Der Name ist griffig und humorvoll.

Seit 44 Jahren existiert der Schuhmacherbetrieb Hacken-Helmut: Der Name ist griffig und humorvoll. Foto: Thomas Sulzyc

Sabine Henning-Alpers hatte im Gründungsjahr 1980 frisch die Schulausbildung absolviert und stieg in den Familienbetrieb ein. „Vater brauchte Hilfe“, sagt sie. Geblieben ist die Schuhmachergesellin bis heute. Udo Alpers kam wenige Jahre nach der Gründung hinzu.

Sie ist die Tochter des Gründers des Schuhmacherbetriebs Hacken-Helmut: Sabine Henning-Alpers arbeitet auf diesem Foto an der Ausputzmaschine.

Sie ist die Tochter des Gründers des Schuhmacherbetriebs Hacken-Helmut: Sabine Henning-Alpers arbeitet auf diesem Foto an der Ausputzmaschine. Foto: Thomas Sulzyc

Schuhweiter erhöht den Tragekomfort

Mehrere Maschinen verleihen der Werkstatt das Flair einer Manufaktur. Eine Ausputzmaschine zum Beispiel. Mit ihr gleicht der Schuhmacher bei feinen Einschleifarbeiten Absätze und Sohlen an oder raut Schuhböden und Klebeteile auf. Auf einem Schuhweiter sind zwei Schuhe gespannt. Zwei bis drei Tage dauert es, bis der Schuh geweitet ist und dem Fuß seines Besitzers mehr Tragekomfort verleiht. „Eine Nummer größer macht es den Schuh aber nicht“, sagt Udo Alpers. Manche Kunden erwarteten das aber.

Zwei bis drei Tage lang bleiben die Schuhe am Schuhweiter aufgespannt: Danach hat der Fuß spürbar mehr Platz.

Zwei bis drei Tage lang bleiben die Schuhe am Schuhweiter aufgespannt: Danach hat der Fuß spürbar mehr Platz. Foto: Thomas Sulzyc

Das Schuhmacherhandwerk dagegen schrumpft. Öffentliche Statistiken zur Entwicklung der Branche sind veraltet und lückenhaft. Das ist auch ein Indiz des Aussterbens. Der Zentralverband des Deutschen Schuhmacher-Handwerks ging im Mai 2018 davon aus, dass es 1800 bis 2200 Betriebe in Deutschland gebe, in denen ein Meister Inhaber oder als Betriebsleiter beschäftigt ist. Der Trend sei rückläufig, sagte der Branchenverband vor sechs Jahren. Bildete das Schuhmacherhandwerk in Deutschland im Jahr 2000 noch 180 Auszubildende aus, waren es im Jahr 2018 nur noch 46.

Nur sechs Schuhmacherbetriebe im Kreis Stade

Im Landkreis Stade existiert keine Schuhmacherinnung mehr. Sechs Schuhmacherbetriebe sind nach Angaben der Handwerkskammer Braunschweig-Lüneburg-Stade im Landkreis noch ansässig, davon vier in Buxtehude und jeweils einer in Stade und Freiburg.

52 Schuhmacher zwischen Nordsee und Harz

Im gesamten Kammerbezirk sind es 52 Schuhmacher-Betriebe. Der Bezirk der Handwerkskammer Braunschweig-Lüneburg-Stade umfasst 16 Landkreise und drei kreisfreie Städte (Braunschweig, Salzgitter und Wolfsburg), reicht von der Nordsee bis zum Harz.

Wie lange bewahrt Hacken-Helmut noch das seltene Handwerk? Udo Alpers und seine Ehefrau Sabine Henning-Alpers sind beide 60 Jahre alt. Eine Prognose sei schwierig, antwortet der Schuhmachermeister.

Von Schuhen allein können Schuhmacher nicht leben. Aber manchmal ergeben sich unerwartet neue Geschäftszweige: Vor Freude strahlend nimmt jedenfalls Schmied Cuma Cengiz aus Bliedersdorf seine reparierte Lederschürze entgegen. Der Riemen hält - hat ja auch ein Meister gemacht.

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