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Schloss Bellevue

THass und Hetze: Darum ist Harsefelds Bürgermeisterin beim Bundespräsidenten eingeladen

Susanne de Bruijn ist als ehrenamtliche Bürgermeisterin von Harsefeld zum Bundespräsidenten eingeladen.

Susanne de Bruijn ist als ehrenamtliche Bürgermeisterin von Harsefeld zum Bundespräsidenten eingeladen. Foto: Fehlbus

Susanne de Bruijn ist ehrenamtliche Bürgermeisterin von Harsefeld. Sie kennt Beschimpfungen der Kommunalpolitiker nach unpopulären Entscheidungen, meist in den sozialen Medien. Das berichten Ratsmitglieder.

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Von Miriam Fehlbus
Mittwoch, 10.04.2024, 07:18 Uhr

Harsefeld. Der Brief erreichte sie am Tag ihres 59. Geburtstags. Susanne de Bruijn konnte es erst nicht glauben: Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat sie für den 11. April ins Schloss Bellevue nach Berlin eingeladen. Gemeinsam mit 80 weiteren ehrenamtlichen Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern aus ganz Deutschland nimmt sie an der Veranstaltung „Demokratie beginnt vor Ort“ teil.

Das Treffen stellt das ehrenamtliche Engagement in den Mittelpunkt. Es soll Menschen würdigen, die sich in der Kommunalpolitik für die Demokratie einsetzen - stellvertretend für viele. Warum gerade sie ausgewählt wurde, weiß Susanne de Bruijn, die seit 22 Jahren für die Freie Wählergemeinschaft Kommunalpolitik macht, nicht. „Ich fühle mich sehr geehrt und bin gespannt auf die Gespräche und den Austausch mit dem Bundespräsidenten und den weiteren ehrenamtlichen Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern“, sagt sie.

Respektlosigkeit gegenüber ehrenamtlichem Engagement

Demokratie beginnt beim Bürger. Jeder, der sich dafür einsetzt, dass seine direkte Umgebung lebenswert bleibt oder wird, trägt dazu bei. Aber das politische Ehrenamt durchlebt schwere Zeiten. Im Rahmen der Veranstaltung im Schloss Bellevue werden die Ergebnisse einer repräsentativen Forsa-Umfrage unter ehrenamtlichen Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern im Auftrag der Körber-Stiftung präsentiert. Auch Susanne de Bruijn hat an der Umfrage teilgenommen. Die Ergebnisse beleuchten die Rahmenbedingungen des Ehrenamts, die wahrgenommene gesellschaftliche und politische Stimmung in den Kommunen sowie die Erfahrungen der Amtsträger mit Bedrohungen und Gewalt im Kontext ihrer eigenen Arbeit.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier empfängt 80 ehrenamtliche Bürgermeister in Berlin.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier empfängt 80 ehrenamtliche Bürgermeister in Berlin. Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa

Viele Ratsmitglieder, auch in Harsefeld, berichten von Respektlosigkeit, Anfeindungen und von falschen Vorstellungen bei einigen Bürgern über die Höhe der Bezahlung. Anders als für die Gewählten in Land- oder Bundestag gibt es keine großzügigen Diäten, die auf Gemeindeebene den Aufwand für investierte Zeit und abendliche Sitzungen abgelten - auch nicht für ehrenamtliche Bürgermeister.

Schutz für die Familien nach unpopulärer Entscheidung

„Wir übernehmen Verantwortung als einfache Bürger“, sagt Susanne de Bruijn. Als Ratsmitglieder seien sie dieselben Menschen wie vor dem Eintritt in den Ratssaal, mit den gleichen Problemen und Themen wie sie bei vielen im Alltag auftauchten. „Wir als Rat diskutieren es nur aus“, sagt die Harsefelderin. Es gebe immer andere Meinungen. Der intensive Austausch vor jedem Beschluss sei wichtig.

Das gewählte Gremium des aktuellen Harsefelder Gemeinde- und des Samtgemeinderats pflege einen kollegialen Umgang. Auch unpopuläre Entscheidungen wie etwa für die Umwandlung der Oberschule und der Grundschule Ahlerstedt in eine gemeinsame Einrichtung (GOBS) werden mehrheitlich und fraktionsübergreifend gefällt. Das Thema hatte für Proteste und Beschimpfungen bis hin in das private Umfeld Einzelner gesorgt. Am Ende wurde in geheimer Wahl über die GOBS abgestimmt. Die Besonderheit mit dem Gang in die Wahlkabine in öffentlicher Sitzung bot Schutz für die Familien der Ehrenamtlichen. Die Beleidigungen in den sozialen Medien sind eine Sache, in der Kommunalpolitik ist der Weg zum Wohnhaus nicht weit.

„Für unsere Demokratie zu kämpfen, war niemals so wichtig wie jetzt“

Beleidigungen und Einschüchterungen können den Demokratiegedanken ins Wanken bringen. Es seien die Gegner, die sich am lautesten zu Wort meldeten, sagt die Harsefelder Bürgermeisterin. Beim Verkehrsversuch in der Marktstraße war der Harsefelder Ratssaal zuletzt übervoll. Der Versuch einer Einbahnstraßenregelung wurde wegen des Meinungsbildes in der Einwohnerfragestunde vorzeitig abgebrochen. Im Nachhinein hätten sich viele gemeldet, die den Versuch gerne fortgesetzt hätten, denen das Ergebnis gefiel. Aber der Protest habe gesiegt, sagt de Bruijn, die sich heute nicht mehr alle Beschimpfungen so zu Herzen nimmt wie in der Anfangszeit ihrer politischen Arbeit.

Reaktionen im Kleinen wie bei der Marktstraße zeigten, wie wichtig es sei, auch bei den aktuellen großen Themen nicht nur den Lautesten ohne eigene Lösungen das Ruder zu überlassen. „Für unsere Demokratie zu kämpfen, war niemals so wichtig wie jetzt“, sagt Susanne de Bruijn.

Basis wird mit Umsetzung der Versprechen alleingelassen

Nach Berlin fährt sie aber auch mit einer Kritik. Landes- und Bundespolitik ließen die Basis zu oft allein mit Problemen, die eigentlich ihre sind, sagt die Mitbegründerin des Bürgermeisterinnen-Netzwerks Niedersachsen. Schule, Bildung, Kinderbetreuung, Flüchtlingsunterkünfte, Wohnraum: „Da oben werden Versprechen gemacht, und dann lassen sie uns damit alleine“, sagt die Harsefelderin.

Am Donnerstag empfängt Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier die Kommunalpolitiker in Schloss Bellevue. Hier sind eine Rede des Bundespräsidenten sowie Gespräche mit den ehrenamtlichen Amtsinhabern vorgesehen. Bereits am Mittwoch, 10. April, gibt es bei einem Netzwerktreffen der eingeladenen Bürgermeisterinnen und Bürgermeister Gelegenheit zum Austausch. Die Veranstaltung wird im Livestream auf https://koerber-stiftung.de/ übertragen.

60 Prozent der deutschen Bürgermeister sind Ehrenamtliche

Von den rund 11.000 Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern in Deutschland üben knapp 60 Prozent ihre Arbeit im Ehrenamt aus. Sie stünden für lokale Demokratiegestaltung und sicherten den gesellschaftlichen Zusammenhalt vor Ort, heißt es in der Einladung an Susanne de Bruijn. Menschen für das Amt zu begeistern und Nachwuchskandidaten zu finden, stelle sich jedoch zunehmend als herausfordernd dar. Vor diesem Hintergrund laden Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und die Körber-Stiftung zu der zweitägigen Veranstaltung ein. Auch, um dem ehrenamtlichen kommunalpolitischen Engagement den Rücken zu stärken.

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