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Medizin auf dem Land

THausarztpraxis in Assel schließt: Wo Patienten jetzt unterkommen

Anfang Juli hat Hausarzt Waclaw Junikiewicz seine Praxis in Assel geschlossen.

Anfang Juli hat Hausarzt Waclaw Junikiewicz seine Praxis in Assel geschlossen. Foto: Helfferich

Diese Info will wohl keiner von seinem Hausarzt oder seiner Hausärztin hören: Anfang Juli hat Hausarzt Waclaw Junikiewicz seine Praxis in Assel geschlossen. Und nun?

Von Deborah Hucht Freitag, 18.07.2025, 21:17 Uhr

Stade. Wer bei ihm Patient oder Patientin ist, hat noch bis zum Donnerstag, 24. Juli, die Möglichkeit, Unterlagen herauszuholen. Rezepte oder Termine gibt es keine mehr. Der Grund? „Ich habe schwere gesundheitliche Probleme“, sagt Junikiewicz im Gespräch mit dem TAGEBLATT. Und zählt dann auf: „Zustand nach Herzinfarkt, Zustand nach Schlaganfall, Diabetes. Aktuell bin ich wegen meiner Augen in Behandlung. Ich werde im August operiert. Grauer Star.“

Junikiewicz hat die Praxis 36 Jahre lang geführt

Der 78-Jährige kam 1988 in die Gemeinde Drochtersen und übernahm 1989 die Praxis in Assel. Er habe die Praxis gerne geführt, aber nach 36 Jahren gehe es nicht mehr. „Die Patienten erwarten etwas anderes, wenn sie zum Hausarzt gehen“, sagt er. „Ich kann nicht mehr das leisten, was notwendig wäre.“

Bis zu 1200 Patientinnen und Patienten habe er pro Quartal behandelt. Menschen, die nun eine neue Hausarztpraxis suchen. Die Nachricht macht aktuell auf der Facebook-Seite „Deichnews“ die Runde und sorgt dort für einige Aufregung. „Wie eine Nadel im Heuhaufen“ fühle es sich an, einen neuen Hausarzt zu finden, kommentiert eine Facebook-Userin. 15 Ärzte habe sie angerufen, bevor sie eine Praxis aufgenommen habe, schreibt eine andere.

Die Schließung der Praxis in Assel sei zu bedauern, komme allerdings nicht überraschend, so der Vorsitzende des Stader Bezirksausschusses der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen (KVN), Dr. Stephan Brune. „Die Hausärzteversorgung im Landkreis Stade ist seit gut zehn Jahren sehr angespannt“, erklärt er. „Aktuell droht eine Unterversorgung.“

Allein in Niedersachsen fehlen 500 Hausärzte

In ganz Niedersachsen fehlen derzeit etwa 500 Hausärzte. Zu wenig junge Ärztinnen und Ärzte lassen sich in der Fachrichtung Allgemeinmedizin ausbilden. Und: Die jungen Hausärztinnen und Hausärzte ziehe es dann eher in Ballungsräume und weniger aufs Land.

Waclaw Junikiewicz hat versucht, seine Praxis zu verkaufen. Ein geeigneter Nachfolger habe sich nicht gefunden. Zu wenige Bewerbungen. Er sagt: „Es war einfach kein richtiges Interesse da.“

Die niedersächsische Landesregierung versucht, dem Mangel an Hausärzten im Land entgegenzusteuern. Im Februar 2025 wurde der Maßnahmenkatalog „10-Punkte-Aktionsplan für mehr Hausärztinnen und Hausärzte in Niedersachsen“ vorgestellt. Dieser beinhaltet unter anderem ein Stipendienprogramm für Medizinstudentinnen und -studenten, die sich zu einer hausärztlichen Tätigkeit in Niedersachsen verpflichten.

Landkreis Stade lockt junge Mediziner

Im Landkreis Stade gibt es zudem die Initiative Landgang, die Praktikumsplätze für angehende Allgemein-Ärztinnen und -Ärzte vermittelt und darüber hinaus noch mit kostenloser Unterbringung unterstützt. Die Ausbildung in der Allgemeinmedizin dauert ihre Zeit – wie bei jeder anderen Fachrichtung auch.

Auf sechs Jahre Medizinstudium folgen fünf Jahre Facharztausbildung. Bis im Landkreis Stade positive Auswirkungen dieser Initiative zu spüren seien und es genügend Hausärztinnen und Hausärzte gebe, werde es also noch gut zehn Jahre dauern, schätzt Brune von der KVN ein.

So lange können Menschen, die durch die Schließung der Praxis von Waclaw Junikiewicz ihren Hausarzt verlieren, nicht warten. Einen Teil der Patientinnen und Patienten übernehme seine Kollegin Boguslawa Derdowski in Osten (Telefon: 04771/4720), sagt Junikiewicz. Und diejenigen, die dort nicht unterkommen? „Herumtelefonieren – etwas anderes hilft leider nicht“, sagt Brune.

Über die Arzt-Auskunft Niedersachsen lassen sich Hausarztpraxen nach Postleitzahlen suchen. Wer akut medizinische Hilfe benötigt, kann über die Service-Nummer 116 117 der KVN eine medizinische Ersteinschätzung bekommen oder wird bei Bedarf an eine Bereitschaftspraxis vermittelt.

Telemedizin-Raum in Assel öffnet im August

Parallel ist die Gemeinde Drochtersen gerade dabei, eine Übergangslösung vor Ort in Assel auf die Beine zu stellen. „Wir machen schon länger einiges im Bereich der ärztlichen Versorgung“, erklärt Bürgermeister Mike Eckhoff und fügt hinzu: „Ganz aktuell bereiten wir einen Raum für Telemedizin in Assel vor.“

Seit bekannt ist, dass die Praxis in Assel schließt, organisiert Melanie Philip von den Pflegepionieren eine telemedizinische Sprechstunde. Sie leitet das EU-geförderte Projekt „PuG: Pflege und Gesundheitsversorgung im ländlichen Raum stärken“, das seit 2023 Lösungen für die Pflege- und Gesundheitsversorgung via Telemedizin und Telepflege erarbeitet.

Ab dem 25. August können Bürgerinnen und Bürger in der DRK-Begegnungsstätte in Assel (Asseler Straße 34) zweimal im Monat eine telemedizinische Sprechstunde besuchen (Termine siehe www.arzt-assel.de). Vor Ort betreut die Pflegefachkraft Ilse Mahler die Patientinnen und Patienten und bedient dabei den Telemedizin-Koffer. Über diesen können verschiedene Untersuchungen wie etwa eine Blutdruckmessung oder das Abhören der Lunge durchgeführt werden.

Hausarzt aus Wischhafen hilft bei Telemedizin

Sofern ein Arztgespräch notwendig ist, findet dieses per Telefon oder Video-Telefonie statt. Am anderen Ende der Leitung sitzt dabei kein Unbekannter: Rainer Feutlinske, Hausarzt in Wischhafen, unterstützt das Projekt und wählt sich ein, um Untersuchungsergebnisse zu besprechen und Rezepte auszustellen.

Die telemedizinische Sprechstunde ersetze auf Dauer zwar keine Hausarztpraxis, sei aber eine gute Alternative für den Moment, sagt Melanie Philip. Parallel führen sie und Mike Eckhoff bereits Gespräche mit einer potenziellen Nachfolge für Waclaw Junikiewicz.

Neben der Sprechstunde arbeitet Melanie Philip an einem weiteren Projekt: Die Website www.arzt-assel.de, die am 1. August live gehen soll, wird nicht nur Termine für den Telemedizin-Raum in Assel abbilden. Es sollen dort auch freie Kapazitäten bei Hausärztinnen und Hausärzten in Drochtersen und im Landkreis Stade aufgezeigt werden. Philip: „So wird die Suche nach einer neuen Hausarztpraxis stark vereinfacht.“

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