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Ärzte widersprechen

THoher Krankenstand: Chefs wittern Missbrauch

Die Möglichkeit zur telefonischen Krankschreibung erleichtere die Praxisabläufe und helfe auch den Patienten, so der Hausärzteverband.

Die Möglichkeit zur telefonischen Krankschreibung erleichtere die Praxisabläufe und helfe auch den Patienten, so der Hausärzteverband. Foto: Hannes P. Albert/dpa

Seit fast einem Jahr ist es dauerhaft möglich, sich per Telefon krankschreiben zu lassen. Wird das ausgenutzt? Hausärzte kreieren ein Schreckensszenario.

Von Timo Sieg Montag, 28.10.2024, 13:50 Uhr

Berlin. Während Corona war es schon möglich, seit Dezember 2023 ist es dauerhaft eingeführt: Arbeitnehmer können sich per Anruf bei ihrem Hausarzt krankschreiben lassen – für maximal fünf Tage, wenn sie der Praxis bekannt sind, keine schweren Symptome haben und keine Videosprechstunde möglich ist. Gleichzeitig steigen die Krankmeldungen: Die Techniker Krankenkasse meldete im Juli, dass im ersten Halbjahr 2024 die Beschäftigten so lange krankgeschrieben gewesen seien wie noch nie in diesem Jahreszeitraum.

Schon im September hatte Bundesfinanzminister Lindner (FDP) die Abschaffung der Telefon-AU wegen einer „Korrelation“ mit hohen Krankenständen gefordert. Jetzt sagt Steffen Kampeter, Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), die Arbeitgeber hätten 2023 rund 77 Millionen Euro für die Entgeltfortzahlung ihrer erkrankten Beschäftigten bezahlt. „Lasst uns zurückkehren zum bewährten Verfahren. Ungerechtfertigten Praktiken von digitalen Geschäftemachern müssen unterbunden werden. Das lässt Missbrauch wahrscheinlich erscheinen“, sagte Kampeter unserer Redaktion.

Digitale Geschäfte mit Missbrauch kritisierte auch eine Studie des Instituts für Wirtschaft im September. Demzufolge gebe es digitale Angebote, bei denen Nutzer sich eine elektronische Krankschreibung ohne Telefonat mit einem in Deutschland nicht approbierten Arzt besorgen könnten. Die Studie lieferte keine empirischen Belege, sondern warnte vor der Möglichkeit des Missbrauchs auf diesem Wege.

Hausärzte: Telefon-AU aus medizinischer Sicht sinnvoll

Nicola Buhlinger-Göpfarth ist Bundesvorsitzende des Hausärztinnen- und Hausärzteverbandes und sagt: „Die Einführung der Telefon-AU war aus medizinischer Sicht sinnvoll und ist bisher eine der ganz wenigen erfolgreichen politischen Maßnahmen zur Entbürokratisierung des Gesundheitswesens. Sie jetzt abzuschaffen, wäre schlichtweg absurd.“ Weiter sagt die Hausärzte-Chefin, Unterstellungen des Missbrauchs könne ihr Verband aus der täglichen Arbeit nicht bestätigen. Anfang Oktober sprach sich auch die AOK gegen den Vorwurf des Missbrauchs seitens Arbeitnehmern aus. Schon Auswertungen aus der Corona-Zeit hätten gezeigt, dass verantwortungsvoll mit der Telefon-AU umgegangen werde, hieß es.

Buhlinger-Göpfarth sieht andere Gründe für den Anstieg der Krankenstände: Durch die elektronische AU würden jetzt auch Krankschreibungen erfasst, die früher von Versicherten nicht an ihre Kassen gemeldet worden seien. „Außerdem sehen wir einen besorgniserregenden Anstieg von psychischen Erkrankungen“, sagt sie.

Mit Blick auf den Hausärztemangel, der immer mehr Regionen treffe, und einer steigenden Versorgungslast durch den demografischen Wandel sagt Buhlinger-Göpfarth: „Wer jetzt die Telefon-AU abschaffen will, riskiert die Patientenversorgung in den Infektmonaten. Unsere Praxen haben definitiv nicht die Kapazitäten, die Folgen irgendwelcher Scheinlösungen einzelner Politiker auszubaden.“ (dpa/mkr)

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