T„Ich bin kein Trophäenjäger“: Warum immer mehr Leute den Jagdschein machen

Thorben Rievesehl aus Nüttel liebt es, draußen in der Natur zu sein. Am kleinen Teich im Wald kann er abschalten. Vor Kurzem hat er den Jagdschein gemacht. Foto: Jakob Brandt
Jagen ist hip. Immer mehr Männer und Frauen machen den Jagdschein. Von Jägerboom und Jägerschwemme sprechen Kritiker. Was sind die Gründe, warum wollen heute so viele junge Leute Jäger werden? Wir haben nachgefragt.
Landkreis. Thorben Rievesehl aus Nüttel sitzt versonnen an seinem Teich im Wald, lauscht dem Konzert der Frösche, schaut der Rabenkrähe beim Nisten zu.
Er und seine Verlobte lieben dieses Plätzchen. Hier können sie abschalten, die Schönheit der Natur in vollen Zügen genießen.
Aus ihrem Grundstück am Wald haben sie ein kleines Paradies gemacht. Sie haben Obstbäume in die Erde gesetzt, Schlehen, Himbeeren und Brombeeren angepflanzt, den Teich so angelegt, dass sich Frösche, Kröten und Teichmolche darin wohlfühlen. Auch Eisvogel, Schleiereule und Fledermäuse sind bei ihnen zu Hause.
Wissen über Natur und Umwelt als Anreiz zum Jagdschein
Seit wenigen Tagen hält Thorben Rievesehl den Jägerbrief in den Händen. Er, der Naturmensch, der mit seinem irischen Terrier Karlsson gerne draußen unterwegs ist, ist jetzt auch Jäger.
„Ich habe den Jagdschein vor allem deshalb gemacht, um mein Wissen über Natur und Umwelt weiter zu vertiefen“, sagt er. Jagen, Tiere zu erlegen, sei nicht sein Hauptmotiv. Für einen Jäger gehöre es aber dazu.
Mehr als 400.000 Jäger in Deutschland
Der 33 Jahre alte Maurermeister und Bautechniker befindet sich in guter Gesellschaft. Laut dem Deutschen Jagdverband haben 2022 bundesweit 17.823 Männer und Frauen den Jagdschein gemacht. Damit stieg die Zahl der Jäger im Jagdjahr 2022/23 auf 436.325 an. Ein Rekord. Zum Vergleich: 40 Jahre früher, im Jagdjahr 1982/83, wurden 264.413 Jäger gezählt.
Rievesehl, der den Jagdschein nach einem Kompaktkurs bei einer privaten Jagdschule gemacht hat, hat vor, die nächste Zeit gemeinsam mit seinem Chef oder seinem Nachbarn auf die Pirsch zu gehen: „Ich schließe mich gern erfahrenen Jägern an, um von ihnen zu lernen.“
Marder und Waschbär richten große Schäden an
Ein Gespür dafür zu bekommen, wann bestimmte Räuber überhandnehmen und der Mensch eingreifen sollte, sei ihm wichtig. Momentan, sagt er, richten Neozoen, also gebietsfremde Arten wie Waschbär und Marderhund, großen Schaden an. „Wir müssen sie zurückdrängen, damit Rebhuhn und Fasan, Hase und Kaninchen eine Chance haben.“
Auch Rehe wird Thorben Rievesehl schießen. „Aber ich bin kein Trophäenjäger“, stellt er klar. „Ich schieße, weil wir die Bestände kurzhalten müssen.“ Denn: Zu hohe Bestände an Reh- und Damwild führen zu einer Vegetationsverarmung, weil Baumarten wie Tanne, Bergahorn, Buche, Esche, Eiche und Hainbuche stark verbissen werden.
Jagen des Fleisches wegen
Rehwild landet bei ihm eher selten auf dem Teller. Wenn er ein Tier erlegt hat, profitieren auch Nachbarn, Bekannte, Familie und Freunde davon. Das ist bei Kathrin Köhler und Sven Buecher, beide 45, anders.

Kathrin Köhler und Sven Buecher besitzen den Jagdschein seit knapp drei Jahren. Bei ihnen kommt jetzt Fleisch auf den Tisch, dass sie sich selbst geschossen haben. Foto: Jakob Brandt
Das Paar aus Poitzendorf isst gerne Fleisch. Am liebsten von Tieren, die natürlich aufgewachsen und nicht gemästet sind. So wie Rehe, Wildschweine und Enten. „Es gibt nichts Besseres als Wildfleisch aus der Region“, sagt Buecher.
„Anders als Schweine aus der Massentierhaltung haben Wildtiere ein schönes Leben gehabt. Ich glaube auch, dass Wild viel stressfreier getötet wird, dass die Tiere nicht einmal den Schuss hören.“
Köhler und Buecher sind seit knapp drei Jahren im Besitz eines Jagdscheins, den sie nach neunmonatiger Ausbildung bei der Jägerschaft Zeven erworben haben. Ihr Ansinnen: Mehr über Natur und Tierwelt zu erfahren. „Das hätte ich auch ohne Schießnachweis haben können“, sagt Kathrin Köhler.
„Aber ich mache nicht gern halbe Sachen. Bei mir muss es immer das volle Programm sein. Das praktische Können interessiert mich genauso wie der Kontakt zu anderen Leuten.“
Auf dem Hochsitz die Mitte finden
Beide sind gerne draußen in der Natur, bezeichnen sich auch als Naturmenschen. Sven Buecher ist von Beruf Bauingenieur, schätzt es, wenn er auch mal handwerklich tätig sein kann, zum Beispiel zusammen mit Gleichgesinnten einen Hochsitz bauen kann.
„Eine schöne Sache“, findet er. Auf die Jagd zu gehen, das sei für ihn eine gute Möglichkeit, sich zu erden, runterzukommen. Zu riechen. Zu hören.
Wer nur auf Waffen aus ist, kann zum Schützenverein
Kritiker des Jägerbooms glauben, dass einige nur den Jagdschein machen, um an Waffen zu kommen. Dieser Ansicht ist Buecher nicht. „Wer nur auf Waffen aus ist, kann es einfacher haben. Für den Fall braucht man nur in einen Schützenverein zu gehen.“
Deshalb einen Jagdschein zu machen sei viel zu aufwendig, denn es bestehe längst nicht jeder die Prüfung. „Wenn jemand waffengeil ist, wird er vorher ausgesiebt“, ist Buecher überzeugt. „Während eines neunmonatigen Jagdlehrgangs fallen solche Leute den Prüfern sicher auf.“
Pro und kontra Nachtzieltechnik
Wie halten es die Jungjäger mit moderner Nachtzieltechnik, mit der es möglich ist, selbst in rabenschwarzer Nacht Tiere zu erlegen? „Ich setzte keine Nachtsichtgeräte ein“, sagt Thorben Rievesehl
„Man muss dem Wild die Chance geben, sich nachts sicher zu fühlen.“ Bei der Seuchenbekämpfung verhalte es sich anders. „Ohne den Einsatz moderner Technik ist es nicht möglich, Wildschweine in gewünschter Zahl zu erlegen.“
Illegale Tötungen
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Kathrin Köhler liegt lieber im Bett, als nachts auf Jagd zu gehen, hilft ihrem Partner aber gerne beim Ausweiden und Zerlegen erlegten Wildes. Sven Buecher ist nachts gerne unterwegs, liebt die Stille. Den Einsatz von Nachtzieltechnik hält er für „absolut richtig“. Vor allem, wenn es um die Bejagung von Prädatoren wie Marderhunden, Waschbären und Füchsen geht.
„Die Eindämmung des Wildschweinbestandes ist ohne diese Technik unmöglich“, sagt auch er. „Früher haben wir auf klare Sicht bei Vollmond gehofft. Ist es bewölkt, kann ich Sau und Keiler kaum unterscheiden. Das passiert mir mit Nachtsichtgeräten nicht.“
Mit Ehrfurcht und Demut jagen
Die Meinung, dass das Wild keine Ruhe mehr findet, teilt er nicht. „Das liegt am Jäger, daran, wie verantwortungsvoll er mit der neuen Technik umgeht.“ Buecher ist davon überzeugt, dass nachts keine Rehe bejagt werden: „Das darf man in Niedersachsen auch nicht.“ Mit Ehrfurcht und Demut jagen, daran möchte Kathrin Köhler festhalten. „Man muss sich immer wieder selbst sagen: ‚Nein, das mache ich nicht.‘“
Wie erklären sich die Jungjäger sich den momentanen Hype? Thorben Rievesehl greift auf Erfahrungen zurück, die er einst in München gemacht hat: „Es gibt Leute“, sagt er, „die möchten dazugehören, andere haben den Wunsch, sich gesellschaftlich abzusetzen, ein bestimmtes Prestige zu pflegen. Wiederum andere haben Interesse, sich einen besonderen Hund zu halten. Ob es den Hype erklärt, weiß ich nicht.“
Auch Kathrin Köhler kann sich den Hype nicht wirklich erklären: „Ich glaube nicht, dass es des Fleisches wegen ist, bei einigen Frauen ist es sicher ein Stück Emanzipation.“ Ihr Partner sieht es so: „Vielleicht ist es das Kontrastprogramm zur digitalen Welt und zum Bürojob. Ich glaube übrigens nicht“, sagt Buecher, „dass jeder, der den Jagdschein macht, später auch auf Jagd geht.“