TImplantcast in Buxtehude: Vom Start-up zum Big Player

Die Gusstraube glüht noch. In ihr stecken frisch gegossene Implantate. Foto: Tom Figiel
Bei Implantcast in Buxtehude arbeiten 878 Menschen an der Entwicklung und Produktion medizinischer Implantate. Es sollen noch mehr werden. Dafür tut das Unternehmen einiges.
Buxtehude. Natürlich hat Jens Saß ein Kniegelenk in seinem Büro. Er hat es gerade aus dem Regal genommen, um mit mit eckigen Bewegungen vorzuspielen, wie eine Robotereinheit es von allen Seiten bearbeitet. In der Produktion in der Halle nebenan sieht er immer wieder gerne zu, sagt der Implantcast-Chef. Das war schon damals so, als die Kniegelenke noch von Hand gegossen, geschliffen und poliert wurden.
Die Idee war gut - das Geschäft anfangs nicht
1988 wurde das Unternehmen unter dem Namen implantcast Feinguss GmbH in Buxtehude gegründet. Wie es der Name sagt, sollten Implantate hergestellt werden, ursprünglich hauptsächlich modulare Tumorendoprothesen (BSTR) und Titan Schleuderguss in der Dentaltechnik.
Die Idee war gut, das Geschäft anfangs nicht. 1990 übernahm darum Wilfried Mohr alle Anteile der drei Gründer. Er hatte 1970 in Hamburg bereits das heute international erfolgreiche Pharmaunternehmen Medac gegründet und wollte die Sache noch nicht aufgeben.

Jens Saß. Foto: Implantcast
1994 schickte er darum einen jungen Betriebswirt namens Jens Saß nach Buxtehude. Der war gerade frisch von der Uni zu Medac gekommen und sollte sich jetzt nebenbei die kleine Firma Implantcast ansehen, die sich mit zehn Mitarbeitern im Technologiezentrum Buxtehude (TZB) eingemietet hatte. „Der Umsatz lag bei 1,2 Millionen Mark, die Verluste lagen bei 1,3 Millionen“, erinnert sich Saß. Mohr ließ ihm freie Hand: Er sollte sehen, was sich machen ließe und möglichst viel dabei lernen.
Saß übernahm die Sache als geringfügig Beschäftigter neben seinem Hauptjob. Doch schon bald widmete er sich der Implantcast mit Feuereifer und eignete sich immer mehr medizinisches Fachwissen an. „Meine Frau ist Ärztin. Ihren Anatomie-Atlas habe ich mir geschnappt und abends gebüffelt“, erzählt er. Dass sie sich beim Abendbrot über Themen austauschen konnten, sei oft hilfreich gewesen.
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Jens Saß sagt, dass es vor allem ein Mensch war, der ihn davon überzeugte, dass Implantcast eine Zukunft hatte: Professor Winfried Winkelmann. Der Tumororthopäde, der heute für seine Erfolge im Kampf gegen bösartige Knochentumore weltbekannt ist, arbeitete schon in den ersten Jahren mit Implantcast in der Entwicklung zusammen. So entstand auch das modulare Tumorprothesensystem MUTARS®, mit dem sich große Gelenke wie Hüfte, Knie, Schulter und Ellenbogen standardisiert ersetzen lassen. Implantcast hat sich das patentieren lassen. Aktuell hält die Buxtehuder Firma fünf Patente und hat zwei weitere im Sinn.
Schon 1995/96 war die schwarze Null erreicht. 1996, mit 31 Jahren, wurde Jens Saß Geschäftsführer. 1998 hatte das Unternehmen 39 Mitarbeiter, 1999 bezog es ein eigenes Gebäude an der Lüneburger Schanze. Diese Keimzelle gehört bis heute zum Werk West. „Wir saßen noch im TZB, als ich zu Wilfried Mohr gesagt habe: 10 Millionen Umsatz sollten wir sicher schaffen“, berichtet Jens Saß. Bald darauf war es so weit - und zwei Jahre später schon wieder. Diesmal aber nicht in D-Mark, sondern in Euro.
878 Beschäftigte sind es - 1000 sind angepeilt
Saß peilte das nächste Ziel an: Er wollte die 100 Millionen Euro beim Umsatz knacken und es auf 1000 Beschäftigte bringen. Das erste Vorhaben ist wahr geworden, aktuell sind es sogar 119 Millionen Euro Jahresumsatz. Der zweite Teil des Ziels rückt näher: 2008 hatte die Firma circa 170 und 2019 fast 600 Mitarbeiter in Buxtehude, aktuell sind es 878.
Weitere arbeiten in Tochterfirmen, etwa in Polen und Italien, die aber nur im Vertrieb aktiv sind. Dazu gibt es in vielen Ländern Distributoren. Weltweit ist Implantcast in 84 Ländern unterwegs und generiert 70 Prozent des Umsatzes durch Export.

Beim Townhall Meeting, hier 2024, spricht Jens Saß vor der versammelten Belegschaft über die Entwicklung der Firma und beantwortet Fragen. Foto: Implantcast
Automatisierung und Digitalisierung machen viele Prozesse schlanker, doch durch das Wachstum braucht die Firma trotzdem mehr Arbeitskräfte. Das Kerngeschäft mit Entwicklung, Produktion und Vertrieb an einem Standort läuft in Buxtehude. So soll es auch bleiben, sagt Saß.
Erstens, weil es allen Beteiligten ein besseres Verständnis ermögliche, wenn sie sich räumlich nah sind. Zweitens, weil Buxtehude die Nähe zu Hamburg bietet, aber auch den Kreis Stade als Einzugsgebiet, um Arbeitskräfte zu finden. Und drittens, weil die Zusammenarbeit mit der Stadt Buxtehude immer gut war - zum Beispiel, wenn der wachsende Betrieb wieder einmal neue Flächen brauchte.
Auch jetzt wird Platz wieder knapp. „Es hat manchmal ein bisschen was von Tetris“, sagt die 37-jährige Prokuristin Ines Jordan, die für Personal und Prozessoptimierung verantwortlich ist.
Im November soll wieder ein Gebäude eingeweiht werden: Der 15 Meter hohe Neubau mit Photovoltaik-Fassade ist der zwölfte Bauabschnitt seit 1999. Neben Büros, Gießerei und Zerspanung hat Implantcast unter anderem ein Trainings- und Konferenzzentrum und 2023 das neue 3D-Druckzentrum gebaut.

Ines Jordan. Foto: Implantcast
Das Bekenntnis zu Buxtehude zeigt sich auch im Engagement für Soziales, Sport und Kultur vor Ort, von Feuerwehr bis BSV. Dass dabei die Jugend im Fokus ist, hat einen positiven Nebeneffekt: Nachwuchswerbung. In Zeiten des Fachkräftemangels ist das wichtig.
Wie Implantcast der attraktivste Arbeitgeber werden will
„Beim Zukunftstag haben wir schon immer so viele genommen, wie wir konnten“, sagt Jens Saß. Mehrere Kollegen, die heute bei Implancast arbeiten, seien am Zukunftstag zum ersten Mal mit der Firma in Berührung gekommen.
„Wir haben uns vorgenommen, der attraktivste Arbeitgeber Buxtehudes zu werden“, sagt Ines Jordan. Dafür unternehme Implantcast einiges:
- Eine jährliche Gehaltsanpassungsrunde
- Jährliche systematische MA-Gespräche
- Eine jährliche Mitarbeiter-Befragung
- Feedback-Briefkästen für die Belegschaft
- Townhall Meetings: Dieses Format soll mehr Transparenz schaffen und für ein besseres Verständnis sorgen, erklärt Ines Jordan. Die Geschäftsleitung berichtet dabei vor allen Mitarbeitern über den Betrieb und wichtige Neuerungen und beantwortet deren Fragen. Diese können auch anonym im Vorwege eingereicht werden.
- Möglichkeiten zum Mitgestalten: Mitarbeiter werden aktiv eingebunden, sei es bei der Einführung des ERP-Systems (Enterprise Resource Planning System, eine Softwarelösung, mit der alle wichtigen Geschäftsprozesse integriert gesteuert werden) oder bei der Einführung von Künstlicher Intelligenz, die aktuell von einem Team freiwilliger Pioniere in verschiedenen Abteilungen erprobt wird.
- Unterstützung: In Kooperation mit einem externen Anbieter werden Coachings zum Umgang mit Stress und zu Mental-Health und bei Sucht- oder Schuldenproblemen angeboten.
- Aus- und Fortbildung: Es gibt 21 Azubis, 15 gewerbliche und sechs kaufmännische. Ab August kommen 11 neue Azubis dazu, acht gewerbliche, zwei kaufmännische und einer in der IT. Ab September bekommt Implantcast drei duale Studenten - der erste Jahrgang im dualen Studium. Zudem sind in diversen Bereichen Werkstudenten beschäftigt.
- Nachhaltigkeit: Für die Mitarbeiter gibt es Bike Leasing und Fahrradparkhaus, für den Fuhrpark werden nur noch Elektrofahrzeuge angeschafft. implantcast hat auf den Dächern Photovoltaikmodule mit einer Leistung installiert, die für 200 Einfamilienhäuser reichen würde. Das deckt 10 Prozent des Bedarfs, denn die Produktion ist energieintensiv. Für den Rest soll noch in diesem Jahr auf 100 Prozent Ökostrom umgestellt werden. „Damit sparen wir 1200 Tonnen CO2 pro Jahr. Das liegt auch vielen Mitarbeitern am Herzen“, sagt Saß.
Am Herzen liegt den Mitarbeitern auch etwas, das vielleicht die wichtigste Motivation ist: „Wir machen Produkte, mit denen es Menschen wirklich besser geht“, sagt Ines Jordan. Jens Saß zeigt auf einen Karton voller Trikots, die er gerade in Empfang genommen hat.
Die meisten sind für Mitarbeiter, die an einer Sportveranstaltung teilnehmen wollen. „Eins davon ist aber für einen Kunden“ sagt er. Der ehemalige Tumorpatient will es tragen, weil er bei einem Volkslauf an den Start geht - mit einem Kniegelenk von Implantcast.