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Integration

TJunger Stader berichtet: Der lange Weg vom Flüchtling zur Fachkraft

Mohammed Zia Hosseini an seinem Arbeitsplatz: Er ist Kfz-Mechatroniker bei der KVG in Stade.

Mohammed Zia Hosseini an seinem Arbeitsplatz: Er ist Kfz-Mechatroniker bei der KVG in Stade. Foto: Richter

Mohammed Zia Hosseini kam als 13-jähriger afghanischer Flüchtling nach Stade. Neun Jahre später hat er eine Ausbildung und einen Job als Kfz-Mechatroniker. So hat er das geschafft.

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Von Anping Richter
Dienstag, 04.02.2025, 17:50 Uhr

Stade. Flucht vor den Taliban, Kinderarbeit im Iran, auf der Balkanroute nach Deutschland: Mohammed Zia Hosseini hatte schon einiges hinter sich, als er 2016 im zarten Alter von 13 Jahren nach Deutschland kam. Dass er heute ein norddeutsches Mittelstandsleben lebt, war damals überhaupt nicht absehbar. Es brauchte viel Willenskraft, aber auch etwas Glück. Denn er hat in Stade eine neue Familie gefunden - und damit ideale Integrationsbedingungen.

Mohammed nennt Richard Peters und seine Frau Melina bis heute nur Papa und Mama. Schon 2017 berichtete das TAGEBLATT über sein Leben in der Stader Pflegefamilie. Heute ist er einen Kopf größer, neun Jahre älter und steht auf eigenen Füßen. Eigentlich würde er öffentlich gar nicht über sein Leben sprechen. Dass er es trotzdem tut, hat einen triftigen Grund: „Viele haben von Afghanen keine gute Meinung. Ich möchte, dass die Leute verstehen, dass nicht alle gleich sind. Wir sind Menschen wie alle anderen auch.“

Der Kinderarbeit im Iran entkommen

Vor 22 Jahren wurde er in Bamiyan in Afghanistan geboren. In Deutschland wird er bei seinem ersten Namen gerufen: Mohammed. Seine Ursprungsfamilie, die zur ethnischen Minderheit der Hazara gehört, nennt ihn bis heute bei seinem zweiten Namen Zia. Sie flohen vor den Taliban in den Iran, als er noch ein kleines Kind war. Als 13-Jähriger musste er dort als Hilfskraft auf einer Hühnerfarm arbeiten.

„Für uns gab es im Iran keine Ausweise, keine Schulbildung, nur Drecksarbeit“, berichtet er. Mohammed träumte von einem besseren Leben in Europa. Damals machten sich wegen des Kriegs in Syrien viele auf den Weg. Seine Eltern wollten ihn zuerst nicht weglassen, doch als auch seine Schwester und ihr Mann aufbrachen, erlaubten sie ihm, mitzugehen. Nach großen Strapazen erreichten sie über die Balkanroute Deutschland und irgendwann Stade.

Wohnen in der Sporthalle

Mit vielen anderen wurde Mohammed in der Sporthalle der BBS untergebracht. Familie Peters lernte er durch Zufall kennen. „Wir hatten damals ein geflüchtetes Mädchen offiziell in Pflege genommen“, berichtet Richard Peters. Weil sie im Haus auch Deutsch unterrichteten, fanden sich dort öfters junge Leute ein - auch Mohammed. „Ich hätte nie gedacht, dass es so schwierig ist, die Sprache zu lernen“, sagt er. Auch das Leben in der Flüchtlingsunterkunft war nicht einfach. Als Mohammed krank wurde, bot Melina Peters an, ihn zu sich nach Hause mitzunehmen und ihn gesund zu pflegen. Niemand widersprach.

Es waren herausfordernde Zeiten. Das Jugendamt des Landkreises unterstützte, dass junge, unbedarfte minderjährige Flüchtlinge bei Pflegefamilien untergebracht wurden, wenn sich die Möglichkeit ergab. Ein paar Wochen später fragte Mohammed das Ehepaar Peters, ob sie seine Pflegeeltern werden könnten. Sie sagten zu. „Ich habe eine indonesische Frau, das hat mich geprägt“, erklärt Richard Peters.

In Indonesien steht die Adoption in hohem Ansehen

Die Adoption wird in Indonesien als positive und wertvolle Handlung angesehen. Adoptivkinder genießen Liebe und Fürsorge wie leibliche Kinder. Mohammed kam in eine liebevolle Familie, die ihn förderte und forderte. „Ich hatte eigentlich vor, zu studieren, aber mit der Sprache und der Schule war es schwieriger als ich dachte“, sagt er. Er legte seinen erweiterten Hauptschulabschluss ab und bewarb sich nach einem Schulpraktikum bei der KVG um einen Ausbildungsplatz. Es war Mohammeds Wunsch, sagt Richard Peters, der bei der KVG Betriebsleiter ist: „Er ist technisch sehr interessiert und hat von Anfang an immer an seinem Fahrrad geschraubt.“

Mohammed Zia Hosseini mit seinem Pflegevater Richard Peters am gemeinsamen Arbeitsplatz: bei der KVG.

Mohammed Zia Hosseini mit seinem Pflegevater Richard Peters am gemeinsamen Arbeitsplatz: bei der KVG. Foto: Richter

Mohammed hat seine Ausbildung abgeschlossen und ist seit zwei Jahren als Kfz-Mechatroniker bei der KVG beschäftigt. Erst vor ein paar Tagen hat er außerdem seinen Busführerschein gemacht, um im Notfall einspringen zu können. Wie berichtet, mangelt es der KVG an Busfahrern, einige wurden sogar in Vietnam angeworben.

Ohne Papiere bleibt es in Deutschland schwierig

Zu seiner Familie im Iran hatte Mohammed lange nur per Videotelefonat Kontakt. Schon im Iran besaß er keine Ausweispapiere. Seinen legalen Status in Deutschland belastet das bis heute. Vor drei Jahren gelang es ihm, ein Reisedokument zu bekommen. Er flog kurzentschlossen in den Iran und besucht seine Eltern und Geschwister seither einmal im Jahr.

In Stade hat Mohammed seine eigene Wohnung, einen guten Job, eine Freundin. Doch seine Aufenthaltsgenehmigung muss er regelmäßig erneuern, eine Entfristung bekommt er ohne Ausweispapiere nicht. In der afghanischen Botschaft in Berlin erlaubte man ihm eines Tages, online welche zu beantragen. Dann kamen die Taliban wieder an die Macht, seither herrscht Funkstille. Mohammed Zia Hosseini, in Deutschland ausgebildeter Kfz-Mechatroniker bei der KVG, hat vor einem Jahr einen Einbürgerungsantrag gestellt. Mehr als eine Empfangsbestätigung ist dabei bislang nicht herausgekommen.

Zahlen zur Migration im Landkreis Stade

Von den 210.000 gemeldeten Einwohnern des Landkreises Stade im Januar 2024 waren 26.478 Ausländer. Das sind knapp 13 Prozent. Ein großer Teil (10.036 Personen, also knapp 5 Prozent) sind dabei Bürger eines EU-Mitgliedslandes. In den vergangenen Jahren ist der Ausländeranteil stetig gestiegen. Die russische Invasion in der Ukraine sorgte für einen sehr deutlichen Anstieg von 20.595 im Januar 2022 auf 23.192 im Januar 2023. Die zehn Hauptherkunftsländer laut Ausländerbehörde sind aktuell:

  • Polen (3800 Personen, Zahlen gerundet)
  • Ukraine (3400)
  • Syrien (2800)
  • Türkei (2100)
  • Rumänien (1900)
  • Afghanistan (1400)
  • Bulgarien (1200)
  • Russland (500)
  • Serbien (400)
  • Irak (400)

Aktion zur Wahl

Dieser Artikel ist im Zusammenhang mit unserer Aktion „Deine Stimme, Deine Themen“ enstanden. Im Rahmern einer Kooperation zwischen dem TAGEBLATT und dem Netzwerk „Correctiv.Lokal“ haben wir vor der Bundestagswahl gefragt: Was sind die Top-Themen, die die Wähler interessieren und am meisten genannt wurden? Vor Ort sind das Klimaschutz, Migration und Integration, Wirtschaft, Krieg und Frieden, Verkehr, soziale Gerechtigkeit, Demokratie, Rente und Steuern sowie Bildung und Schulen. Bis zur Wahl wird das TAGEBLATT diese Themen in der Berichterstattung aufgreifen und vertiefen.

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